Herr Trittin, Sie hören nach 25 Jahren im Bundestag auf. Dabei sind Sie jemand, der Politikmachen atmet. Wie schließt man ab nach so langer Zeit?

Dass ich mit der Politik aufhöre, habe ich ja nicht gesagt. Aber ich höre damit auf, als Abgeordneter Tagespolitik zu gestalten. Ich denke, dass 25 Jahre – und bei mir noch zwei Jahre länger als Münteferings Rente mit 67 – eigentlich eine ganz gute Zeit sind. Wenn ich meine Arbeit als Landtagsabgeordneter noch dazu nehme, komme ich auf fast 40 Jahre Berufspolitik.

Die Ampel-Koalition steht in der Gunst der Wähler schlecht da. Sie könnte einen erfahrenen Politiker wie Sie gut gebrauchen. Warum haben Sie dennoch entschieden, die Wahlperiode nicht voll zu machen bis 2025?

Man muss aufpassen, dass man sich selbst nicht für unentbehrlich hält. Die Grünen-Bundestagsfraktion besteht aus 118 Mitgliedern, davon sind 70 bei der letzten Wahl neu dazugekommen. Ein beachtlicher Teil derer, die parlamentarische Vorerfahrung hatten, sind in Ministerien gewechselt. Insofern war es zu Beginn schon wichtig, Menschen mit Erfahrung dabei zu haben wie Renate Künast oder mich.

Nach zwei Jahren aber ist diese Fraktion jetzt sehr gut aufgestellt. Ich bin beeindruckt, wie regierungsfähig diese so junge und aus vielen Neuen bestehende Fraktion ist. Unseren Koalitionspartnern ist das Einfinden in die Regierungsrolle noch nicht ganz so gelungen.

Früher galten die Grünen im Bundestag als strickende Spontis. Das Bild hat sich offensichtlich gewandelt.

Ich bin ja selbst ein Musterbeispiel dafür. Ich kam als Nachrücker in den niedersächsischen Landtag, wir hatten damals unser Zwei-Jahres-Rotationsprinzip, das schwer umstritten war. Wir mussten erst vor Gericht ziehen, um das Recht durchzusetzen. Ich reiste als Pressesprecher der Landtagsfraktion nach Bückeburg und kam als Abgeordneter wieder zurück. So kam ich in die Berufspolitik. In der Zwischenzeit hat sich etwas verändert, das ist auch so anerkannt. Politik wird bei uns als Beruf verstanden, das war in der Tat nicht immer so.

„Casino Niedersachsen“: 1988 spielt Trittin im niedersächsischen Landtag auf die Spielbankenaffäre an.
„Casino Niedersachsen“: 1988 spielt Trittin im niedersächsischen Landtag auf die Spielbankenaffäre an. | Bild: Wolfgang Weihs/dpa

Spitzenpolitik ist ein harter Job. Man steht in der Öffentlichkeit, die Presse kritisiert und weiß es immer besser, der politische Gegner attackiert, und manchmal sitzen die ärgsten Widersacher in der eigenen Partei. Was hat Sie angetrieben, sich dem auszusetzen?

Ich wollte diese Gesellschaft verändern, ich wollte sie gerechter haben und nachhaltiger gestalten. Das ist mir, glaube ich, ganz gut gelungen. Die wichtigste Lehre ist für mich: Man ist immer sehr ungeduldig, was bestimmte Veränderungen angeht, aber die Wahrheit zeigt sich immer auf der Strecke. Im Guten wie im Schlechten.

Was lief gut?

Wir beziehen unseren Strom heute zu fast 60 Prozent aus erneuerbaren Energien. Das liegt am Erneuerbare-Energien-Gesetz und damit an einer Entscheidung, die wir 2001 getroffen haben mit dem Ausstieg aus der Atomenergie. Ein anderes Beispiel: Wenn wahrscheinlich vor 2030 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht, dann hat das damit zu tun, dass wir Grünen in der Regierung 2002/2003 eine EU-Richtlinie zum Emissionshandel durch- und umgesetzt haben, die den Betrieb der großen Verschmutzer unrentabel macht.

