Richard Ringer hat viele Kilometer in den Beinen – und noch mehr Geschichten. Der 36-Jährige, geboren in Überlingen und aufgewachsen in Unteruhldingen, zählt zu den erfahrensten deutschen Langstreckenläufern. In Tokio steht er vor einem besonderen Moment: seinem WM-Debüt über die Marathon-Distanz. Am 14. September startet Ringer um 1 Uhr morgens deutscher Ortszeit in Tokio.
Mittlerweile lebt der 36-Jährige nicht mehr am Bodensee. Aber: „Der Bodensee ist die Heimat. München ist jetzt nur eine Zwischenstation“, sagt er. Erst 2023 zieht er mit seiner Frau in die bayerische Landeshauptstadt, weil sie dort eine Arbeitsstelle hat. Doch die Wurzeln am See bleiben stark. „Nach der Weltmeisterschaft komm ich auch wieder an den See zum Arbeiten.“ Ringer ist nicht nur Athlet, sondern auch Teilzeitangestellter im Controlling bei Rolls-Royce Power Systems in Friedrichshafen.
Die Doppelbelastung ist für ihn Routine. Seit Jahren kombiniert er Training und Beruf. Möglich macht das ein flexibles Modell: „60 Prozent kann ich im Homeoffice arbeiten.“ Das verschafft ihm Freiräume, wenn die Saison ihren Höhepunkt erreicht. Ende Mai sitzt er zuletzt im Büro – danach bestimmt die Vorbereitung auf die WM seinen Alltag.
200 Kilometer pro Woche für den Marathon
Trainingsalltag bedeutet bei Ringer: unzählige Kilometer, aber auch Struktur. Am Bodensee hat er seine Netzwerke, Physiotherapeuten und Trainingspartner. In München profitiert er vom Olympiastützpunkt. „Da kannst du halt zweimal die Woche zur Physiotherapie gehen, hast Ernährungsberatung, psychologisch, also die Betreuung ist sehr, sehr gut.“ Und er schätzt die Laufwege an der Isar. „Das längste war, glaube ich, mal 16, 17 Kilometer eine Richtung und dann zurück. Die Umgebung ist auf jeden Fall sehr, sehr cool.“
Vor einem Marathon schraubt er die Belastung hoch. „Bis über 200 Kilometer in der Woche Laufkilometer“, sagt Ringer. Zusätzliches Rad- oder Crosstrainer-Training sorgt für Abwechslung. Doch kurz vor der WM fährt er das Pensum herunter. „Jetzt, zwei Wochen vor dem Wettkampf, sind es noch 130, 140 Kilometer.“ Der Feinschliff zählt, nicht mehr das Sammeln von Kilometern.
Richard Ringer setzt auf späte Anreise nach Tokio
Auch die Reise nach Tokio plant er genau. Viele Athleten nutzen ein Vorbereitungscamp in Miyazaki, Ringer entscheidet sich anders. „Ich hab mich dazu entschlossen, ganz kurzfristig anzureisen.“ Die Klimaanpassung absolviert er zuvor in Italien, Jetlag-Effekte versucht er durch frühes Schlafengehen zu minimieren. „Wenn ich ankomme, muss ich nur noch drei lockere Dauerläufe machen.“
Debüt über die 42,195 Kilometer
Dass er überhaupt Marathon läuft, ist eine Entwicklung der vergangenen Jahre. Lange ist Ringer auf der Bahn erfolgreich. 2015, 2017 und 2019 startet er bei Weltmeisterschaften über 5000 Meter. „Mit 31 hab ich gedacht, es reicht jetzt, um jede Sekunde noch zu kämpfen dann kam Corona, wir haben gesagt, lass uns ein Marathondebüt versuchen.“ Der Einstieg gelingt – gleich beim ersten Versuch sichert er sich die Olympia-Qualifikation.
Richard Ringer will in die Top Acht
Nun also die Premiere auf WM-Ebene. Angst verspürt Ringer nicht. „Ich gehe lockerer an, ich kann eigentlich nur gewinnen.“ Sein Ziel ist klar: ein Platz unter den besten Acht. Die besondere Atmosphäre motiviert ihn. „Man freut sich, dass man das Nationaltrikot anhat. Das ist was ganz Besonderes.“ Jeder Kilometer, jede Getränkestation wird zum Etappenziel. „Man hangelt sich so ein bisschen vor, konzentriert sich auf die nächste Flasche.“ Am Ende hofft er auf den Moment, an dem der letzte Hügel genommen ist und die Beine noch einmal alles hergeben.
Neben dem eigenen Rennen blickt Ringer mit Vorfreude auf die Wettkämpfe im Stadion. „Was wieder cool ist, dass ich auch mal wieder Stadion-Leichtathletik schauen kann.“ Besonders gespannt ist er auf die 3000 Meter Hindernis, wo sein Trainingskollege Frederik Ruppert startet. Marathonläufer, so sagt Ringer, seien sonst oft etwas abgekoppelt von der restlichen Leichtathletik-Szene. Umso mehr genießt er es, wieder Teil der großen Gemeinschaft zu sein.