Lieber Herr Löw, am Abend, lange nach der Niederlage gegen England, saß ich noch einige Minuten im Auto, als ich von der Arbeit zu Hause angekommen war.

Wenn große Turniere abrupt enden, brauche ich meist einige Zeit für mich, um meine Gedanken zu ordnen. Draußen prasselte der Regen unaufhörlich hernieder, während ich ein Taschentuch suchte. Im Handschuhfach fand ich dann Sie, also ein Bild von Ihnen samt Autogramm, das Sie meinem viel zu früh verstorbenem Vater wahrscheinlich 2006 gegeben haben, als Sie noch Co-Trainer der Nationalmannschaft waren.

Ist schon seltsam, in den zwei Jahren, seit ich das Auto fahre, ist mir die Karte nie aufgefallen. Wann und an welchem Ort Sie ihm die Karte überließen, weiß ich nicht, es spielt aber auch keine Rolle. Die Karte hat einige Risse, Ihre Unterschrift ähnelt der meines Hausarztes, ist also unleserlich, könnte auch Gandalf Klöngel-Metternich heißen. Oder irgendetwas anderes.

Eine Autogrammkarte von Joachim Löw, wahrscheinlich aus dem Jahr 2006.
Eine Autogrammkarte von Joachim Löw, wahrscheinlich aus dem Jahr 2006. | Bild: Salzmann, Dirk

Warum mein Vater, einst Sportredakteur beim ALB-BOTE in Waldshut-Tiengen, die Karte so lange im Auto herumgefahren hat? Ich kann nur spekulieren. Vielleicht, weil er die erste Geschichte geschrieben hat, die über Joachim Löw jemals in einer Zeitung erschienen ist. Angeblich haben Sie als Teenager der Liebe wegen einen Lehrgang geschwänzt, was wohl für etwas Ärger sorgte.

Mehr als ein halbes Leben ist seither vergangen. Die Sache muss gut ausgegangen sein, schließlich haben Sie als Spieler in Freiburg und später als Trainer unter anderem beim VfB Stuttgart eine beachtliche Karriere hingelegt.

Ein Ausschnitt der damaligen Berichterstattung um Joachim Löw.
Ein Ausschnitt der damaligen Berichterstattung um Joachim Löw. | Bild: Salzmann, Dirk

Seit Dienstagabend ist nun auch das wohl letzte Kapitel Ihrer Zeit beim Deutschen Fußball-Bund beendet. Bei aller Wertschätzung, lieber Herr Löw, ich bin froh, dass wir demnächst einen anderen Bundestrainer haben werden. Warum? Dazu später mehr.

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Zunächst einmal möchte ich Ihnen Danke sagen. Danke für einige unvergessliche Spiele, wie etwa die Siege gegen England und Argentinien bei der WM 2010. Und natürlich für das 7:1 gegen Brasilien und den WM-Titel 2014.

Das Jetzt zählt, nicht die Vergangenheit

Ich werde meinen Enkeln eines Tages davon erzählen und auch von dem damaligen Trainer berichten, der aus unserer Ecke kam, der in Schönau aufgewachsen ist und für ein Schwarzwaldmädel die Karriere aufs Spiel gesetzt hatte.

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In späteren Jahren habe ich mich manches Mal gefragt, ob wir auch mit einem anderen Trainer so oft ins Halbfinale oder gar Finale großer Turniere eingezogen wären. Oder hätten wir mit einem anderen Coach sogar besser abgeschnitten? Es sind müßige Diskussionen. Auch anderer Mütter ihre Söhne können gut kicken, nicht nur unsere. Egal! Das Jetzt zählt, nicht die Vergangenheit.

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Nur eines, das treibt mich wirklich um. Lieber Joachim Löw, gab es denn wirklich niemanden, der Ihnen nach dem WM-Titel zum Rücktritt geraten hat? Wenn man an der Spitze angekommen ist, kann es nur noch bergab gehen.

Wir hätten Ihnen ein Denkmal gesetzt, hätten seither fünf Nachfolger verschlissen und hätten jede Trainerfindungskommission wie die Weisen aus dem Morgenlande nach Schönau im Schwarzwald geschickt. Hier, Trainergott, bitte unterschreiben, Gehalt selber eintragen.

Schild am Ortseingang von Schönau 2014.
Schild am Ortseingang von Schönau 2014. | Bild: Edgar Steinfelder

Stattdessen machten Sie weiter. Ein Mann, der mit der Nationalmannschaft alles erreicht hatte. Der, so hatte es den Anschein, selber gar nicht mehr wusste, wohin er mit dieser Mannschaft eigentlich hinwollte. Dreierkette, Viererkette, Fünferkette? Müller raus, Hummels genauso, beide wieder rein, Boateng dagegen nicht.

Müdes Gekicke statt Spaßfußball

Dafür ein Festhalten an Toni Kroos, der einst ein großer Spieler war, seinen Zenit aber längst überschritten hat. Und warum wechseln Sie einen Sané nicht aus, obwohl der beispielsweise gegen Ungarn völlig von der Rolle war. Das alles wirkte nur noch selten durchdacht.

Statt Spaßfußball sahen wir oft ein müdes Gekicke – und einen Bundestrainer, der keine Mittel fand, etwas Konstanz ins Spiel zu bringen. Der Fehler nach dem Desaster bei der WM 2018 einräumte, aber Lösungen schuldig blieb. Der mit 0:6 von Spanien gedemütigt wurde, mit 1:2 von Nordmazedonien.

Wahrscheinlich hätten Sie viele Pfiffe der Fans ertragen müssen, wenn Corona nicht für Spiele ohne Zuschauer gesorgt hätte. Wie können die Herren Nationalspieler gegen Portugal brillieren, um dann gegen Ungarn wieder wie Prinz Valium aufzutreten? Ich verstehe es nicht!

Zeit für einen neuen Chef

Ganz ehrlich: Wahrscheinlich wäre ich auch nicht zurückgetreten. Wahrscheinlich hätte ich weiter an die Wende geglaubt. Und es gibt ja auch schlechtere Jobs als den des Bundestrainers. Das wirft man nicht einfach weg. Und dass die Führungsetage beim DFB zuletzt undisziplinierter war als unser Offensivspiel – dafür können Sie ja nichts.

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Dennoch, lieber Herr Löw, es ist Zeit, dass diese Mannschaft einen neuen Chef bekommt. Einen, der neue Impulse bringt, der vielleicht Qualitäten hat, wo sie Defizite haben. Ob Hansi Flick das sein wird, muss sich erst noch zeigen. Ich weiß, dass Sie es ihm wünschen.

Eines aber möchte ich noch loswerden. Es gibt wahrscheinlich fachlich bessere Trainer, als Sie einer sind. Aber Fehler macht jeder. Und in 15 Jahren als DFB-Chefcoach sind Sie sich als Mensch treu geblieben. Manche haben das als Herumgeeiere interpretiert, hätten vielleicht lieber mal einen Choleriker gesehen. Das aber war nicht Ihr Stil. Sie können erhobenen Hauptes einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Dafür wünsche ich Ihnen alles Gute!

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