Was lief schlecht?

Ich bin ja oft für das EEG kritisiert worden, war aber ab 2005 nicht mehr dafür verantwortlich. Mein Nachfolger Sigmar Gabriel von der SPD hat das bis 2009 noch ganz ordentlich gemacht. Aber danach gab es einen CDU-Umweltminister Peter Altmaier und einen FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler, und die haben der Photovoltaik den Kampf angesagt.

Das Ergebnis ist, dass wir zwar einen Rekord an Solarstromanlagen haben, aber die kommen nicht mehr aus Sachsen-Anhalt oder Sachsen, sondern aus China. Hier hat eine schwarz-gelbe Regierung durch eine katastrophale Fehlentscheidung aktiv Deindustrialisierung in Deutschland betrieben.

1999 besucht Umweltminister Jürgen Trittin das atomare Zwischenlager in Gorleben.
1999 besucht Umweltminister Jürgen Trittin das atomare Zwischenlager in Gorleben. | Bild: Christian Charisius/dpa

Na ja, Sie haben 2004 versprochen, die Energiewende werde den Durchschnittshaushalt umgerechnet nicht mehr als eine Kugel Eis im Monat kosten. Damals kostete eine Kugel 50 Cent. Daraus ist offenbar nichts geworden.

Für die Gesetze in meiner Verantwortung galt das natürlich. Damals war das so, auch bei meinem Nachfolger Sigmar Gabriel noch. Auch wenn es sich da zugegeben eher schon um Hauptstadtpreise für eine Eiskugel handelte. Aber es war noch eine Kugel Eis. Erst unter Altmaier und Rösler sind die Kosten für die Erneuerbaren vorsätzlich in die Höhe getrieben worden, um deren Ruf und Akzeptanz zu schädigen. Aber für Handlungen meiner Nachfolger, die mir bekanntermaßen nicht freundlich gesinnt waren, übernehme ich nicht die Verantwortung.

2013 haben die Grünen mit Ihnen und Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidaten ein schwaches Wahlergebnis eingefahren, obwohl die Atomangst nach dem Gau in Fukushima groß war. Woran lag das?

2009 hatte ich gemeinsam mit Renate Künast noch das für lange Zeit beste Wahlergebnis geholt, das erst von Robert Habeck und Annalena Baerbock übertroffen wurde. Renate und ich waren Stimmenkönige, also besser gesagt Queen und King.

Aber ja, 2013 haben wir eine bittere Niederlage erlitten. Das hatte damit zu tun, dass wir die Veränderungsbereitschaft unserer eigenen Klientel überschätzt hatten. Wir wollten das Ehegattensplitting abschmelzen, was auch bei Grünen-Wählern schlecht ankam. Für die Niederlage habe ich die Verantwortung übernommen und bin nicht wieder für den Posten des Fraktionschefs angetreten.

Seinerzeit war im Wahlkampf auch die Einführung eines Veggie-Tags in Kantinen ein Aufreger. Zehn Jahre danach hängt den Grünen wieder das Image der Verbotspartei an, die vorgibt, welche Heizung im Keller zu stehen hat. Hat die Partei nichts gelernt aus den Fehlern der Vergangenheit?

Beide Beispiele zeigen, dass man mit Lügen weit kommt. Ich sage das bewusst, weil es in der Fraktion damals drei Leute gegeben hat, die gegen den Veggie-Day gestimmt haben. Ich war einer davon. Mein Grund war ein einfacher: Es ging darum, dass an einem Tag der Woche in Kantinen und Mensen nur vegetarische Gerichte angeboten werden sollten. Das ist ein Angebot, kein Verbot. Dennoch war ich dagegen. Man hat versucht, durch beispielhaftes Vorleben eine gesellschaftliche Veränderung auf den Weg zu bringen.

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Das funktioniert nicht?

