Markus Baur, in seinem neuen Buch „Hölleluja“ würdigt Sie der frühere Mitspieler Stefan Kretzschmar als „genialen Künstler und letzten deutschen Spitzen-Spielmacher“. Gleichzeitig nennt er Sie „den größten Schussel außerhalb des Spielfeldes“, der sogar mal bei einer Schneeballschlacht seinen Ehering verloren habe. Was sagen Sie dazu?
Das hört sich charmant an (lacht). Aber es stimmt: Mir ist oft Kurioses passiert. So ist mir auch mal ein Metall-Schirmständer mit Spitze in den Fuß gefallen und dort festgesteckt. Ansonsten weiß ich zu Kretzschmars Beispiel nur zu sagen, dass ich vor dem EM-Halbfinale 2002 bei der Schneeballschlacht der einzige ohne Handschuhe war und die Jungs mich in meiner Aufregung dann mit ihrer angeblichen Sucherei ausgetrickst haben. Ich hatte den Ring zwar verloren, aber Christian Rose hatte ihn blitzschnell unbemerkt eingesteckt. Da ich kurz darauf auch Geburtstag hatte, musste ich beides sehr teuer einlösen.
Was waren für Sie die größten Momente bei der WM 2007? Sie haben ja im dramatischen Halbfinale gegen Frankreich mit Ihrem einzigen Feldtor die Verlängerung erzwungen und später den Siebenmeter zum 32:31-Sieg verwandelt?
Ich erinnere mich an viele extrem tolle Momente sowie an mehrere Anekdoten, die uns zu einem verschworenen Team werden ließen. Und an die ganze Euphorie um uns herum, die sich wegen einer unbeschreiblich großen Freude bei mir ins Gedächtnis gebrannt hat. Das beginnt mit der Zugfahrt nach Berlin zum Auftaktspiel gegen Brasilien, wo wir keine Sitzplätze hatten. Dass wir uns alle über Blackys (Christian Schwarzer; die Red.) Rückkehr gefreut haben und trotzdem das Vorrundenspiel gegen Polen verloren.
An die Pizza-Affäre, als unserem Trainer Heiner Brand wegen des zusätzlichen, nicht abgesprochenen Abendessens die Hutschnur platzte. An unseren Umzug in das vermeintlich ruhige Dorf Wiehl, wo aber Tausende Menschen jubelnd mit Luftballons vor unserem Hotel standen. An unser Umherhüpfen nach dem Finalsieg mit aufgeklebten Heiner-Brand-Bärten und Pappkronen. Unfassbar war auch die gigantische Lautstärke beim Hauptrundenspiel gegen Slowenien in Halle und dann vor allem bei den K.o.-Spielen bis zum Finale in Köln. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut.
Was sind die Stärken der aktuellen Nationalmannschaft, was die Schwächen?
Ich weiß nicht, ob es eine bessere Abwehr gibt als unsere. Aber wir haben mit unseren beiden Torhütern eine extrem starke – und dazu gute schnelle Außenspieler, die alle für einfache Tore sorgen können. Allerdings besitzen wir nicht dieses besondere Einfache im Angriff. Wir müssen im Rückraum etwas mehr arbeiten als andere Mannschaften und unsere Spieler brauchen untereinander mehr Hilfe. Aber grundsätzlich sind Breite, Ausgeglichenheit und Qualität in unserem Kader sehr, sehr hoch.
Es ist auffällig, dass im Vorfeld der WM immer wieder der Zusammenhalt beschworen wurde. 2007 war das kein Thema, sondern eine Selbstverständlichkeit. Warum muss denn der Zusammenhalt in der begeisternden Mannschaftssportart Handball jetzt so betont werden?
Es ist einfach so, dass in den vergangenen zwölf Jahren auch im Handball eine kulturelle Veränderung stattgefunden und sich vieles in den multimedialen Raum verlagert hat. Eine andere Generation mit anderen Spielertypen ist da, die überall, wo sie aufkreuzen, der Selfie-Mania ausgesetzt sind. Auch bei uns war die Eigendarstellung dem Einzelnen wichtig, aber die Kommunikation und das Miteinander unter den Leuten hat sich verändert, sodass heute mehr über WhatsApp kommuniziert als miteinander gesprochen wird. Vielleicht müsste man daran mehr arbeiten.
Ex-Erfolgstrainer Heiner Brand sagt, bei der Heim-WM sollten die Ansprüche hoch sein. Was sagen Sie dazu?
In Deutschland sind die sportlichen Ansprüche generell hoch. Im Handball haben wir uns den Anspruch selbst auferlegt, und das ist gut so, weil wir ein sehr großer Verband sind, eine super Bundesliga haben und gute Jugendarbeit. Wir gehören zu den besten Nationen weltweit und so muss bei einer Heim-WM das Halbfinale das Minimalziel sein. Dann spielen wir um Medaillen, denn wer im Halbfinale ist, kann auch den Titel gewinnen.
Wer sind die Favoriten bei der WM?
Ich hoffe natürlich auf Deutschland. Zu den Favoriten zählen die Franzosen, die trotz ihres Umbruchs in der Breite dank ihrer Jugendarbeit noch stärker aufgestellt sind als wir. Die Dänen zählen dazu und auch die Norweger, die viele besondere Spieler mit richtig guter Qualität aufbieten.
Worauf können wir uns freuen?
Ich freue mich wahnsinnig auf die Euphorie, denn Deutschland wird wieder Handball schauen. Es war in den beiden letzten Testspielen schön zu sehen, wie viele der Fans sogar noch Trikots von 2007 anhatten.
Fragen: Gabriele Thoma
Zur Person
Markus Baur stammt aus Mimmenhausen, er kam am 22. Januar 1971 in Meersburg zur Welt. Er absolvierte 228 Länderspiele (712 Tore), 2007 wurde er mit dem DHB-Team Weltmeister. Weitere Erfolge: zweimal Handballer des Jahres (2000, 2002), Vize-Europameister 2002, Vize-Weltmeister 2003, Europameister 2004 und Silbermedaillengewinner bei Olympia 2004. Er spielte für: TSV Mimmenhausen, VfL Pfullingen, SG Wallau/Massenheim, TV Niederwürzbach, HSG Wetzlar, TBV Lemgo und Pfadi Winterthur. Als Trainer arbeitete Baur in Winterthur und Lemgo, bei TuS Nettelstedt-Lübbecke, Kadetten Schaffhausen und TBV Stuttgart, dazwischen auch als Junioren-Nationalcoach. Aktuell arbeitet er als Projektmanager (Schwerpunkt Sport und Gesundheit) bei einem Immobilienunternehmen in Bad Wörishofen. Ehefrau Marion stammt aus Reutlingen, Tochter Chiara (19) spielt Handball bei den Waiblingen Tigers (2. Liga) und mit Zweitspielrecht für den SV Allensbach (3. Liga), Die Söhne Mika (14) und Kimi (10) spielen Fußball beim SC Freiburg, Mika in der U 15, Kimi im Perspektiv-Kader. Bei der WM ist Baur als TV-Kommentator des ZDF und als Zeitungskolumnist für die G-14-Gruppe im Einsatz. Die G 14 ist ein Zusammenschluss von deutschen Regionalzeitungen, zu dem auch der SÜDKURIER gehört. (sk)