Vor gut einem Jahr schien sie noch auf dem absteigenden Ast. Im Mai 2022 flog die AfD aus dem Landtag in Schleswig-Holstein, alle Umfragewerte zeigten nach unten, das Führungspersonal versank in Machtkämpfen. Heute kann die Partei vor Kraft kaum laufen. In aktuellen Umfragen liegt die AfD bei 19 Prozent und damit vor SPD und Grünen. Schon träumen die Rechten von weiteren Höhenflügen. Für die Bundestagswahl 2025 will die AfD einen Kanzlerkandidaten küren, Parteichefin Alice Weidel hat bereits Interesse an dem Job angemeldet. Andere werden ebenfalls den Finger heben.

Ein Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin mit AfD-Parteibuch? Ein Regierungschef mit Scharfmacher-Sprüchen, nationalistischem Kurs und verstörenden Auftritten, so wie in Ungarn oder gar in Trumps Amerika? Bei aller berechtigten Sorge: So weit ist es noch lange nicht. Die AfD mag sich an ihren gegenwärtigen Umfrageerfolgen berauschen. Aber 20 Prozent reichen nur für die Oppositionsbank. Um regieren zu können, bräuchte sie einen Partner – den sie nicht hat, solange die CDU standhaft bleibt.

In Deutschland ist etwas ins Rutschen geraten

Dennoch zeigt das nervöse Flackern am rechten Rand, dass in Deutschland etwas ins Rutschen geraten ist, seit die AfD im vergangenen Herbst mit über zehn Prozent in den Landtag von Niedersachsen einzog, während die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde zerschellte. Woran liegt‘s? Weil die Ampelkoalition ein erbärmliches Bild abgibt, sagt die Union. Weil Politiker von CDU und CSU Reden im AfD-Stil halten und die Rechten dadurch salonfähig machen, entgegnet das Regierungslager. An beidem mag etwas dran sein. Dennoch müssen bei einem derart massiven Stimmungswandel die Ursachen tiefer liegen. Die AfD profitiert von einer Themenlage, auf die es in einer Zeit von Krieg und Krisen keine billigen Antworten geben kann: Preisexplosion, Energie, Unsicherheit, vor allem aber eine erneut wachsende Zahl von Flüchtlingen.

Solange sich an dieser Tagesordnung nichts ändert, kann die AfD auf ihre alte Strategie setzen, sich als einzig verbliebene Opposition in Deutschland zu verkaufen. In den Augen ihrer Anhänger führt die Partei einen Kampf an zwei Fronten: Von außen wird die Bundesrepublik durch Migranten aus anderen Kulturkreisen bedroht, von innen durch eine grün-ideologische Klima-Hysterie. Beide Themen treiben der AfD Wähler zu. Würde darüber in einer Volksabstimmung entschieden, käme mit Sicherheit ein anderes Ergebnis heraus als die Politik der Ampelkoalition.

Die Kluft zwischen Volk und Volksvertretern

Es ist die schleichende Entfremdung zwischen Regierenden und Regierten, zwischen Volk und Volksvertretern, die den Populisten aller Schattierungen das Geschäft leicht macht. 80 Prozent der Bundestagsabgeordneten haben einen Hochschulabschluss, aber nur 20 Prozent der Wähler. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik saßen auch Handwerker, Landwirte und Arbeiter im Parlament. Inzwischen sieht man dort überwiegend Rechtsanwälte, Lehrer und beurlaubte Beamte – kein Unterhaus, sondern eher ein Oberhaus voller gut abgesicherter Akademiker. Wie soll eine solche Volksvertretung erkennen, was im Volk rumort und warum?

Auch die AfD hat in ihren Reihen keine repräsentativeren Berufe zu bieten: Björn Höcke war Oberstudienrat, Alice Weidel Karrieristin bei Goldman-Sachs. Aber die Partei weiß es zu kaschieren und gibt sich vor ihren Anhängern als Anwältin des kleinen Mannes, die denen da oben nach Kräften einheizt. Wie das rechte Lager mit dieser Masche Politik macht, zeigt sich an der gezielten Verteufelung von Robert Habeck. Persönliche Diffamierung statt sachlicher Auseinandersetzung – das ist Populismus wie aus dem Lehrbuch. Nach dem Abschied von Angela Merkel braucht die rechte Szene ein neues Feindbild und findet es in einem grünen Wirtschaftsminister, dem im Stress des vergangenen Jahres leider das politische Gespür abhanden kam.

Die Brandmauer nach rechts

Gegen die mangelnde Bodenhaftung, die viele ihrer Wähler an die Ränder treibt, können die etablierten Parteien etwas unternehmen – indem sie auf die Menschen zugehen und Augen und Ohren aufmachen. Gegen Hass und Hetze hilft Zuhören nichts. Diese Teile der AfD wollen keine andere Politik, sondern eine andere Republik. Wer ihnen hinterher rennt wie der bayerische Trump-Imitator Hubert Aiwanger, kann nur verlieren. Für Friedrich Merz und seine CDU heißt es daher: Abstand halten. Eine Partei, die das Europa-Parlament abschaffen will, die im Ukraine-Krieg faktisch auf der Seite Putins steht und die wegen der wachsenden Zahl von Rechtsextremisten in ihren Reihen vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kann für Christdemokraten niemals ein Partner, sondern immer nur ein Gegner sein. An der Brandmauer nach rechts gibt es nichts zu rütteln.