Frau Grießhaber, Frau Naranjo Rodriguez, in Zeiten von Fachkräftemangel können Unternehmen nicht auf Frauen als Arbeitskräfte verzichten. Trotzdem gibt es zu wenige. Woran liegt das, sind die Arbeitsplätze in der Industrie vielleicht nicht attraktiv genug?
Grießhaber: Ganz im Gegenteil. Ich wüsste eigentlich nicht, welche Branchen derzeit attraktiver sind. Wir hätten sehr gerne mehr Frauen im Unternehmen und stehen mit ausgebreiteten Armen da. Wir bieten fordernde Inhalte, flexible Arbeitszeitmodelle und gute Bezahlung.
Wir passen uns soweit wie möglich dem Bedarf der Mitarbeiter an. Gerade im Mittelstand geht das sehr pragmatisch. Es ist unser erklärtes Ziel, gute Modelle zu erarbeiten, um auch für gute Mitarbeiter, Mann und Frau, attraktiv zu sein.
Naranjo Rodriguez: Das Ursprungs-Problem liegt darin, dass sich seit Generationen einfach viel zu wenig Frauen bewusst für Technik und Industrie entscheiden. Nur etwa eine von zehn berufstätigen Frauen ist in MINT-Berufen (Anmerkung der Redaktion: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) tätig oder entscheidet sich für eine Ausbildung in diesem Bereich.
Da kann der Arbeitgeber noch so attraktive Arbeitsplätze anbieten, ohne weiblichen Nachwuchs kann die Quote an weiblichen Fach- und Führungskräften kaum verbessert werden.

Wie würden sie junge Frauen, die noch vor der Berufswahl stehen, ermutigen, einen technischen Beruf zu ergreifen?
Grießhaber: Einfach ausprobieren, mutig sein und in einen technischen Beruf reinschauen, der früher vielleicht für Frauen nicht selbstverständlich war. Technik macht auch Frauen Spaß, das ist doch klar. Frau muss sich einfach trauen und neugierig sein. Nachwuchs ist gesucht und Frauen sind im Rahmen von Diversity (Anmerkung der Redaktion: Vielfalt) besonders begehrt.
Naranjo Rodriguez: Es gibt gerade im Mittelstand unseres Raumes unglaublich viele hochinnovative Unternehmen, die spannende Arbeitsinhalte bieten. Unternehmen können unterstützen, indem sie mehr Einblicke geben: Wie sieht der Arbeitsplatz aus? Was bietet das Unternehmen und wofür steht es?
Jeder glaubt zu wissen, wie bei Facebook gearbeitet wird, weil jeder das Produkt kennt oder nutzt. In den meisten Unternehmen im industriellen Mittelstand gibt es kein Produkt, das man als Endkunde direkt kaufen kann. Da fehlt manchmal die Transparenz nach außen.

Sie haben gezielt nach Frauen für bestimmte Positionen gesucht. Warum scheitern Ihre Bemühungen oft?
Grießhaber: Auszubildende zu werben, ist derzeit generell schwer, unabhängig vom Geschlecht. Weißer und Grießhaber ist als Hersteller von Präzisions-Kunststoffteilen ein technisch orientierter Betrieb. Wir bekommen in den letzten Jahren für die technischen Ausbildungsberufe kaum weibliche Bewerberinnen.
Bei 70 Prozent unserer Führungspositionen wird aber ein technischer Hintergrund benötigt. Es gibt kaum eine Basis, um daraus weibliche Führungskräfte in technischen Bereichen zu entwickeln. Auch aus den Hochschulen kommt leider wenig Nachwuchs.
Naranjo Rodriguez: MINT-Karrieren gelten oft noch als typisch männlich, was natürlich nicht stimmt – das zeigen unsere weiblichen Chefs im Verband. Auch Quereinsteiger können in Unternehmen Karriere machen, wenn sie keine spezifische MINT-Ausbildung genossen haben, aber lern- und leistungsfähig sind. Im mittelständischen Unternehmen zeigt sich schnell, wer mitdenkt und mitarbeitet. Solchen Menschen gibt man dann Chancen, die sie anderswo nicht so bekommen.
Eine Führungsposition verlangt einem einiges ab, an Verantwortung und persönlicher Veränderung. Schrecken Frauen davor zurück?
Grießhaber: Frauen neigen oft dazu, nicht anecken zu wollen. Immer freundlich und hilfsbereit zu sein. Aber als Führungskraft muss man Entscheidungen treffen, und die fallen nicht immer leicht. Vor 30 Jahren habe ich diese Entscheidungen nicht so einfach getroffen wie jetzt. Wenn man ein Unternehmen führt, ist der wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend. Diese Verantwortung muss man als Führungskraft tragen, ob Mann oder Frau. Auch, wenn man damit aneckt.
Naranjo Rodriguez: Entscheidungskompetenz ist eine wichtige Fähigkeit von Führungskräften, die oft mit menschlicher Härte gleichgesetzt wird. Trotzdem kann man authentisch bleiben und muss nicht in eine Rolle schlüpfen, sonst wird es langfristig nicht funktionieren. Da muss man den eigenen Führungsstil finden. Die Verantwortung bleibt aber die gleiche.
Frauen sind in der Industrie kaum vertreten, bräuchten also dringend den Austausch untereinander. Jetzt gibt es in Ihrem Verband ein Frauennetzwerk. Warum erst jetzt?
