Noch sind die Alpenorte Ischgl, St. Anton am Arlberg und Sölden in Vollquarantäne. Noch bis zum 26. April soll das so bleiben; denn hier infizierten sich Tausende Skitouristen. Inzwischen sind nach Aussagen der Landesregierung 50 Prozent der Tiroler Gemeinden wieder coronafrei. Im Tiroler Landtag erhob der Oppositionschef und Sozialdemokrat Georg Dornauer schwere Vorwürfe gegen die schwarz-grüne Regierung. Offensichtlich sei den „über die Maße einflussreichen Einflüsterern aus Seilbahn- und Tourismuswirtschaft“ in Tirol mehr Interesse und Aufmerksamkeit entgegengebracht worden, als dem gesundheitlichen Wohl von Einheimischen und Urlaubern.

Eine leere Bar in Ischgl. Die Region Paznauntal mit dem Touristenort Ischgl stehen seit dem Ausbruch des Coronausbruchs in keinem guten ...
Eine leere Bar in Ischgl. Die Region Paznauntal mit dem Touristenort Ischgl stehen seit dem Ausbruch des Coronausbruchs in keinem guten Licht. | Bild: dpa

4900 erkrankte Skifahrer aus aller Welt, 71 Prozent davon Deutsche, wollen sich an einer Sammelklage des Verbraucherschutzvereins (VSV) beteiligen. 500 haben sich bereits definitiv dafür entschieden, so die neuesten Zahlen.

Paar aus Konstanz verließ am 13. März den Skiort Ischgl

Zu den möglichen Klägern gehören auch der ehemalige Bankmanager Emil und seine Partnerin Franziska (Namen von der Redaktion geändert) aus Konstanz. Am Freitag dem 13. März verließen sie Ischgl, kurz bevor der Ort von Kanzler Kurz wegen der Masse der Erkrankungen isoliert wurde. Das Coronavirus nahmen sie mit: “Fieber, Kopfweh, Husten, Magenverstimmung, Geruchs- und Geschmacksverlust, Schüttelfrost“, so beschreibt der 60-jährige Emil die zweieinhalb Wochen, die er und seine Partnerin Franziska in Quarantäne durchlitten, Franziska aufgrund der Covid-19-Erkrankung teils unter erheblicher Atemnot. Ein Freund aus Freiburg, den sie in Ischgl trafen, musste im Krankenhaus eine Lungenentzündung auskurieren. Bevor die typischen Krankheitssymptome bei ihm sichtbar wurden, hatte er seinen 80-jährigen Vater infiziert. Der alte Herr verstarb, so weit bekannt, ohne Vorerkrankung.

Anwalt: Tirol hat Urlauber zu spät über das Gesundheitsrisiko informiert

Emil und seine Freunde aus Stuttgart hatten ihre Skiwoche in Ischgl wie seit 25 Jahren trotz der vorherigen Warnungen einiger Freunde angetreten: Die Stuttgarter waren am 9. März abgereist und zwei Tage später bereits positiv auf das Coronavirus getestet worden. Franziska hatten viele Zeitungsmeldungen über Corona immerhin verunsichert. Sie telefonierte vor dem Start in die Ferien mit der Hotelchefin. Sie versicherte ihr, alles sei in Ordnung. „Informierte sie mich wider besseres Wissen falsch?“ fragt sich Franziska nun. Denn kaum in Ischgl angekommen, hörte sie, wie Hotelbesitzer darüber diskutierten, wie es weitergehen könne.

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Der Verbraucherschutzverein Tirol will mit Rechtsanwalt Peter Kolba den Verantwortlichen in Tirol zu späte Information der Urlauber über das Gesundheitsrisiko nachweisen. Im zivilrechtlichen Verfahren soll es um Unterhaltszahlungen für Hinterbliebene Verstorbener und um Schmerzensgeld gehen. „Ich gehe von einem Schadenersatzanspruch von über 5 Millionen Euro aus“, erklärt Kolba.

Island warnte die EU bereits am 4. März über den Infektionsherd Ischgl

Möglich, dass die Behörden den Saisonschluss zu lange hinauszögerten. Erst am 13. März schloss Tirol die Skigebiete im Paznauntal einschließlich Ischgl. Bis dahin hatten Skifahrer das Coronavirus schon bis nach Island, Schweden, Großbritannien, Holland und Deutschland gebracht. Bereits am 4. März hatte das isländische Gesundheitsministerium die Europäische Seuchenschutzbehörde ECDC und die EU-Gesundheitsminister vor dem Infektionsherd Ischgl gewarnt.

Wird wohl so schnell nicht wieder aufmachen: Das „Kitzloch“, eines der angesagtesten Après-Ski-Lokale des Ortes.
Wird wohl so schnell nicht wieder aufmachen: Das „Kitzloch“, eines der angesagtesten Après-Ski-Lokale des Ortes. | Bild: dpa

Enge Verflechtungen zwischen Politik und Tourismus

14 Isländer erkrankten nach ihrer Rückkehr aus Österreich an Covid-19. In Wien gingen die Warnungen in der Nacht vom 4. auf den 5. März ein. In der Tiroler Landesregierung wusste man am 5. März morgens Bescheid – Konsequenzen zog aber niemand. Bei 6,5 Millionen Übernachtungen in der vergangenen Saison tut sich die Politik in Tirol schwer, den für das Land überaus wichtigen Tourismus zu lenken. Zu eng sind viele Politiker mit Ski- und Tourismuswirtschaft verflochten. Die Schließung der Hotels und Skigebiete verursache Verluste von 150 bis 200 Mio Euro pro Woche, schätzt Seilbahnchef Franz Hörl, zugleich Abgeordneter im österreichischen Parlament für Tirols ÖVP und Hotelier.

Ein Skifahrer geht mit geschulterten Skiern in Ischgl. Noch bis mindestens 26. April sind die Skiorte Ischgl, St. Anton am Arlberg und ...
Ein Skifahrer geht mit geschulterten Skiern in Ischgl. Noch bis mindestens 26. April sind die Skiorte Ischgl, St. Anton am Arlberg und Sölden geschlossen. In den Orten haben sich Tausende mit dem Coronavirus infiziert. | Bild: dpa

Emil und Franziska erwarten keine Wunder von der Sammelklage. Sie wollen vor allem, dass Ischgl und Tirol einen „Schuss vor den Bug bekommen“, sagt der 60-Jährige. Ihr Ski-Quartier fürs kommende Jahr in Ischgl haben sie schon gebucht. Doch noch ist unklar, ob sie wirklich wieder dorthin fahren wollen.