Alexander Michel: Der Goldsprung
Die Olympischen Spiele 1972 in München sind mein erstes Sporterlebnis. Ich war acht Jahre alt, und einen Fernseher mit Schwarz-Weiß hatten wir noch nicht lange. Ich verfolgte mit meinem Vater das Hochsprung-Finale der Frauen. Mit dem Namen Ulrike Meyfarth konnte damals kaum einer etwas anfangen. Wie auch, wenn eine Sportlerin erst 16 ist, noch zur Schule geht und bei den Spielen einfach nur Erfahrung sammeln soll. Aber sie wächst über sich hinaus.

Die 1,90 Meter sind geschafft, der Olympia-Rekord eingestellt. Dann läuft sie im Bogen auf die 1,92 Meter zu, wirft ihre Arme nach oben – und plötzlich scheint die Schwerkraft besiegt. Elegant wölbt sich der Rücken über die gelbe Stange. Das Stadion bebt. Gold und Weltrekord! Ich bekam zum ersten Mal mit, wie plötzlich ein Star geboren ist. Dass dieser frühe Erfolg mit seinem Medientrubel Meyfarth in eine Krise brachte, blieb dann unter meinem Schirm. Als sie 1984 in Los Angeles wieder Gold holte, war ich wieder dabei, klar. Und jubelte für eine großartige Sportlerin, die es allen noch mal zeigte!
Johannes Bruggaier: Der Fehlstart
Als sich Jürgen Hingsen, Zehnkämpfer, Goldhoffnung, Mann wie ein Baum, am 28. September 1988 in die Startblöcke begibt, ist es in Südkoreas Hauptstadt Seoul gerade 9 Uhr morgens. 2 Uhr nachts also fürs deutsche Publikum, zu spät für einen Elfjährigen, der tags darauf noch in die Schule gehen muss. Ich muss die Tragödie damals also als Wiederholung gesehen haben, was wiederum nur konsequent wäre. Denn um Wiederholungen in ihrer bizarrsten Form war es ja gegangen bei diesem 100-Meter-Lauf.

„Oh, oh, oh, da wird wieder zurückgeschossen!“, ruft der Reporter bei Hingsens erneutem Fehlstart. Das klingt zwar martialischer, als es ist, die Beunruhigung wächst trotzdem: Zweimal darf ein Athlet zu früh starten, beim dritten Mal gibt‘s ein Ticket für den Zuschauerrang. Er wird doch nicht schon wieder eine „Dummheit begehen“, wie der Reporter mahnt? „Jetzt muss er, Gott behüte, auf ein Zehntel verzichten!“ Doch Hingsen verzichtet nicht, startet wieder zu früh. Ein ganzes Jahr Vorbereitung – und dann ist schon im Startblock Schluss.
Dirk Salzmann: Der Schwimm-Exot
Olympia ist stets dann einzigartig, wenn das „Dabei sein ist alles“ gelebt wird. So wie im Jahr 2000 bei den Spielen in Australien, als ein Mann aus Äquatorialguinea für einen ganz speziellen Moment sorgte. Eric Moussambani hatte fünf Monate zuvor im Radio gehört, dass sein Heimatland ein Schwimmteam zu den Spielen schicken dürfe. Interessierte sollten sich zu Ausscheidungskämpfen in einem Hotel-Pool treffen. Es kamen lediglich eine Frau und Eric – beide hatten damit die Qualifikation für Sydney sicher.

Eric konnte zwar kaum schwimmen, die Reise nach Down Under trat er dennoch an. Seine beiden Gegner im Vorkampf schieden wegen Fehlstarts aus, Eric musste alleine schwimmen vor 17.000 Zuschauern, die erst schmunzelten, weil er auf den 100 Metern Freistil mit sich und dem Wasser zu kämpfen hatte, ihn dann aber anfeuerten, als ob es um olympisches Gold ginge. Nach 1:52,72 Minuten war es vollbracht, die langsamste Zeit der olympischen Geschichte. Und dennoch war Eric ein Star der Spiele, die eben mehr als nur ein Kräftemessen sein sollen.
Frederick Woehl: Sieg für die Ehefrau
„Und das ist schwer, oh, ist das schwer. Matthias Steiner, heb‘ es hoch!“ Eine tragische Geschichte gipfelte bei den Olympischen Spielen 2008 in einem der emotionalsten Momente der Sport-Historie. Für den Gewichtheber ging es an diesem Tag um mehr als nur die goldene Medaille in Peking. Ein Jahr vor dem Wettkampf verlor Steiner seine Frau Susann bei einem Autounfall und versprach daraufhin, für sie zu gewinnen. Gesagt, getan.

