Herr Kohl, Sie sind zu Beginn der Corona-Krise ins Maskengeschäft eingestiegen. Sind Sie ein Glücksritter? Im Ernst: Wie kam es dazu?
Im April 2020 herrschte ein akuter Mangel an persönlicher Schutzausrüstung, während sich gleichzeitig die Corona-Pandemie in Deutschland rasant ausbreitete. Im Bundesgesundheitsministerium wurden verschiedene Beschaffungswege gleichzeitig initiiert, um möglichst viele Masken einzukaufen. Nach meinem Eindruck lief das sehr chaotisch ab, nicht zuletzt, weil Herr Spahn noch im Februar und März die Wirksamkeit von Masken bestritten hatte und das Ministerium völlig unvorbereitet der Pandemie gegenüberstand. Mittlerweile wissen wir ja, dass einige Lieferanten offenbar durch zweifelhafte Kontakte und Vetternwirtschaft direkt an das BMG lieferten. Unabhängig von diesen Machenschaften einiger Abgeordneter gab es aber gleichzeitig ein reguläres Ausschreibungsverfahren, ein sogenanntes Open-House-Verfahren (OH). Im OH konnte sich jeder bewerben. Jedes lieferbereite Unternehmen erhielt einen identischen Vertrag mit fixen Konditionen wie Preis, Liefertermin und zu erfüllender Qualitätsnorm.
Meine Frau und ich verfügen über langjährige Beschaffungserfahrung für sicherheitsrelevante Anwendungen in der Autoindustrie aus Korea und China. Zu unseren Kunden zählten unter anderem Rolls Royce, Bentley, VW, BMW oder Opel. Daher wissen wir um die Herausforderungen komplexer Beschaffungsprozesse aus Ostasien und kennen uns im dortigen Markt gut aus. Zusammen mit einem im Gesundheitswesen in China tätigen Marktführer haben wir dann eine Million KN95-Masken an das Bundesgesundheitsministerium geliefert. Wir taten das im Vertrauen, dass wir als Unternehmen einen positiven Beitrag in der Krise leisten und dass das BMG sich an seine eigenen Verträge hält – schließlich hätte es damals auch noch viele andere Abnehmer für Masken gegeben. Es ist absurd, Unternehmern, die sich an einer öffentlichen Ausschreibung beteiligt haben, im Nachgang nun Glücksrittertum vorzuwerfen.
Anders als andere haben Sie bislang nur Geld reingesteckt. Mit welcher Begründung verweigert das Ministerium die Zahlung?
Das Bundesgesundheitsministerium und seine Anwälte von Ernst & Young (EY) behaupten, dass unsere Masken angeblich Testkriterien nicht erfüllen. Dabei werden aber Kriterien geprüft, die überhaupt nicht in der bestellten Norm GB2626-2006 enthalten sind. Es ist, als ob Sie ein Auto bestellen und dessen Abnahme dann aber mit der Bemerkung „Das Auto kann ja nicht schwimmen“, ablehnen. Dabei haben Sie Schwimmfähigkeit gar nicht ursprünglich bestellt.
Das sieht inzwischen auch das Landgericht Bonn so und hat in ersten Urteilen die Tests des BMG als vertragswidrig anerkannt, sodass das BMG bis heute über 26 Millionen Euro an vier OH-Lieferanten zahlen musste. Bemerkenswert ist auch, dass das Bundesgesundheitsministerium immer wieder neue Gründe erfindet, um sich aus seiner vertraglichen Verantwortung zu stehlen. Im Nachgang werden Masken zu Medizinprodukten ernannt, obwohl diese nachweislich als Arbeitsschutzprodukt zu kategorisieren sind. Selbst Arbeitsminister Hubertus Heil, dessen Ministerium für Arbeitsschutz zuständig ist, widerspricht an dieser Stelle seinem Kollegen Jens Spahn.
Bestellt und nicht bezahlt? Was das Bundesgesundheitsministerium und andere sagen.
Taugen Ihre Masken wirklich nichts? Konnten Sie das prüfen?
Ich habe Rückstellmuster der gelieferten Masken insgesamt sechs Mal von zertifizierten Prüfinstituten testen lassen, vier Mal in Deutschland und zwei Mal in China. Alle sechs Tests wurden vollständig bestanden.
Sie erheben schwere Vorwürfe gegen das Bundesgesundheitsministerium: Dieses habe Leute, vor allem die kleineren Firmen, über den Tisch gezogen. Verträge würden nicht eingehalten. Das BMG verlangte im Nachhinein Qualitätsstandards, die in der Ausschreibung nicht festgelegt waren?
