Herr Schiffner, die Saison in der Fußball-Bundesliga ist zu Ende und damit auch Ihre Karriere als Schiedsrichter im Profibereich. Mit welchen Gefühlen verabschieden Sie sich von der großen Fußball-Bühne?
Mit großer Dankbarkeit. Mich freut es, dass ich so lange dabei sein durfte und mit einer geringen Fehlerquote größtenteils erfolgreich an Spielleitungen auf höchstem Niveau mitgewirkt habe. In den 23 Jahren gab es beim Deutschen Fußball-Bund und auch international so viele Neuerungen, die ich miterleben durfte. Das war echt eine spannende Zeit. Bei der Einführung des vierten Offiziellen war ich dabei, ebenso beim Start der Torlinientechnologie, den Headsets, dem Torrichter und natürlich dem Videoschiedsrichter. Es ist nie langweilig geworden, man musste sich immer neu einstellen, weil das in den knapp zweieinhalb Dekaden echte Quantensprünge in der Schiedsrichterei waren.
An welche Höhepunkte, sowohl national als auch international, werden Sie sich noch einige Jahre zurückerinnern?
Ich schwelge selten in der Vergangenheit und bin ein Typ, der eigentlich immer nach vorne schaut. Aber klar, Finalspiele sind auch für uns Schiedsrichter etwas ganz Besonderes. Beim Europa-League-Finale 2014 war ich dabei, zudem bei den DFB-Pokal-Endspielen 2013 und 2018. Aber toll waren auch die exotischen Dinge, die ich erlebt habe. Als Assistent von Dr. Felix Brych habe ich das Pokalfinale in Ägypten geleitet. Da haben wir uns tagsüber noch die Pyramiden angeschaut und haben abends auf dem Platz das Endspiel geleitet. Oder als ich fünf Wochen lang in Neuseeland war, um bei der U20-WM mitzuwirken. Und an den Prinzen-Cup in Saudi-Arabien, also das Pokalfinale dort, erinnere ich mich auch noch gut.

Sicher gab es in den mehr als zwei Jahrzehnten aber doch auch Momente, in denen sie dachten, „Jetzt reicht es mir“, oder? Zum Beispiel, als Sie im April 2011 in der Partie zwischen St. Pauli und Schalke ein voller Becher traf?
Nicht wirklich, nein. Das Handtuch zu schmeißen war rückblickend für mich nie eine Option. Aber neben Verletzungen war die größte Enttäuschung die Corona-Zeit. Durch die Atmosphäre in den leeren Stadien bin ich schon auch in kleines Motivationsloch gefallen. Wenn du solange dabei bist, dann sind es eben genau die Fans und die vielen Emotionen, die den Fußball auch für uns Schiedsrichter so besonders machen. An Geisterspiele wollte ich mich nicht gewöhnen. Und was den Becherwurf betrifft: Für mich war es enttäuschend, dass niemand für das Vergehen belangt wurde. Aber auch wenn ich damals Schmerzen hatte, war für mich sofort klar, dass ich zeitnah weiter mache. Ich stand wenige Tage später bei einem Champions-League-Spiel in Madrid schon wieder an der Linie. Das wollte ich mir ganz sicher nicht entgehen lassen.
Diese Saison kam es beim Spiel zwischen dem VfL Bochum und Mönchengladbach erneut zu einem Becherwurf. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Ich habe einen Tag nach dem Vorfall mit Christian Gittelmann, der getroffen wurde, telefoniert. Ich habe zu ihm gesagt, dass wir jetzt ja eine Selbsthilfegruppe gründen können (lacht). Nein, Spaß beiseite, ich habe ihm einfach Mut zugesprochen und ihm gesagt, er solle es nicht persönlich nehmen.
Aufhören müssen Sie nun, ähnlich wie Manuel Gräfe im vergangenen Jahr, aufgrund der Altersgrenze des DFB. Hätten Sie gerne noch weiter gemacht?
Ich respektiere die Entscheidung des DFB, der Jugend eine Chance zu geben. Nur so bin ja auch ich damals in den DFB-Kader gekommen. Zudem wusste ich ja genau, als ich damals beim DFB angefangen habe, dass es diese Altersgrenze gibt. Dementsprechend kann man sich von Beginn an darauf einstellen. Für mich persönlich sehe ich die 47 Jahre auch als Maximum an, auch wenn es sicher 50-Jährige gibt, sie sich noch topfit fühlen und gerne weiter agieren würden.

Wird man Sie künftig vielleicht mal auf den regionalen Plätzen in Aktion sehen?
Ich werde nicht mehr pfeifen, nein. Es war eine extrem intensive Zeit. Den Spagat zwischen der Schiedsrichterei, und das vor allem als Halb-Profi, dem Beruf und der Familie zu schaffen, war anstrengend. Ganz aufhören werde ich ja aber dennoch nicht. Dem DFB bleibe ich als Videoassistent und Beobachter weiterhin erhalten. Ich werde also auch weiterhin die Schiedsrichter-Kollegen treffen, was mich freut. Und zudem fungiere ich schon länger als Lehrwart, um mein Wissen und meine Erfahrungen an jüngere Kollegen weiterzugeben.
Es gibt immer weniger junge Menschen, die Lust haben, Schiedsrichter zu werden. Wie versuchen Sie, eine 15-Jährige oder einen 15-Jährigen davon zu überzeugen, die Ausbildung zu beginnen? Warum bei all den schlimmen Vorfällen im Amateurfußball noch Schiedsrichter werden?
Zunächst einmal: Der Amateurfußball ist ja ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wenn man einen Polizisten oder Berufskraftfahrer fragt, wie es mittlerweile auf den Straßen zugeht, dann wird die Antwort selbsterklärend sein. Auf dem Fußballplatz kann es eben leider eskalieren, wenn die Emotionen überschwappen. Solche traurige Einzelfälle wird es leider immer geben. Doch wie überall in der Gesellschaft braucht es in diesen Zeiten Menschen, die Verantwortung übernehmen. Schiedsrichter zu sein ist enorm wertvoll für die Persönlichkeitsbildung und hilft dazu noch, das Ehrenamt zu stärken.