Wollte man die Stimmungslage der deutschen Bauern kurz zusammenfassen, würde es ein Wort wohl am Besten treffen: Frust. Der knapp 600.000 Menschen umfassende Berufsstand, der sich derzeit auf der Grünen Woche in Berlin präsentiert, fühlt sich von den Märkten getrieben, von der Politik missverstanden und von den Konsumenten nicht gewertschätzt.
Angesichts eines sich beschleunigenden Höfesterbens überall in der Republik könnte man sogar sagen: Die Branche befindet sich im Zustand akuter Selbstaufgabe.
Seinen sichtbarsten Ausdruck erhält die Malaise durch die Bauernproteste der vergangenen Wochen. Zu Tausenden sind die Landwirte mit ihren Traktoren vom flachen Land in die Städte gefahren, um ihre Verunsicherung und Wut zum Ausdruck zu bringen. Auf ihren Feldern haben sie als Symbol grüne Kreuze gepflanzt.
Der Frust lässt sich an Zahlen ablesen
Die Konjunkturerwartungen der Bauern haben sich im gesamten Jahresverlauf 2019 stetig eingetrübt und sind zum Jahresende regelrecht eingebrochen. Die Situation erinnert an die Milchkrise 2015 und 2016, die die Milcherzeuger in eine tiefe Depression stürzte. Der Unterschied zu damals: Die Probleme sind vielschichtiger, weil branchenübergreifend.
Tiefe Erschütterungen im Selbstverständnis
Und: Es handelt sich derzeit weniger um eine Krise des Marktes, sondern um tiefe Erschütterungen im Selbstverständnis der Bauern. Ihnen ist schlicht der Kompass abhanden gekommen, wie die Begriffe wirtschaftlicher Erfolg und gesellschaftliches Ansehen zu definieren geschweige denn miteinander in Einklang zu bringen sind.
Jahrzehntelang war die Sache klar. Sicherten die Landwirte nach dem Krieg die Ernährung der Bevölkerung, gelang es ihnen ab den 1960er Jahren mit hohem Kapitaleinsatz und politischer Rückendeckung, ein effizientes Produktionssystem aufzubauen, das deutsche Erzeugnisse wie Fleisch, Milch, Käse und Getreide zum globalen Exportgut machte.
Können Sie Buhmann der Nation sein?
Heute fragen sich die Landwirte dagegen, welche der Welten ihre ist. Sollen sie auf mehr Ökoproduktion und Tierschutz setzen, wo doch die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für solche Produkte gering ist? Oder sollen sie weitermachen wie bisher, also spritzen und düngen, aber dafür in Kauf nehmen, der Buhmann der Nation zu sein?
In dieser Situation entscheiden sich die meisten nichts zu tun. Einer aktuellen Umfrage mehrerer Agrarorganisationen zufolge will in den kommenden Jahren nicht einmal mehr jeder Dritte Landwirt investieren. Den elterlichen Hof zu übernehmen, raten immer weniger Bauern ihren Kindern.
Kopf in den Sand stecken zählt nicht
Die zögernde Haltung, die die Bauern derzeit an den Tag legen, ist allerdings die schlechteste aller Optionen. Den Kopf in den Sand stecken zählt nicht. Zwar stimmt es, dass die gesellschaftliche Anerkennung fehlt und die Bauern gleich mehrfach unter Druck sind. Auf globaler Ebene schickt sich beispielsweise das von der EU ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Südamerika (Mercosur) an, die Erzeugerpreise auf Talfahrt zu schicken.
Zahlreiche Regeln für das Tierwohl
Weil Großbritannien vor dem EU-Austritt steht, droht zudem das europäische Agrarbudget empfindlich zusammengestrichen zu werden. Und sowohl die Bundes- als auch die Landesregierung ziehen in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit die Zügel für die Bauern an. So wird das anstehende Agrarpaket der Bundesregierung strengere Regeln für das Tierwohl und den Insektenschutz aufstellen. Im Raum stehen auch deutliche Einschränkungen beim Düngen der Felder.
Dennoch sollten sich die Zauderer der Branche klar machen, dass die Landwirtschaft eine Zukunftsbranche ist – trotz aller temporären Verwerfungen. Und sie hat anders als eine Vielzahl anderer Wirtschaftssektoren, die durch die Digitalisierung in ihrem Bestand gefährdet sind, Wachstumspotenzial. Immerhin muss eine wachsende Bevölkerung auch hierzulande ernährt werden. Nur die Bedingungen, unter denen das geschehen soll, müssen geklärt werden. Aber das müsste doch zu schaffen sein.