Grießhaber: Ich war skeptisch bei Vorstößen in dieser Richtung und habe mich jetzt dem Vorschlag von wvib-Hauptgeschäftsführer Dr. Christoph Münzer angeschlossen, ein Netzwerk für Frauen innerhalb des Verbands zu etablieren.
Jetzt sehe ich als Geschäftsführerin eines Industriebetriebs, dass wir alleine als einzelnes Unternehmen keine Chance haben, bei der Frauenförderung etwas zu bewegen. Wir versuchen seit Jahren, Mädchen und Frauen zu motivieren, in die Industrie und dann auch in die Technik zu kommen. Mit wenig Erfolg.
Welche Ziele verfolgt das Netzwerk und wie soll die Arbeit darin aussehen?
Grießhaber: Das Netzwerk ist für die Teilnehmerinnen ein Mehrwert. Der Austausch untereinander ist wahnsinnig wichtig. Man braucht sowohl privat als auch im beruflichen Umfeld Vorbilder, mit denen man sich identifizieren kann oder Netzwerkpartner, mit denen man sich auf fachlicher Ebene austauschen kann.
Naranjo Rodriguez: Im Netzwerk wollen wir die zentralen Fragen beantworten, wie wir Frauen in den Unternehmen weiterentwickeln und fördern und wie wir es schaffen, dass sich der Nachwuchs stärker für Technik und Industrie interessiert. Viele Unternehmen setzen sich bereits mit eigenen Initiativen für mehr Frauen in der Industrie ein. Davon können wir alle profitieren. Wir möchten voneinander lernen und darüber hinaus gemeinsam neue Ideen entwickeln.
Wie war die Rückmeldung der Verbandsmitglieder auf ein Netzwerk nur für Frauen?
Naranjo Rodriguez: Die Resonanz war sehr positiv. Wir haben innerhalb von zehn Tagen über hundert Rückmeldungen bekommen – durch alle Fachbereiche und Führungsebenen. Sowohl Frauen als auch Männer wollen sich engagieren. Das freut uns besonders, denn wir müssen nicht nur über weibliche Rollenmodelle sprechen, sondern auch über männliche, etwa wie eine Aufteilung von Beruf und Familie in einer Beziehung aussehen könnte. Letztlich muss sich die ganze Gesellschaft weiterentwickeln.
Frau Grießhaber, vor 30 Jahren gab es sicher wenige Frauen, die Ihnen als Vorbild dienten. Hat Ihnen das gefehlt oder gab es jemanden, an der sie sich orientieren konnten?
Grießhaber: Meine Mutter hat bei Weißer und Grießhaber im Bereich Personal und Finanzbuchhaltung gearbeitet. Da gab es keine Zweifel, dass das auch eine Frau kann. Das war für mich sicher hilfreich. Ich habe mich im Unternehmen, weil ich eine Frau bin, nicht durchboxen müssen. Allerdings habe ich mich bewähren müssen, wie jeder Jungfuchs in der Firma zeigen muss, dass er was kann.
Naranjo Rodriguez: Das ist ein wichtiger Aspekt mit den privaten Vorbildern, das hat auch bei mir eine Rolle gespielt. Es gibt aber viele Familien, in denen es keine Vorbilder im Privaten gibt. Deswegen ist es umso wichtiger, dass Vorbilder auch in der Öffentlichkeit sichtbar sind. Das Schubladendenken wird aufgebrochen und man sieht, dass die Welt bunter ist, als man sie bisher erlebt hat.
Diversität führt laut einiger Studien zu einer höheren Produktivität. Warum sind diverse Team erfolgreicher?
Naranjo Rodriguez: Man kommt auf andere Ideen, wenn man die gleichen Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. So individuell wie jeder Mensch ist, in Alter, Herkunft und Geschlecht, so unterschiedlich blickt er auf dasselbe Problem – ob das nun im Innovationsmanagement oder im Umgang mit Krisen ist. Je vollständiger ein Bild der Situation ist, desto besser kann man mögliche Alternativen in der Entscheidung ablesen.
Was hat Ihnen beim Start in den Beruf gefehlt? Wo hätten Sie sich mehr Unterstützung gewünscht?
Grießhaber: Der Erfahrungsaustausch, so wie hier beim wvib. Den Verband gibt es zwar schon seit 75 Jahren, aber ich war dort nicht aktiv. Aber es hätte mir sehr geholfen, auf dem Weg zur Geschäftsführung eine externe Begleitung und einen guten Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten für die zukünftige Führungsaufgabe zu haben.
Für den Erfahrungsaustausch und die Vorbereitung auf die Führungsaufgabe. Dann hätte ich einige Stresssituationen vermeiden können. Ich habe in meiner Karriere falsche Entscheidungen getroffen, habe daraus aber dann fürs Leben gelernt. Aber es gibt Fehler, die unnötig sind und den Umweg hätte ich mir gerne gespart.
Naranjo Rodriguez: Vielen jungen Frauen fehlen Sparringspartner und das Netzwerk. Es tut gut, sich mit Menschen auszutauschen, die in einer ähnlichen Situation sind, vor einer ähnlichen Herausforderung stehen, aber nicht in derselben Firma arbeiten. Das ist sehr gewinnbringend.
Mich sprechen jüngere Kolleginnen an und sagen, dass es gut ist, zu sehen, dass eine Führungsposition in Teilzeit mit Kindern vereinbar ist. Und diese Sichtbarkeit schaffen wir im Frauen-Netzwerk durch die persönliche Begegnung und Vernetzung untereinander.