Es gab einmal Zeiten, da waren Brücken in Deutschland Sinnbilder für Modernität, Leistungsfähigkeit und Ingenieurskunst. Heute werden sie mit dem Adjektiv „marode“ verknüpft und gelten als traurige Beispiele einer an allen Ecken und Enden dem langsamen Verfall preisgegebenen Infrastruktur.
Kaum ein anderes Wort hat die jahrelange Debatte über die Frage, ob Deutschland im Wettbewerb mit den Industrienationen noch mithalten kann, so geprägt wie der Begriff der Infrastruktur. Dabei gibt es keinen klaren Konsens darüber, was darunter konkret zu verstehen ist. Gemeint scheint alles, was den Bürgern lieb und teuer ist – sei es eine Kita, eine Stromleitung oder eine Schnellbahntrasse – und wofür sie sich selbst nicht verantwortlich fühlen.
Bürger werden an viele Stellen enttäuscht
Infrastruktur soll quasi von oben auf die Erde herabfallen. Gelenkt von der Bundesregierung, den Ministerien und Behörden, den Rathäusern und Landratsämtern. Sie ist die Aufgabe eines fürsorgenden Staates und sichert das Vertrauen in dessen Leistungsfähigkeit.
Die Bürger erwarten – und dürfen erwarten – dass Straßen, Autobahnen, Schienen, Weichen und Schleusen intakt sind, aber sie werden an vielen Stellen enttäuscht. Brücken werden wegen Baufälligkeit gesperrt, durchs Dach der Turnhalle tropft Wasser. Staatsversagen? Irgendwie ja – aber man merkt: die Dinge sind viel komplexer.
Ein Berg aus Infrastruktur-Schulden
Fakt ist: Zu viele Investitionen sind in den vergangenen 30 Jahren unterblieben. Man hat sich strenge Schuldenregeln auferlegt, was sich im Begriff des „Kaputtsparens“ manifestiert. Das bescherte dem Bundeshaushalt zwar eine schwarze Null, doch im Hintergrund wurde der Berg an gigantischen Infrastruktur-Schulden aus unterbliebenen Investitionen in Erhalt und Ausbau immer höher.
Das jetzt vom Bundesrat genehmigte Finanzpaket von 500 Milliarden Euro soll dieses Versäumnis wettmachen. Doch darf man nicht vergessen: es handelt sich um einen schon vor längerem errechneten Mindestbedarf für allerhand Sanierungsprojekte – für die allein die Deutsche Bahn 89 Milliarden Euro haben möchte.
Es wurden falsche Prioritäten gesetzt
Gerade die Bahn macht wie in einem Brennglas deutlich, dass es eben nicht nur die Sparbüchse ist, die Schienen und Weichen verrosten lässt. Es geht auch um eine politische Verantwortung für falsche Prioritäten, die man gesetzt hat. Für Leuchtturmprojekte wie ambitionierte ICE-Trassen lassen sich Minister gerne feiern, weil die Fertigstellung im Horizont ihrer Karriere liegt. Für das unspektakuläre Austauschen von Schienen und Schwellen gibt es dagegen keine Wählerstimme mehr.
Die Haltung, nicht über den eigenen Tellerrand sehen zu wollen, ist auch dafür verantwortlich, dass den Kommunen und Landkreisen das Wasser für dringende Investitionen abgegraben wurde. Zwar kann sich ein Wahlkreisabgeordneter in Berlin für eine Bundesstraße am Bodensee ins Zeug legen und erfolgreich sein. Doch sollte es zu diesem polit-darwinistischen Tauziehen um Millionen gar nicht erst kommen.
Wechselspiel aus Angebot und Nachfrage
Schmaler Trost: Historisch betrachtet war der Ausbau von Infrastruktur – angefangen bei den Kanälen im 18. Jahrhundert bis zum Glasfasernetz unserer Tage – von zahllosen Konflikten überschattet. Ein Fortschritt nach Masterplan hat nie existiert. Infrastruktur war immer das Resultat einer ständigen Zirkulation von Menschen, Gütern, Geld und Visionen und entstand – sieht man von den Prestigeprojekten der NS-Zeit ab – im munteren Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.
Deshalb wird es auch in Zukunft trotz aller Milliardenausgaben nie „die“ Infrastruktur geben. Was von staatlicher Seite als Bedarf angesehen wird, bleibt von wechselnden Interessenkonstellationen abhängig. Der eine sieht ein Radwegenetz als ökologisches Muss, der andere will die Bequemlichkeit der sechsspurigen Autobahn und trifft sich darin mit den Spediteuren. Aber es bleibt dabei: Infrastruktur zu sichern ist eine Gemeinwohl-Aufgabe.
Vielen Älteren nutzen die Investitionen kaum etwas
Da die Sorge für das Gemeinwohl allen Bürgern gilt, ist die Entscheidung, 500 Milliarden Euro an Krediten aufzunehmen und die Zinsen dafür zu zahlen, richtig. Wer jetzt sagt, man werfe künftigen Generationen die Schulden vor die Füße, der vergisst: Viele Ältere werden einiges, worin investiert wird, kaum noch nutzen.
Die Jüngeren hingegen profitieren ihr ganzes Leben davon. Es ist gerecht, dass sie am Abzahlen der Kosten beteiligt sind. Unbestritten ist zudem: Kreditfinanzierte Investitionen erhöhen zwar den Schuldenstand eines Landes, gleichzeitig aber auch den Vermögensbestand einer ganzen Volkswirtschaft, die somit leistungs- und konkurrenzfähig bleibt.
Daher ist es höchste Zeit, sich vom grotesk verzerrten Bild der „schwäbischen Hausfrau“, die angeblich nur ausgibt, was sie einnimmt, zu verabschieden. Das Narrativ verschweigt, dass auch Schwäbinnen Kredite aufgenommen haben – um das Geld ins Häusle oder die Firma zu stecken. Der Staat kann und muss es ebenso machen.