Verkehrte Welt am Abend im Europa Park Stadion. 90 Prozent der Ränge sind in Rot, Schwarz und Weiß getaucht, nur ein kleines Eckchen trägt die badischen Farben Gelb und Rot: die Gästefans aus Lens. Das war‘s dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten zwischen Südbaden und dem Racing Club aus dem Departement Pas-de-Calais. Schließlich ging es um den Einzug ins Achtelfinale der Europa League.

Nach dem 0:0 im Hinspiel stürmten fast alle Freiburger mit dem Anpfiff nach vorne, der erste Abschluss ging nach nur zwei Minuten auf das Konto von Roland Sallai, dessen Volleyschuss aus etwa 16 Metern aber weit über das Gästetor flog. Wer dachte, dass dies der Beginn eines Sportclub-Offensivfeuerwerks sein würde, der wurde schnell schwer enttäuscht.

Erinnerungen an Juventus Turin

Das war es fürs Erste mit der Breisgauer Herrlichkeit. Die Mannschaft von Trainer Christian Streich, der wie im Vorjahr beim Achtelfinal-K.o. gegen Juventus Turin seinen Offensivantreiber Vincenzo Grifo auf der Bank schmoren ließ, setzte auf defensive Ballkontrolle und lange Bälle in die Spitze, während die Franzosen hoch pressten. Der SC präsentierte sich abwartend wie eine Auswärtsmannschaft. Vielleicht lag es ja am kühlen, regnerischen Wetter, das sich mehr wie Nordfrankreich anfühlte als Südbaden.

Wie willkommen sich die Sch‘tis bei den Streichs fühlten, zeigten sie in der 28. Minute. Da segelte ein Freistoß von Przemyslaw Frankowski in den Freiburger Strafraum. SC-Torhüter Noah Atubolu faustete den Ball unbeholfen nach vorne weg, und David Pereira Da Costa bedankte sich mit dem 0:1 aus 15 Metern, was die Lens-Fans mit einem Feuerwerk aus Wunderkerzen feierten.

Die Freiburger Fans sind weiter in der Europa League mit dabei. Bild: dpa
Die Freiburger Fans sind weiter in der Europa League mit dabei. Bild: dpa | Bild: Harry Langer

Wenig später klatschte der Ball nach einem Freistoß an den Pfosten des RC-Tors. Die SC-Fans sangen „Sportclub Freiburg allez“, doch die Spieler, sie liefen einfach nicht. Ganz anders die Franzosen. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte gewann Elye Wahi einen Zweikampf gegen Manuel Gulde, lief alleine auf Atubolu zu und erzielte mit einem gefühlvollen Chip das 0:2.

In der Pause reagierte Trainer Christian Streich und brachte Michael Gregoritsch und Noah Weißhaupt für Kiliann Sildillia und Jordy Makengo. Erneut galt es, einen Rückstand aufzuholen. „Tore tun immer gut“, hatte Grifo vor der Partie gesagt, und deren zwei benötigte seine Mannschaft mindestens. Nur durfte er weiter nicht mithelfen bei der ersehnten Aufholjagd gegen den französische Tabellensechsten.

Merlin Röhl hat nicht seinen besten Tag

Dann hatten die so glücklos agierenden Freiburger auch noch Pech. Als Merlin Röhl nach einer Stunde im Gästestrafraum abgeräumt wurde, blieb die Pfeife des slowenischen Schiedsrichters Rade Obrenovic genauso stumm wie in der ersten Hälfte bei einer Aktion gegen Lucas Höler. Die entsetzten Freiburger tobten, aber auch der VAR schaltete sich nicht ein. Stattdessen sah Streich die Gelbe Karte – und das Spiel steuerte auf eine wilde Schlussphase zu.

In der 68. Minute erzielte Sallai im nun strömenden Regen den Anschlusstreffer, und die Freiburger setzten notgedrungen ihren in der 3. Minute unterbrochenen Sturmlauf endlich fort. Kurz darauf scheiterte erst Lukas Kübler an Lens-Keeper Brice Samba, dann köpfte der eingewechselte Gregoritsch knapp vorbei. Während die Gäste ihr Zeitspiel zu ungeahnter Perfektion trieben, rannten die Freiburger gegen das Abwehr-Bollwerk des RC Lens an.

Es dauerte bis in die fünfminütige Nachspielzeit, ehe Sallai mit einer Kopie des ersten Treffers zum 2:2 die Freiburger erlöste. Die Partie ging tatsächlich in die Verlängerung!

In der gewann Doppeltorschütze Sallai einen Zweikampf, legte ab auf Gregoritsch und der traf in der 99. Minute zum 3:2-Sieg, der den Freiburgern nach einem 0:2-Rückstand das Achtelfinale-Ticket sicherte. Verkehrte Welt.