Am 8. Mai 1945 endete ein Krieg, in dem fast acht Millionen Deutsche ihr Leben verloren und der schließlich zwölf Millionen Vertriebenen die Heimat kostete. Es ist ein Tag des Innehaltens, der Besinnung – auch der Debatte über die von den Deutschen unter Adolf Hitler begangenen Verbrechen. Aber der 8. Mai ist ein Werktag geblieben, einer mit Ansprachen politisch Wortmächtiger zwar – aber ansonsten ein normaler Wochentag.

Lange war die Frage: Befreiung oder Niederlage?

Die Siegernationen des Zweiten Weltkriegs feiern. Neuerdings lässt US-Präsident Donald Trump besonders viele Flaggen hissen. Deutschland dagegen arbeitet. Aber das in einem doppelten Sinne. Denn das Land müht sich auch 80 Jahre nach Kriegsende noch immer an diesem 8. Mai ab.

Lange ging es vor allem um die Frage, ob er ein Tag der Befreiung oder ein Tag der Niederlage ist. Es ist eine typisch deutsche Reaktion, in dem sich ein zäher Hang zu Schwarz oder Weiß spiegelt. Grautöne sind den Menschen in diesem Land nach wie vor eher fremd.

Eine Ausnahme machte der erste Bundespräsident, der Schwabe Theodor Heuss. Er sprach vom 8. Mai als der „tragischsten und fragwürdigsten Paradoxie der Geschichte für jeden von uns“. Etwas pathetisch formulierte der frühere Zeitungsjournalist den Grund: „Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“ Aber hätte man sich nicht genau deswegen auf einen Gedenktag einigen können, gar müssen?

Als die meisten aus der Generation der noch wortmächtigen Kriegsteilnehmer als Altersgründen verstummt waren, am 8. Mai 1985 – vor 40 Jahren – entschied der damalige Bundespräsident und Ex-Wehrmachtsoffizier Richard von Weizsäcker, dass nicht von einem Tag der Niederlage, sondern vom Tag der Befreiung zu sprechen sei.

Damit folgte er auch dem Trend einer politischen Korrektheit, die eine entscheidende Tatsache in den Vordergrund stellte: Das Scheitern und das Ende des Nazi-Regimes machte den Weg zu Demokratie und Menschenrechten frei.

Wichtig für die meisten: Endlich schwiegen die Waffen

Angesichts der Tatsache, dass nun 152 Frauen und Männer für die rechtsextreme AfD im Deutschen Bundestag sitzen, kann man die befreiende Seite des 8. Mai gar nicht oft genug betonen. Dennoch muss in der Bewertung mehr von dem eingeflochten werden, was Heuss meinte, wenn er von „Paradoxie“ sprach. Denn die allermeisten Menschen im verheerten Deutschland des Jahres 1945 unterschieden nicht zwischen Niederlage und Befreiung.

Für sie war entscheidend, dass man tagsüber wieder auf die Straße gehen und nachts ruhig schlafen konnte oder dass keine Gestapo-Leute mehr an die Tür klopften. Für sie stand die Frage ganz oben: Was wird kommen? Die Rache der Sieger? Ängste schoben sich nach vorn – vor Vergewaltigung, Enteignung und Willkür der neuen Herren.

Unterschiede zwischen den vier Besatzungszonen

Diese Befürchtungen waren in den einzelnen Besatzungszonen ungleich verteilt. Im Osten, wie die russische Armee stand, waren sie am größten; in der englischen und der amerikanischen Zone mischte sich mehr Hoffnung in die Erwartungen. In der französischen Zone in Baden und der Pfalz überwog die Angst vor einem Land, das man in 30 Jahren zweimal überfallen, erniedrigt und ausgeplündert hatte.

Wer wollte den Menschen von damals heute verübeln, dass sie nicht nach hinten, sondern nach vorne schauen und ihre Zukunft in die Hand nehmen wollten? Viele indes empfanden sich als die ersten von Hitlers Opfern, den man 1933 an die Macht gewählt hatte. Hakenkreuzfahnen wurden verbrannt oder zu Kleiderstoff, Hitlerbilder weggeworfen. Ein böser Spuk war vorbei. Der Terror gegen die Juden? War da was? Es dauerte beinahe 40 Jahre, bevor der Holocaust an sechs Millionen Menschen ins kollektive Gedächtnis eindrang.

Die Lehren aus der Katastrophe

Auch die Folgegeschichte des 8. Mai gehört zu diesem 8. Mai. Und sie dauert an. Etwa mit der Frage, wie Erinnerungskultur gestaltet werden muss, wenn alle noch lebenden Zeitzeugen unter der Erde liegen. Hass und Ressentiments – siehe AfD – sind wieder salonfähig. Ist das schweigend hinzunehmen, oder muss man mit der Waffe der historischen Erfahrung und den Lehren daraus dagegen vorgehen? Der 8. Mai gibt die Antwort darauf