Es sind noch fünf Tage bis zur Bundestagswahl, in den Städten gibt es kaum noch einen Laternenmast, an dem keine Plakate festgebunden sind. Kernige Botschaften und kühne Versprechungen werden an die Bürger herangetragen, klar und konturenscharf soll vermittelt werden, was man umzusetzen gedenkt, wenn die Partei in politische Verantwortung kommt.

Und damit ist das Stichwort gefallen. Wer regiert oder mitregiert, dem ist Verantwortung für Staat und Gesellschaft auferlegt. Sie ist Herausforderung und Bürde zugleich. Die zurückliegende Ampel-Koalition hat genau das zu großen Teilen ignoriert. Wer Politik gestalten will – und das geschieht in Deutschland nun einmal in einer Koalition mehrerer Parteien – geht die Verpflichtung ein, Wunsch und Wirklichkeit miteinander in eine Balance zu bringen.

Der Blick für das Machbare zählt

Dazu sind keine Zauberkräfte notwendig, wie der Blick zurück in die bunte Koalitionsgeschichte der Bundesrepublik und ihrer Länder beweist, sondern letztlich der Blick für das Machbare, der mit dem Willen zum Kompromiss einhergehen muss. Genau diesen suchte man in der gescheiterten Ampel vergeblich.

Spätestens seit dem Streit um das Heizungsgesetz im Februar 2023 schaltete man in Berlin auf Dauerwahlkampf, wobei sich die um ihre Wahrnehmung besorgte FDP lautstark hervortat. Kaum hatte man in mühsamen Verhandlungsrunden eine Lösung gefunden, wurde diese teils binnen Stunden widerrufen und öffentlich bezweifelt. Das verstärkt nicht nur Ängste und Misstrauen bei den Bürgern, sondern liefert den Populisten das Material für die hämische Abwertung unserer Parteiendemokratie.

In der Mitte sind echte Gräben nicht zu sehen

Ein permanenter politischer Aschermittwoch ist das für deutsche Verhältnisse völlig untypische Gegenbild zur Konsensdemokratie, die die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik getragen und ermöglicht hat. Es besteht also alle Aussicht darauf, dass sich das, was bei den Menschen als „Ampel-Chaos“ in Erinnerung bleibt, so nicht wiederholt.

Der bis dahin fast langweilig verlaufenen Wahlkampf gewann nach der Abstimmung über den Asylantrag der Union im Bundestag zwar an Emotion und Heftigkeit, doch es wurden nirgendwo Gräben aufgeworfen oder politische Minenfelder ausgelegt. Es sieht also alles danach aus, dass die potenziellen Koalitionäre miteinander werden sprechen können, um den Fortschritt hinzubekommen, den die Ampel zwar versprach, doch nicht lieferte.

Es muss ein „neues Drittes“ geben

Die Akteure dürfen ihre Projekte jedoch nicht isoliert nebeneinanderstellen, sondern die Positionen müssen alle ein „neues Drittes“ ergeben, das man den Bürgern als Politik aus einem Guss vermitteln kann. Das funktioniert nicht, wenn einem Kompromiss reflexhaft das Adjektiv „faul“ angeheftet wird. Eine Verständigung zu suchen, heißt eben nicht, seine Prinzipien zu verraten. Wer so denkt, steht am Ende vor einem Trümmerhaufen und hat weder für seine Partei, noch für seine Klientel oder das Land etwas erreicht.

Im Gegenteil. Verbrannte Erde belastet das gesellschaftliche Klima, um das es gerade sowieso nicht zum Besten steht. Je roher politische Debatten geführt werden, je öfter von billigen Schuldzuweisungen an andere Gebrauch gemacht wird und je heftiger persönliche Beleidigungen in den Reihen der politischen Eliten ausfallen, desto mehr färbt das in die Breite der Bevölkerung ab.

Damit die Extremisten und Populisten nicht weiter zulegen

Die Folge sind Polarisierung, Feindbilder und Lagerbildungen, wobei eine zielorientierte sachliche Verständigung auf der Strecke bleibt. Dann glauben immer mehr Menschen das, was sie hören wollen. Und wieder haben die Extremisten und Populisten gewonnen.

Wer glaubt, dass allein Wahlergebnisse automatisch Klarheit schaffen, macht sich etwas vor. Zu den errungenen Parlamentssitzen müssen Dialog und Kompromiss hinzukommen. Ein kurzer Blick nach Österreich, wo die Mitte-Parteien ÖVP, SPÖ und Neos im Streit auseinandergingen, zeigt, wohin das Beharren auf eigenen Standpunkten führt. Diese Dauerkrise muss Deutschland erspart bleiben.