Nur noch einen Schuss, so lässt sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann immer wieder vernehmen, hätten die Parteien der Mitte – nur noch einen Schuss, um zu verhindern, dass die AfD an die Macht kommt. Geht es noch dramatischer?
Vermutlich unbewusst bedient Linnemann ein AfD-Narrativ, nachdem es bei der nächsten Wahl richtig zur Sache geht. Die Logik dahinter: Die Volksparteien verlieren weiter in rasantem Tempo an Bedeutung, die AfD kann wie gehabt davon profitieren. Dass dies keine Gesetzmäßigkeit ist – der CDU-Generalsekretär scheint das Vertrauen darin verloren zu haben.
Die Bundesregierung zeigt sich tatkräftig
Es hat etwas von selbsterfüllender Prophezeiung, wie die Union mit einem ihrer zentralen Wahlversprechen umgeht: der Migrationspolitik. In Linnemannscher Dramatik wird hier „von Tag eins an“ Härte demonstriert. Der Staat soll sich – endlich – als tatkräftig und wirkmächtig beweisen in der heiklen Frage des Asyls. Der Verweis, dass die Flüchtlingsfrage nur im europäischen Verbund zu lösen sei, hatten die Deutschen tatsächlich schon zu oft gehört. Nun also nimmt die Bundesregierung die Zügel in die Hand, lässt Taten sprechen.
Die darunterliegende Botschaft: Der Staat ist handlungsfähig, die Politik kann Probleme lösen, die Parteien der Mitte sind noch zu Entscheidungen fähig. Eigentlich nicht verkehrt in einer Zeit, in der immer mehr Menschen Politik in Frage stellen, an der Demokratie zweifeln. Das Problem an der Methode Dobrindt ist allerdings: So wie der Innenminister die ihm übertragene Aufgabe angeht, könnte der Schuss auch nach hinten losgehen.
Eine magere Zwischenbilanz
Die Bilanz nach vier Wochen Grenzkontrollen fällt mager aus: 15 Zurückweisungen von Asylbewerbern an der Schweizer Grenze, zehn an der französischen, im ganzen Bundesgebiet waren es in den ersten vier Wochen 160 Personen, die Deutschland umgehend in die Länder zurückbeordert hat, in denen sie nach den Dublin-Regeln ihr Asylverfahren durchlaufen müssen. Immerhin setzte die Bundespolizei 138 Schleuser fest und wies weitere 3279 Menschen zurück, die nicht zur Einreise berechtigt waren.
Jenseits der Symbolik von „Wir tun was“ stellt sich also die Frage der Wirkung: Welchen Zweck verfolgt die Bundesregierung? Und erreicht sie ihn damit? Um die bloße Zahl der Asylanträge kann es bei den Zurückweisungen – 160 Personen – kaum gehen, zumal diese bereits bis Mai um 44 Prozent zurückgegangen waren im Vergleich zum Vorjahr. Sicherlich zielt die neue Asyl-Härte auch auf Außenwirkung ab, nach dem Motto: Nach Deutschland braucht ihr nicht zu kommen! Ob sich das auswirkt, ist völlig offen.
Weniger Flüchtlinge – mehr Sicherheit?
Zumindest im Wahlkampf wurde immer wieder ein drittes Ziel ins Spiel gebracht: die Sicherheit. Die Attentate von Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg lieferten die Folie, vor der CDU-Chef Friedrich Merz postulierte, dass die Zeit reif sei für Asylverschärfungen. Also weniger Flüchtlinge für mehr Sicherheit in Deutschland. Nicht in die Argumentation passte freilich, dass wiederholt – zuletzt im Hamburger Hauptbahnhof (mit einer deutschen Täterin), aber auch in Aschaffenburg – Flüchtlinge die Zivilcourage aufbrachten, sich Tätern entgegenzustellen.
Was man dabei ebenfalls ignorierte, war ein anderes Muster, das die meisten der Attentate der jüngeren Vergangenheit eint: Die Täter waren häufig ausreisepflichtig und sie hatten alle massive psychische Probleme. Das wahre Sicherheitsrisiko bestand also nicht darin, dass sie Flüchtlinge sind, sondern in ihrem labilen Zustand.
Grenzkontrollen werden folglich wenig bis nichts an der Sicherheitslage ändern, jedenfalls nicht im Positiven, denn wenn Polizisten vorwiegend damit beschäftigt sind, Grenzen zu kontrollieren, fehlen sie an anderer Stelle, wie nun schon mehrfach von Polizeigewerkschaften und -beauftragten beklagt wurde. Wer solche Taten verhindern will, müsste sich vielmehr um die Psyche potenzieller Täter kümmern. Leider ist es um die Versorgung mit Psychiatern und Therapeuten in Deutschland allgemein nicht gut bestellt. Und schon gar nicht für Flüchtlinge.