Soll Deutschland schwere Waffen aus dem Bestand der Bundeswehr an die Ukraine liefern? Seit Tagen wird über diese Frage debattiert, in der Bundesregierung gehen die Meinungen auseinander. Kanzler Olaf Scholz (SPD) zeigt sich zugeknöpft, Außenminister Annalena Baerbock (Grüne) wie auch ihr SPD-Kollege Michael Roth, Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses, sprechen sich für eine Lieferung schweren Geräts aus. Bisher sind dafür zwei Panzertypen der Bundeswehr im Gespräch:
Schützenpanzer „Marder“: Ein ständig verbesserter Veteran
Das Konzept dieses rund 33 Tonnen schweren Gefechtsfahrzeugs wurde in den 60er-Jahren entwickelt, um dem neuen Kampfpanzer „Leopard 1“ ein ergänzendes Waffensystem zur Verfügung zu stellen.
Aufgabe des „Marder“ ist es, Panzergrenadiere – von denen er sieben Mann voll ausgerüstet aufnehmen kann – durch Panzerung geschützt auf dem Gefechtsfeld über eine Heckklappe abzusetzen und dort mit einer 20-Millimeter Maschinenkanone Feuerunterstützung zu leisten.
Der Panzer wurde von der Firma Rheinmetall gebaut, seit den 70er-Jahren in Dienst gestellt und hat mehrere Modernisierungen – sogenannte Kampfwertsteigerungen – erfahren, die von Rheinmetall bis heute vorgenommen werden.
Eine Reihe von Nato-Partnern haben den „Marder“ ebenfalls eingeführt, die Bundeswehr operierte in Afghanistan als rollende Festung erfolgreich mit ihm.
Für die Technik braucht es intensive Ausbildung
Grundsätzlich wäre der „Marder“ für die ukrainische Armee eine Option für die Planung einer Gegenoffensive, um russisch besetztes Terrain zurückzuerobern. Probleme ergeben sich bei der Frage, ob und wie schnell ukrainische Panzersoldaten in der Lage sind, das Fahrzeug gewinnbringend einzusetzen, etwa die für den Nachtkampf vorgesehenen Wärmebildgeräte.

Ein höherer Offizier der Bundeswehr, früher selbst Chef einer Panzerkompanie und mit der Technik vertraut, weist auf Anfrage gegenüber dem SÜDKURIER auf Probleme hin. „Entscheidend ist nicht nur die Fähigkeit, den ‚Marder‘ im Gelände nach taktischen Vorgaben bewegen zu können“, so der Offizier. „Auch der Gebrauch der Waffenanlage benötigt Ausbildung und Erfahrung.“
Die Maschinenkanone, die bis zu 1030 Schuss pro Minute abfeuern kann, sei zwar eine „ausgezeichnete Anlage“, allerdings in der Bedienung „äußerst anspruchsvoll“. Für die Wartung der Waffe sind ausgefuchste Profis notwendig.
Mit der Panzerabwehrrakete „Milan“ gegen feindliche Fahrzeuge
Ein auf die deutsche Hochwert-Technik eingespieltes Team beherrscht diese Anforderungen. Auf dem Fahrzeug nicht ausgebildete Soldaten hätten höchstwahrscheinlich Probleme. Das gilt auch für die Bedienung der Panzerabwehrlenkwaffe „Milan“, mit der ein „Marder“ ebenfalls ausgerüstet werden kann. Damit die Kurden-Armee im Kampf gegen die IS-Terrorkrieger die „Milan“ verwenden konnten, schickte die Bundeswehr seinerzeit Ausbilder in den Nordirak.
Kampfpanzer „Leopard 1“: Der gefürchtete Gegner von einst ist noch immer leistungsfähig

Die Bundeswehr stellte ihn seit Mitte der 60er-Jahre in Dienst und löste damit im Warschauer Pakt einen Schock aus. Denn der von einem 830-PS-MTU-Triebwerk aus Friedrichshafen angetriebene „Leo“, wie er in der Truppe genannt wurde, verband dank einem harmonischen Verhältnis zwischen Gewicht und Leistung ungewohnte Schnelligkeit mit der Feuerkraft aus einer 105-Millimeter-Kanone und hochwertigem Panzerschutz.
Damit war er jedem damaligen russischen Modell weit überlegen. Eine Waffenstabilisierungsanlage sorgte ab Mitte der 70er dafür, dass die Kanone auch bei der Fahrt immer auf das Ziel gerichtet blieb.
Einer der meist gebauten Kampfpanzer des Westens
Rund 4700 „Leopard 1“ wurden bis 1984 bei Krauss-Maffei Wegmann in München-Allach gebaut. Viele Nato-Partner stellten das Vorzeigemodell aus der „Raubtier-Familie“ der Bundeswehr in Dienst, wo der „Leo 1“ teilweise – mehrfach kampfwertgesteigert – noch heute rollt. Die Bundeswehr hat ihn ab Mitte der 80er-Jahre ausgemustert und durch den „Leopard 2“ ersetzt, von dem es inzwischen sieben Entwicklungsstufen gibt.
Aber wie beim „Marder“ wäre eine Einsatz des Veteranen in der Ukraine aus technischen Gründen mit Schwierigkeiten verbunden. Zwar kann der „Leopard 1“ zwar mit dem auf russischer Seite eingesetzten „T 72“ konkurrieren, ist moderneren Panzertypen in puncto Feuerkraft und Geschossreichweite aber unterlegen.
Vor allem auf die Qualität der Besatzung kommt es an
Um diesen Nachteil auszugleichen, müsste die Besatzung aus der – wie der Bundeswehr-Offizier betont – „hervorragenden kampfwertgesteigerten Waffenanlage“ des „Leopard 1“, der seine Projektile bis zu 3500 Meter weit schießt, das Beste herausholen.
Was einem eingespielten Panzer-Team so gut gelingen kann, dass man auch Besatzungen neuerer Muster überlegen sein kann, trifft indes auf an diesem Waffensystem unausgebildete Soldaten nicht zu. „Ein ukrainischer Panzerfahrer müsste mindestens zwei Wochen auf dem ‚Leopard 1‘ geschult werden“, sagt der Bundeswehr-Offizier. Das wäre aber noch keine Gewähr dafür, dass der Panzer im Gelände auch taktisch sinnvoll bewegt wird.
Viel Praxis auf dem Truppenübungsplatz
Was dazukommt: Ausbildungsstand und Zusammenspiel von Kommandant, Richt- und Ladeschütze. Deren Fähigkeiten entscheiden über den Erfolg des Einsatzes.
Normalerweise braucht es Monate an Theorie-Ausbildung und wochenlange Praxis auf einem Truppenübungsplatz, bis Ziele aus dem Stand oder aus der Bewegung heraus schnell erfasst und bekämpft werden können. Ziel ist: Spätestens der zweite Schuss sollte sitzen.
Mit einer Schnell-Einweisung auf den Waffensystemen „Marder“ und „Leopard 1“ wäre es in der Ukraine also nicht getan, auch wenn ein Ukrainischer Panzerfahrer das deutsche Schwergewicht relativ schnell über eine Straße steuern könnte.

Nach Einschätzung des Bundeswehr-Offiziers wäre es daher sinnvoller, die Ukrainer mit Panzerfahrzeugen aus früherer sowjetischer Produktion zu versorgen, sofern sie in einem der neuen östlichen Nato-Staaten noch in Gebrauch sind. „Das ist alte, aber bewährte Militärtechnik“, so der Mann aus der Truppe. „Und auch diese Fahrzeuge sind immer wieder technisch nachgerüstet worden.“