Man hat dann eben schnell eine Verbotsdebatte am Hals. Wenn Sie die schlechten Folgen der industriellen Fleischproduktion, also etwa die Abholzung von Regenwäldern für Soja-Futter oder die Belastung des Grundwassers in Deutschland durch Nitrate, beseitigen wollen, muss man über andere Instrumente reden.

Das könnte zum Beispiel eine CO2-Abgabe für importierte Futtermittel sein, wie das jetzt auch auf EU-Ebene auf den Weg gebracht wurde. Oder ein Verbot von wichtigen Reserve-Antibiotika in der Tiermast, weil die Erreger sonst Resistenzen bilden und die Mittel nicht mehr beim Menschen wirken. Das ist ein Angriff auf die Gesundheit. Wenn Sie all das machen, dann wird weniger Fleisch produziert. Sie gehen an die Wurzel des Problems und leben keine andere Gesellschaft vor.

Und beim umstrittenen Heizungsgesetz?

Stand nicht einmal im durchgestochenen ersten Entwurf, welche Heizung in den Keller muss. Sondern darin stand, dass sie künftig zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss. Das Thema ist dann zur Kampagne gegen die Grünen gemacht worden. Die Kabarettistin Monika Gruber hat sich bei einer Demo drüber aufgeregt und hat gleichzeitig ihr Haus im Wert von sechs Millionen Euro zum Verkauf angeboten. Also wenn das eine soziale Frage sein soll, dann lachen die Hühner.

In ihrer Abschiedsrede im Bundestag haben Sie die Demokraten dazu aufgerufen, zusammenzuarbeiten, um dem Aufstieg AfD zu begegnen. Sie waren in Ihrer Karriere nicht gerade zimperlich in der Rhetorik. Wie kommt man dennoch zusammen im Spiel zwischen Regierung und Opposition?

Ich kenne beide Seiten – sowohl die der Opposition als auch die der Regierung. Wir sind in Deutschland in großen Fragen zum Konsens fähig. Eine gesamtgesellschaftliche Kommission unter Beteiligung der Industrie und der Energiewirtschaft hat seinerzeit gesagt, dass wir uns von dieser gefährlichen Atomtechnologie verabschieden. Die Union hat mit der Ampel-Koalition nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine für die Einrichtung des Sondervermögens gestimmt, um die Bundeswehr wieder zur Bündnis- und Landesverteidigung aufzustellen. Das gelingt in diesem Land. In meiner Rede ging es aber noch um einen anderen Aspekt.

Würdevoller Abgang: Jürgen Trittin bekommt nach seiner letzten Rede im Bundestag viel Beifall von Abgeordneten. Er saß 25 Jahre lang für ...
Würdevoller Abgang: Jürgen Trittin bekommt nach seiner letzten Rede im Bundestag viel Beifall von Abgeordneten. Er saß 25 Jahre lang für die Grünen im Parlament. | Bild: Kay Nietfeld/dpa

Sie meinen die Brandmauer?

Ich meine den demokratischen Konsens von der CDU bis zur Linkspartei, das zu verhindern, was in Skandinavien passiert ist. Dort sitzen die rechten Schwedendemokraten und Wahren Finnen in der Regierung. Wir haben in Deutschland diese Erfahrung schon einmal gemacht, und sie endete im Ende der Demokratie. Und das ist Lehre aus der Geschichte. Man darf Anti-Demokraten keine Macht übertragen. Sie erleben das gerade in Argentinien, wo der sogenannte Anarcho-Kapitalist Milei den Notstand bis zum Ende seiner Amtszeit ausrufen will.

Sie werden jetzt wahrscheinlich erst einmal ein wenig ausspannen wollen. Verreisen Sie?

Ich fahre weg und ich habe das Privileg, darüber, wohin ich fahre, keinem mehr Auskunft geben zu müssen.

Werden Sie sich danach irgendwo politisch engagieren?

Ich werde kein unpolitischer Mensch werden. Aber wie ich dieses Politischsein auslebe, dafür muss ich zuvor erstmal wissen, wie es sich anfühlt, keine Abfolge von Sitzungen mehr zu haben. Das ist nämlich nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig gewesen.