Das Bundesgesundheitsministerium handelt willkürlich. Manche Open-House-Lieferanten, die Masken vom gleichen chinesischen Hersteller wie ich geliefert haben, sind bezahlt worden. Andere nicht. Der Grund dafür liegt nach meiner Überzeugung darin, dass das Ministerium während der Beschaffung gravierende Fehler gemacht hat und nun versucht, diese durch Nichtbezahlung seiner Rechnungen zu vertuschen. Laut Bundesrechnungshof hat Jens Spahn siebenfach zu viele FFP-2-Masken und sechzehnfach zu viele OP-Masken eingekauft. Der Präsident des Bundesrechnungshofs hat sich ungewöhnlicherweise dazu sogar in einem Fernsehbeitrag am 6. Oktober bei PlusMinus in der ARD geäußert.

Nun versucht Jens Spahn offenbar, die zu zahlenden Rechnungen im Nachgang zu drücken, um die Konsequenzen seiner Fehler für den Steuerzahler zu begrenzen. Aber die Masken wurden ja bereits vertragsgemäß bestellt und geliefert. Also versucht man nun, die Zeche zu prellen und aus geschlossenen Verträgen wieder auszusteigen. Das Unvermögen des BMG zeigt sich auch darin, dass im OH-Verfahren nach einer Norm GB2626-2006 bestellt wurde, die zum Bestellzeitpunkt in Deutschland von keinem Prüfinstitut wie Dekra oder TÜV geprüft werden konnte. Deshalb hat das BMG eigene Tests „in Anlehnung“ an die bestellte Norm improvisiert. Diese Tests haben sich allerdings als nicht praxisfest erwiesen und das BMG hat die eigenen Tests seither mehrfach ändern müssen.
Wo sind Ihre Masken jetzt?
Das ist eine gute Frage. Ich habe seit der Lieferung im Mai 2020 keinen Zugang mehr zu den Masken. Angeblich liegen sie in einem Lager in Crailsheim.
Wann beschlossen Sie, zu klagen?
Nachdem das BMG monatelang seinen vertragsmäßigen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkam und vielfache Versuche einer Kontaktaufnahme ohne Ergebnis blieben, habe ich Ende Juli 2020 Klage beim zuständigen Landgericht in Bonn eingereicht.
Sie sind nicht der einzige Händler, dessen Ware vom Bundesgesundheitsministerium nicht bezahlt wurde. Vor dem Landgericht Bonn sind mittlerweile 100 Verfahren anhängig. Haben Sie Kontakt? Hält man da zusammen?
Inzwischen haben wir eine gute Zusammenarbeit gefunden. Bei David gegen Goliath müssen die Davide zusammenhalten.
Die ersten Lieferanten bekamen vor dem Bonner Landgericht recht. Was heißt das für Sie und die anderen Kläger? Wie sind die Aussichten auf Erfolg?
Ich denke gut. Es ist eine Frage von Ausdauer und guten Argumenten – und die haben wir.
Wie lange halten Sie das durch?
Lange. Die teilweise gruseligen Einschüchterungsversuche der BMG-Anwälte von EY wie „Wir haben endlos tiefe Taschen“ und „Wie lange halten Sie das durch, Herr Kohl?“ bewirken bei mir nur noch mehr Entschiedenheit, das Verfahren, wenn nötig, durch alle Instanzen durchzuhalten und zu gewinnen.
Warum gehen Sie damit an die Öffentlichkeit? Ihrem juristischen Eigeninteresse ist das nicht unbedingt dienlich.
Ich bin nicht nur Lieferant, sondern auch Bürger dieses Landes. Ich möchte nicht, dass Jens Spahn als politisch Verantwortlicher dieses Beschaffungsversagens damit durchkommt. Die Bundesrepublik Deutschland zahlt ihre Rechnungen nicht, damit ein Minister seine Karriere retten kann, unglaublich. Dieser Skandal ist eine Schande für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat. Da muss man kämpfen.
Was erhoffen Sie sich davon?
Ich möchte, dass die Verantwortlichen – allen voran Herr Spahn – alles offenlegen müssen und dafür Rechenschaft vor der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag ablegen. So etwas darf in Deutschland nicht ohne Konsequenzen bleiben.
Welche Konsequenzen sollte das Desaster um die Maskenbeschaffung Ihrer Meinung nach haben?
Nach der Pandemie ist vor der nächsten Pandemie. Wir müssen uns viel besser vorbereiten und zum Beispiel Masken für optimalen Virenschutz entwickeln – so wie im medizinischen Bereich Impfstoffe entwickelt wurden. Es geht darum, aus Fehlern zu lernen. Dafür brauchen wir heute Aufklärung und Rechenschaft.