In der Flüchtlingskrise richtet Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Fokus auf Afrika. Drei Tage lang ist sie auf dem Schwarzen Kontinent unterwegs, sie besucht Mali, Niger und Äthiopien. Denn von diesen Staaten brechen Tausende nach Europa auf. Seit der Schließung der Balkanroute sind die Migrationsströme aus dem Süden nicht etwa versiegt, wie mancher gehofft hatte. Jetzt sieht man wieder Bilder von überfüllten Booten auf dem Mittelmeer und Menschen, die aus dem Wasser gezogen werden.
Angesichts der Tragödien kommt es zu immer gleichen Reflexen: Forderungen einer humaneren europäischen Flüchtlingspolitik – oder einer drastischen Erhöhung der Entwicklungshilfe wie sie auch die Bundesregierung plant. Verblüffend ist indes, dass sich der Blick des Westens bisher selten direkt auf die Länder gerichtet hat, aus denen die Menschen fliehen. Dabei sollte es selbstverständlich sein, an der Quelle des Flüchtlingsstroms nach den Ursachen zu forschen, statt an den Symptomen herumzudoktern und dann panikartig neues Geld auf Projekte zu werfen, die bereits zuvor wenig erfolgreich waren. Mehr Ehrlichkeit und mehr Klartext gegenüber den Potentaten in Afrika wären schon deshalb hilfreich, weil nach Jahrzehnten des Stillstands Millionen von Schwarzafrikanern auf gepackten Koffern sitzen.
Laut Umfrage einer würden allein 70 Millionen der fast 180 Millionen Nigerianer nach Norden aufbrechen, wenn sie dies könnten. Verwundern kann dies schon deshalb nicht, weil rund zwei Drittel der jungen Menschen dort keinen Job haben. Die spärlichen Arbeitsplätze erhält man, wie fast überall in Afrika, oft nur durch Beziehungen und Schmiergeld.
So sind die Flüchtlinge Symptome einer Krankheit, die in den schon so lange schlecht regierten Staaten Afrikas wurzelt. Viele Menschen stammen aus Somalia, wo es seit fast 25 Jahren keinen Staat mehr gibt. Allen Versuchen, demokratischere Strukturen zu schaffen, war kein Erfolg beschieden, weil in Somalia das Clanwesen alles durchdringt. Bei vielen anderen Fluchtländern handelt es sich – wie bei Gambia, dem Kongo oder Eritrea – um gescheiterte Staaten oder repressive Einparteienstaaten, die ihre Bürger drangsalieren.
Seit dem umstrittenen Rückführungsabkommen zwischen der EU und der Türkei haben Afrikas Eliten zudem erkannt, dass man mit Flüchtlingen viel Geld verdienen kann. Die Regierung Kenias drohte damit, Hunderttausende ins Land geflohene Somalier in deren zerstörte Heimat zu deportieren: Dazu will man Dadaab auflösen – das größte Flüchtlingscamp der Welt im Osten von Kenia. Begründung: Das Lager belaste die staatlichen Finanzen und sei eine Brutstätte des islamistischen Terrors. Dabei wird das Camp von der Uno finanziert.
Inzwischen fordert auch Niger in Westafrika von der EU mehr als eine Milliarde Euro, um Migranten auf dem Weg ans Mittelmeer zu stoppen. Sollten diese Erpressungsversuche Erfolg haben, würden künftig noch mehr Hilfsgelder der Korruption zum Opfer fallen.
Vereinzelte Stippvisiten westlicher Minister und anderer Politiker nach Afrika – wie jetzt Merkels kurze Rundreise – offenbaren die weitverbreitete Hilf- und Ratlosigkeit, aber keinen durchdachten Plan. Neben dem systematischen Aufbau von Ausbildungszentren und einer Kleinindustrie vor Ort sowie einem viel stärkeren Nachdruck auf einer vernünftigeren afrikanischen Bevölkerungspolitik könnte dieser Plan darin bestehen, mit mehr Handel die Eigeninitiative in Afrika zu stärken – und gleichzeitig die fatale Abhängigkeit des Kontinents von der lähmenden Entwicklungshilfe zu mindern. Denn erst wenn Afrika eine Eigendynamik entfaltet und dazu die für einen funktionierenden Staat notwendigen Institutionen wie Verwaltungen, Schulen oder Hospitäler baut und auch führt, könnten die Flüchtlingsströme nach Norden allmählich kleiner werden.