Mit einem Gewicht von 258 Kilogramm stieß er sich an die Spitze und hüpfte nach dem Wettkampf wie ein kleines Kind über die Bühne. Beim Posieren mit dem Edelmetall dann das Bild, das in die Schlagzeilen kam. Er hält ein Porträt seiner verstorbenen Ehefrau in die Kameras und erklärt später, dass er einfach nicht allein dort stehen wollte. Und an diesem Tag war Matthias Steiner nicht allein. Liebe kann Berge versetzen. Oder eben 258 Kilogramm. Dieser große, schwere Mann sorgte für Aufnahmen, bei denen kein Auge trocken bleibt.
Ingo Feiertag: Ein Abend für Helden
Der Abend des 7. August 2012 ist auf den ersten Blick keiner, an dem strahlende Beachvolleyball-Helden geboren werden. Es schüttet wie aus Kübeln, die rund 10.000 Zuschauer im offenen Stadion auf dem Londoner Platz Horse Guards Parade sind in Plastikcapes gehüllt. Sie sehen, wie das Duo Jonas Reckermann und Julius Brink die favorisierten Niederländer im Halbfinale besiegt. Viele deutsche Journalisten glauben nicht an den Coup und sind ins Olympiastadion gefahren, wo sie vom Sieg des Diskuswerfers Robert Harting berichten.

Ich habe mich anders entschieden und werde mit unvergesslichen Emotionen der Außenseiter belohnt. Der Zwei-Meter-Hüne Brink versteckt seine Freudentränen unter einem Handtuch. Er weiß, dass er eine Medaille sicher hat, und strahlt kurz vor Mitternacht im strömenden Regen heller als die Sonne. Zwei Tage später holen er und Reckermann Gold. Helden in ihrem Sport sind sie da längst. Seit dem Abend des 7. August 2012.
Jann-Luca Künßberg: Mittelfinger für Silber
„Am Ende reichten die Kräfte nur noch zu einem erhobenen Mittelfinger“, hieß es 2004, als Radsportlerin Judith Arndt zweitplatziert im Ziel ankam – mit ebendieser obszönen Geste statt eines Ausdrucks des Jubels. Dabei war sie eigentlich zufrieden mit ihrer Silbermedaille. Woher also die Wut, die sich gegen den eigenen Verband richtete? „Natürlich freuen wir uns über Silber, aber eigentlich haben wir heute Gold verloren“, sagte Arndt.

Sie war sich sicher: Hätte der Bund deutscher Radfahrer ihre damalige Lebensgefährtin, die Weltklasse-Sprinterin Petra Roßner, nominiert – das Gold wäre Deutschland nicht zu nehmen gewesen. Der Verband aber hatte den Kurs als zu hart für Sprinterinnen eingeschätzt und eine andere Athletin nominiert. Freilich kann in so einem Radrennen auch alles Mögliche passieren, eine Garantie auf Gold gibt es da nicht. Später entschuldigte sich Arndt. Die Lehre? Echte Liebe schlägt im Eifer des Wettbewerbs sogar olympisches Silber!
Maximilian Halter: Wie einst Steffi Graf
Glücklich und erschöpft sank Alexander Zverev auf dem Ariake Tennis Park in Tokio auf die Knie, Freudentränen schossen aus seinen Augen. Der Hamburger hatte soeben den bisher größten Erfolg seiner Karriere gefeiert, Gold bei den Olympischen Spielen in Japan 2021. Seinem Gegner Karen Chatschanow ließ er im Finale keine Chance.

Die fast größere Leistung hatte er aber im Halbfinale abgeliefert, als er dem damals dominierenden Novak Djokovic die Stirn bot. Der Serbe hatte zuvor die Siege bei den Australian und French Open gefeiert und wirkte unaufhaltsam – bis er im Land der aufgehenden Sonne in Zverev seinen Meister fand. Es war ein besonderer Triumph, auch, weil bei den deutschen Herren zuvor nur Boris Becker und Michael Stich 1992 im Doppel Gold gewannen. Im Einzel hatten bei Sommerspielen weder der Boris noch der Michael einen Stich gemacht. Das gelang bis zu Zverevs Tokio-Erfolg nur einer Deutschen: Steffi Graf im Jahr 1988 in Seoul.