Sehr geehrtes Friseurhandwerk,
am 1. März dürft Ihr endlich wieder öffnen. Die Türen in Buden, Salons und Barber-Shops fliegen auf. Passend zum Beginn des Frühlings wird das Haupthaar reduziert, die Kotelette auf Spitze gestellt und manche traurige Locke auf einsamem Kahlkopf freundlich gewickelt.
Mit dem Friseursalon ist es so: Manche Dinge lernt man erst schätzen, wenn sie abwesend sind. Das habe ich am eigenen Leib erfahren, denn ich vermisse meine Friseurin, genauer gesagt: Mein Kopfputz vermisst sie. Nach drei Monaten ohne Schere erblicke ich morgens einen Struwwelpeter im Spiegel. Vielleicht klingt das spießig, aber es geht nichts über einen sauberen Fassonschnitt, der die Ohren freilegt.
Beim Friseur wartet eine andere Welt. Warmer Dampf schlägt dem Kunden entgegen, eine Luft, geschwängert vom Feinsten aus geheimen Giftküchen. Während das Shampoo froschgrün auf fremden Köpfen schäumt, weist mir Claudia meinen Platz am Waschstein zu. „Wie immer?“, fragt sie? Natürlich wie immer. Es sind eingeübte Dialoge, die sich da entspinnen. Die Antworten stehen längst. Aber gesagt muss es sein. Bei keiner anderen Dienstleistung sind Rituale so wichtig.
Zum Beispiel auch: „Ist das Wasser zu heiß?“ Nein, es ist nie zu heiß. Meine Frisörin weiß Bescheid. Sicher erwischt sie die richtige Temperatur, ich lege den Kopf nach hinten und fange an zu träumen.

Das Haareschneiden meint mehr als ein Handwerk. Der Besuch in diesen Etablissements ist die Wellness des kleinen Mannes. Psychohygiene ohne Krankenkasse. Das Kürzen von Mähnen liefert den Vorwand für das Abschalten der Kundschaft. Während die Trockenhauben brummen, entspannen sich Menschen. Der Salon wird zur Insel des Wohlfühlens. Haare fallen und kringeln sich am Boden. Die Stimmung steigt, der Nebensitzer erzählt einen nicht-korrekten Witz, den alle hören sollen. Beim Friseur geht das, hier herrscht solides 20. Jahrhundert.
Klappt es mit dem Friseurbesuch vor der ersten Impfung?
Eine Stunde hier ersetzt manche Nachrichtensendung. Nirgends kursieren Namen und Nachrichten schneller als hier. Es soll an dieser Stelle nicht behauptet werden, dass Frauen mehr und schneller reden, sobald sie mit bunten Lockenwicklern auf dem Hochsitz thronen. Aber soviel ist doch gewiss, dass Männer unter Schere und Shampoo gerne die Klappe halten und einfach zuhören. Oder sie rutschen gedanklich ganz weit nach unten in die Phase der Tiefenentspannung.
Am Ende taucht man wieder auf. Die Meisterin der Scheren flötet Altbekanntes: „Wie wäre es mit etwas Gel?“ Gespielt lässig weise ich das zurück: „Aber nein, ich setze auf natürlichen Glanz.“ Das ist dick aufgetragen, gehört aber zu den Ritualen der eingeübten Begegnung. Dann bezahlen. Das Schweinderl fürs Trinkgeld wird im Vorbeigehen gemästet. Auch deshalb freue ich mich auf den 1. März und spekuliere vorsichtig auf einen Termin noch vor Ostern. Und hoffe, dass ich vor der Erstimpfung wenigstens frisiert bin.