Es ist jetzt wieder viel von Brandmauern die Rede. Von der großen Verantwortung für unsere Demokratie, derer sich gerade Konservative bewusst sein sollten: Mit der AfD, so soll dieses Bild verdeutlichen, darf es nicht den geringsten Berührungspunkt geben, sonst sind dem Durchmarsch der Rechtspopulisten Tür und Tor geöffnet. Als aktuell mahnendes Beispiel gilt einigen die jüngste Abstimmung im Thüringer Landtag. Dort hat die CDU-Fraktion am Donnerstag eine Senkung der Grunderwerbsteuer durchgesetzt – mit Stimmen von der AfD.

Tatsächlich gibt es gute Gründe, die CDU-Landesverbände im Osten der Republik scharf im Blick zu behalten. Aus Kommunalparlamenten werden immer wieder beunruhigende Vorgänge bekannt. In Bautzen stimmten große Teile der CDU-Fraktion für einen AfD-Antrag zur Streichung von Integrationsleistungen.

Wo ist die Grenze zwischen konservativ und reaktionär?

Und wenn es der AfD in Plauen unter tätiger Mithilfe von Unionspolitikern gelingt, dem örtlichen Theater das Gendern zu verbieten, markiert das (bei aller Kritikwürdigkeit dieses Sprachkonzepts) eine Grenzüberschreitung. Ja, es gibt Unionspolitiker, die zwischen konservativ und reaktionär offenbar keine unüberwindliche Schranke sehen, sich sogar eine Koalition mit einer vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften Partei durchaus vorstellen können.

Und doch: Verantwortung für unsere Demokratie tragen keineswegs allein Konservative. Sondern auch jene Kräfte, die aus jeder nur zufälligen oder scheinbaren Nähe zum Rechtsextremismus politisches Kapital zu schlagen versuchen, indem sie einen Popanz der Kontaktschuld errichten. Wenn jede Entscheidung über Kindergärten, Umgehungsstraßen oder Schulsanierungen davon abhängt, ob im Gemeinderat AfD-Abgeordnete ihre Hand erheben, begibt sich dieses Land in Geiselhaft der Populisten.

Auch Oppositionsparteien haben einen Wählerauftrag

In Thüringen stand nicht ein Antrag der AfD zur Debatte, sondern ein klassisches Anliegen von CDU und FDP. Der zweifellos problematische Umstand einer Minderheitsregierung bringt es mit sich, dass Oppositionsanträge Mehrheiten finden können. Schließlich haben auch diese Parteien einen Wählerauftrag zu erfüllen. Bürger müssen darauf setzen können, dass die von ihnen in den Landtag entsandten Abgeordneten ihr Mandat auch tatsächlich ausüben – und nicht im entscheidenden Moment schweigen, nur weil Beifall aus der falschen Ecke droht.

Man kann in der Sache gewiss unterschiedlicher Meinung sein: In einer Senkung der Grunderwerbsteuer aber den Auftakt zu neofaschistischen Fackelzügen zu sehen, bedarf schon einiger Fantasie. Demokratie zeigt sich im Aushandeln widerstreitender Argumente. Wer sie verteidigen will, hat aber darauf zu achten, dass diese Argumente redlich sind.

Abgeordnete von CDU und AfD stimmen gemeinsam über die Grunderwerbssteuer im Plenarsaal des Thüringer Landtag ab.
Abgeordnete von CDU und AfD stimmen gemeinsam über die Grunderwerbssteuer im Plenarsaal des Thüringer Landtag ab. | Bild: Martin Schutt/dpa

Was andernfalls geschieht, zeigt ein Theaterstück des Dichters Ödön von Horváth, entstanden 1931 unter dem Eindruck des erstarkenden Nationalsozialismus. „Italienische Nacht“ handelt von einer linksliberalen Gesellschaft, die sich in gegenseitigen Belehrungen über die wahre liberale Gesinnung und demokratische Anstandsregeln ergeht.

Vor lauter moralischer Selbstweihräucherung zerstreiten sich die Protagonisten derart, dass vom vermeintlichen Bollwerk gegen die Diktatur schließlich nur noch ein Haufen Maulhelden übrig bleibt. Als tatsächlich die Nazis einmarschieren, finden sie statt stolzer Widerstandskämpfer bloß feige Würstchen vor. Und der Stadtrat, der eben noch am lautesten nach Brandmauern rief, unterschreibt jetzt bei vorgehaltener Pistole alles, was die neuen Machthaber von ihm verlangen.

Wer sich empört, ist naiv und hilflos

Zu den Widersprüchlichkeiten einer Demokratie gehört, dass auch ihre Gegner sich daran beteiligen und somit – so schwer es auch fällt, das zu akzeptieren – zwangläufig Einfluss nehmen. Wer dieser Herausforderung allein mit Empörungsritualen, Sprachregelungen und Appellen begegnet, offenbart lediglich seine Naivität und Hilflosigkeit.

Rechte Gesinnung ist nämlich leider keine Infektionskrankheit, die sich einfach durch möglichst gründliche Hygiene bekämpfen ließe. In der Größenordnung, wie sie sich aktuell in Umfrage-Ergebnissen abzeichnet, zeigt sich in ihr vielmehr ein gesellschaftliches und politisches Versagen. Wenn irgendetwas die Demokratie aus ihrer Krise herausführen kann, so doch nur redliches Argumentieren, demokratisches Entscheiden und entschlossenes Handeln.

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Bei Horváth übrigens findet am Ende einzig die politisch völlig unbedarfte Ehefrau des Stadtrats den Mut zur Gegenwehr. Die interessiert sich zwar nicht die Spur für den politischen Betrieb. Dafür hat sie die selten gewordene Begabung, Unterscheidungen treffen zu können: zwischen echten und scheinbaren Problemen, wirklichen und vermeintlichen Gegnern, tatsächlichem Mut und eitler Rechthaberei.