In sieben Wochen – bis Ostern – will der vermutlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz geschafft haben, wozu andere vor ihm teilweise deutlich länger gebraucht haben: Eine neues Regierungsbündnis unter Dach und Fach zu bringen. Die Krisen an denen Deutschland leidet, gestatten keinen Verhandlungsmarathon und das Verzetteln im Klein-Klein eines fein ziselierten Koalitionsvertrages.

Die Zeit drängt, und wenn die Frist im Zeichen der magischen Sieben eingehalten werden soll, sollten sich Union und SPD auch auf drei der Sieben Tugenden besinnen, um rechtzeitig zum Erfolg zu kommen: Weisheit, Gerechtigkeit und Mäßigung. Aber wie steht es damit, und warum kommt es gerade jetzt auf diese Wertmaßstäbe an?

Politik ist nicht dafür bekannt, ihr tägliches Handeln moralischen Grundsätzen zu unterwerfen. Der zurückliegende Wahlkampf und die Gefechte, die sich Union und SPD vor allem um die Migrationspolitik lieferten, haben das erneut gezeigt. Jetzt allerdings scheint man sich auf beiden Seiten darin einig zu sein, dass hinter dem Wahlergebnis nur ein einziges Wort stehen kann, und das heißt Weckruf.

Hört auf Strauß!

Sind die Verhandler von Union und SPD weise, richten sie sich nach einem Wort des immer umstrittenen aber meist erfolgreichen Franz-Josef Strauß. Demnach gibt es keine linke Mitte und es gibt keine rechte Mitte, sondern es gibt nur eine Position der Mitte.

Die Wähler erwarten jetzt eine pragmatische Politik der Vernunft, die den Druck aus dem Problemkessel nimmt und das Land mit seiner Wirtschaft wieder in die Spur bringt. Für die Genossen um Lars Klingbeil und Boris Pistorius bedeutet das, sich an der Agenda ihrer Erfolgskanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zu orientieren.

Hätte die SPD deren Erbe hochgehalten anstatt damit zu hadern, stünde sie heute besser da. Sie hat sich von jenen Menschen abgewendet, denen sie ihren Aufstieg verdankt und die sich im Bild des Stahlarbeiters in Duisburg-Ruhrort wiederfinden. Mit einem Bürgergeld-Projekt, das sich prinzipiell an Nicht-Arbeitende richtet, sind die Anhänger der alten SPD kaum zu gewinnen – genauso wenig wie mit den tendenziell exotischen Projekten von Cannabis-Freigabe, geschlechtlicher Selbstbestimmung oder Gendersprache.

Das Wahldebakel der SPD ist eben nicht allein der Unbeliebtheit von Olaf Scholz anzulasten. Sondern seinen Anteil daran hat das Abdriften der Partei Richtung Orchideen-Themen, die der Masse der Anhänger nicht zu vermitteln sind. Ein Wiederaufbau der Partei kann nur gelingen, wenn umgesteuert wird. Dazu wird die Neuauflage einer großen Koalition einen Beitrag leisten.

Im Kern herrscht Einigkeit

Friedrich Merz – kein strahlender Wahlsieger – scheint das erkannt zu haben, wenn er in seinen bisherigen Äußerungen der SPD als einem Partner gegenübertritt, den er auf Augenhöhe sieht.

Die Fakten bestärken den CDU-Chef, denn beide Parteien wollen das Gleiche, wenn es um die drängendsten Handlungsfelder geht: die Stärkung der inneren Sicherheit durch eine restriktivere Migrationspolitik, den Stopp der De-Industrialisierung des Landes, den Wiederaufbau der Bundeswehr und die Unterstützung für die Ukraine im europäischen Verbund.

Nicht in allen Fragen wird man einen Konsens erwarten können. Das ist auch gar nicht notwendig. Um steten Konsens mag man sich in der Schweiz bemühen, in Deutschland ist es der Kompromiss, aus dem sich die Gesetze herleiten. Der SPD wird man nicht absprechen können, dass es in einer Koalition gerecht zugeht und sich auch der kleinere Partner mit seinen Themen vertreten sieht.

SPD sollte nicht pokern

Darüber sollte man aber nicht vergessen, dass die Wähler für einen Kurswechsel gestimmt haben. Das bedeutet für die SPD nichts anderes, als dass sie bei ihren Forderungen der Tugend der Mäßigung zu folgen hat und Pokern unterlassen sollte.

Auf die Mäßigung sollte sich auch Friedrich Merz besinnen. Immer wieder ist er in der Vergangenheit hitzig in verbale Fettnäpfe hineingetappt. Droht das wieder, wenn sich die Themen in den Vordergrund schieben, bei denen Union und SPD weniger eng miteinander sind?

Was sich bei der Schuldenbremse noch unter dem Mantel des Moderierens und Glättens bewegt, könnte bei den Zukunftsfragen Rente, Pflege und Gesundheit in altbekannte Geplänkel umschlagen. Von denen haben die Bürger auch deshalb genug, weil sie hinterher den Eindruck haben, dass sich sowieso nichts ändert.

Ein Berg von Problemen türmt sich vor Union und SPD auf. „Dornige Chancen“, hätte der gescheiterte FDP-Chef Christian Lindner gesagt. Der Druck, die Dinge anzupacken wächst durch den bitteren Wahlerfolg der rechtspopulistischen Stammtischstrategen. Sie wittern Morgenrot. Die Chancen, sie zu stoppen sind da. Sie müssen jetzt genutzt werden.