Ist der 6. November der neue Schicksalstag der Deutschen? Also der Tag, der ja eigentlich am 9. November einschneidende Ereignisse der deutschen Geschichte bündelt: Fall der Berliner Mauer, Reichspogromnacht, Hitlerputsch und Novemberrevolution. Nein, da reicht der 6. November doch nicht heran. Auch wenn es der Politikredaktion des SÜDKURIER so vorgekommen sein mag an diesem extrem langen Arbeitstag.

Der Feierabend währte nicht lange

Los ging es in den frühen Morgenstunden, als sich allmählich eine Entscheidung bei der US-Wahl abzeichnete: Immer mehr der wichtigen Swing-States gingen klar an den Republikaner Donald Trump, so klar, dass sich am Ende die demokratische Kandidatin gar nicht mehr zu ihrer Wahlparty traute.

Beim SÜDKURIER wurden Kommentare verfasst und überarbeitet, Interviews geführt und Sonderseiten gebaut. Mit dem Gefühl, ein gehaltvolles Produkt erstellt zu haben, gingen wir in den wohlverdienten Feierabend, der dann allerdings nicht lange währte...

Geballte Faust am Wahlabend: Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump tritt zusammen mit Ehefrau Melania und Sohn ...
Geballte Faust am Wahlabend: Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump tritt zusammen mit Ehefrau Melania und Sohn Barron auf einer Wahlparty in West Palm Beach, Florida, auf. | Bild: Alex Brandon, dpa

Wie können die nur?

Etwa gegen 20 Uhr zeichnet sich ab, dass die erste Ampel-Koalition Deutschlands zerbricht. Die ersten Meldungen von der gescheiterten Einigung im Fraktionsausschuss und von der Entlassung des Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) trudeln ein – und die Kollegen kehren in die Redaktion zurück.

Der vorherrschende Eindruck ist zunächst Entsetzen, vor allem darüber, dass Teile der Regierung offenbar nicht die staatspolitische Verantwortung ihres Amts verstehen: Wie können die nur an einem solchen Tag, nach dieser US-Wahl mit den Folgen auch für Deutschland, den Laden dicht machen? Erst in den Tagen danach setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein Ende dieses Bündnisses einfach doch die beste Lösung ist.

Die Nachricht des Tages für Deutschland findet in der Ausgabe des 7. November dann jedenfalls erst auf Seite sechs statt. Das lässt sich zu dieser vorgerückten Stunde nicht mehr anders lösen.

Mitten im Wahlkampf wird der Kandidat ausgetauscht

Ein angemessenes Fanal für dieses bewegte politische Jahr, könnte man denken. Dieses hielt so einiges an Überraschungen bereit: Diverse unerwartete Wenden im US-Wahlkampf, zum Beispiel – nicht zuletzt ein Attentat auf Trump, ein folgenschweres Interview mit einem tattrig wirkenden Joe Biden und ein Wechsel der Spitzenkandidatin bei den Demokraten mitten im Rennen. Es wurde einem jedenfalls nicht langweilig.

Auch nicht nach der US-Wahl, als Wahlsieger Trump begann, sein reichlich schräges Personaltableau zu präsentieren, mit dem er künftig regieren will: angefangen bei seinem neuen Beauftragten für Bürokratieabbau, dem Tech-Milliardär Elon Musk, der im Wahlkampf schon verrückte Auftritte hingelegt hatte – inklusive dem (nicht verhinderten) Stimmen-Kauf. Moderatoren, die künftig das Pentagon leiten sollen, eine Putin-Anhängerin, der man die Geheimdienste überlässt, ein Wissenschaftsfeind, der künftig die Gesundheit der Amerikaner verantworten soll.

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Spätestens jetzt wird klar, dass Trumps zweite Amtszeit anders ablaufen wird als die erste: Diesmal will er alles durchdrücken, was er sich vorstellt, ohne Widerstände von Leuten, die sich mit der Materie auskennen. Und er will Rache nehmen an allen, die ihm mit Prozessen das Leben schwer gemacht haben.

Erfolge für die AfD in Straßburg und im Osten

Was das Wahljahr für Deutschland bringen sollte, hatte sich schon bei den Europawahlen im Juni abgezeichnet: Im EU-Parlament blieben die Konservativen die stärkste Fraktion, Sozialdemokraten, Grüne und Linke verloren, rechte Parteien legten zu – in Deutschland auch mit Hilfe der Jugend.

Ein Vorzeichen für die Landtagswahlen im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Erstmals ging hier die AfD in Thüringen als Siegerin vom Platz, in Sachsen und Brandenburg landeten CDU beziehungsweise SPD knapp vor ihr. Auch eine Art Zeitenwende.

Eine Frau, eine Partei: Sahra Wagenknecht

Kräftig mitgemischt hatte bei diesen Wahlen eine Partei, die sich erst Anfang des Jahres gegründet hatte: die One-Woman-Show Bündnis Sahra Wagenknecht. In Rekordzeit hatte die linke Ikone es geschafft, als Alternative vor allem ihrer zerbröselnden Ex-Partei, aber in Teilen auch der AfD wahrgenommen zu werden. Inzwischen ist das BSW in Brandenburg und Thüringen an der Regierung beteiligt.

Kurz nachdem die Ampel-Koalition beerdigt wird, wird also ein neuartiges politisches Bündnis geboren: die Brombeer-Koalition, ein Begriff, der dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte eingefallen ist.

Nach dem Ampel-Aus ist das Jahr allerdings nicht um. Achtung, es sind noch ein paar Überraschungen geboten – positiver Natur! Anfang Dezember nehmen Rebellengruppen dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad nach und nach sein Land weg und dann auch seinen Palast. Der Diktator muss fliehen, die Syrer weltweit jubeln.

Auferstanden aus Schutt und Asche: die Notre-Dame in Paris.
Auferstanden aus Schutt und Asche: die Notre-Dame in Paris. | Bild: Bernat Armangue, dpa

Noch etwas macht Mut zum Ausgang des Jahres. Am selben Wochenende, an dem Assad nach Moskau flieht, wird in der französischen Hauptstadt eine Kathedrale wieder eingeweiht: Notre-Dame, auferstanden aus Feuer und Staub, noch strahlender als zuvor, und das in nur fünf Jahren. Gefeiert wird das von geladenen Gästen aus aller Welt: In der ersten Reihe neben Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sitzt Donald Trump und gibt sich beeindruckt. Ob ihn dieses Erlebnis den Europäern näherbringt? Man kann ja mal hoffen.