Herr Bliestle, Beeren, Säfte, Obst, Gurken, Tomaten, Paprika, Schokolade, Butter – Warum wird gerade fast alles quer durch die Bank teurer?

Johannes Bliestle: Alles hängt von Angebot und Nachfrage ab. Die Nachfrage ist eigentlich bei den meisten Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Gütern ziemlich stabil und verändert sich eher über längere Zeiträume. Das Angebot aber schwankt fast immer erheblich, und das hängt mit den Ernten, also dem Wetter und zunehmend auch dem Klima zusammen.

Dazu kommt, dass die Märkte heute global oder zumindest europäisch sind. Bei Paprika und anderem Gemüse ist der Preisauftrieb aktuell beispielsweise darin begründet, dass Spanien als größter Produzent in der EU schwache Ernten abliefert. Auch bei Kakao oder Orangen ist das so, auch wenn die Gründe anders gelagert sind. Die knapperen Mengen machen sich dann auch im Supermarkt bemerkbar. Die Preise steigen.

Salatanbau auf der Reichenau: Die meisten Kulturen sind in Gewächshäusern, was sie resistenter gegen den Klimawandel macht.
Salatanbau auf der Reichenau: Die meisten Kulturen sind in Gewächshäusern, was sie resistenter gegen den Klimawandel macht. | Bild: Reichenau-Gemüse Eg

Bei manchen Gemüsesorten beträgt der Preisauftrieb ein Viertel bis ein Drittel in nur einem Jahr. Das kann doch nicht nur an schwankenden Ernten liegen?

Bliestle: Energie wird teurer und damit auch andere Betriebsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel. In Deutschland ist ein wichtiger Kostentreiber der Mindestlohn. Bei Kulturen wie Äpfeln oder Birnen sind 50 bis 60 Prozent der Kosten der Landwirte die Löhne. Wenn der Mindestlohn wie jetzt geplant auf möglicherweise 15 Euro pro Stunde steigt, wird der einzelne Apfel aus Deutschland um 10 bis 12 Cent teurer.

Die Arbeit auf den Feldern ist hart. Sind da 15 Euro nicht gerechtfertigt?

Bliestle: Ich glaube, man muss differenzieren. Für jemanden, der hier dauerhaft lebt, die teuren deutschen Mieten und Preise bezahlen muss, reichen die 15 Euro pro Stunde wahrscheinlich noch nicht einmal aus. Aber wer, wie Saisonkräfte, nur für einige Wochen hier ist, für den ist es ein guter Lohn. Diese Menschen würden ja sonst nicht kommen und bei uns arbeiten. Schon bei der letzten Mindestlohnerhöhung haben wir gesehen, dass die Saisonkräfte nach der Lohnerhöhung kürzer geblieben sind als früher.

Soll heißen: Viele haben einen Betrag X, den sie im Ausland verdienen wollen. Sobald der erreicht ist, gehen sie in ihre Heimat zurück. Eine neuerliche Mindestlohnerhöhung, würde also nicht nur zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen Situation der Betriebe führen, sondern auch zu einer weiteren Arbeitskräfteverknappung in der Landwirtschaft.

Obst und Gemüse ist die Spezialität in Baden-Württemberg. Kein anderes Bundesland baut so viel davon an.
Obst und Gemüse ist die Spezialität in Baden-Württemberg. Kein anderes Bundesland baut so viel davon an. | Bild: Zoch, Thomas

Der Lebensmittelmarkt ist von wenigen Einzelhandelsketten, einigen Hundert großen Weiterverarbeitern und Tausenden Bauern, Gärtnern und Genossenschaften geprägt. Wo bleibt der Gewinn hängen?

Bliestle: Die Preiskalkulationen des Lebensmitteleinzelhandels sind ein gut gehütetes Geheimnis. Ich kenne sie nicht. Ich kann aber sagen, dass für die Erzeuger die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Im Gegenteil. Die Erzeugerpreise in der Obst- und Gemüsebranche sind insofern grenzwertig, als dass es eigentlich keine neuen Betriebe gibt, die in das Geschäft einsteigen wollen.

Ein Beispiel: Für einen Kopfsalat bekommt eine Gärtner von der Reichenau momentan zwischen 50 und 60 Cent. Im Handel sehen wir diesen Salat dann für rund 1,49 Euro. Diese Preise empfinden viele Gärtner als sehr ungerecht. Die Erzeuger bekommen, obwohl sie das Gemüse erzeugt und das Risiko von Verderb getragen haben, immer weniger ab.

Baden-Württemberg ist das Bundesland mit dem höchsten Anteil von Sonderkulturen in der Landwirtschaft. Wie geht es den Erzeugern?

Bliestle: Es war für die Bauern und Gärtner noch nie so schwer wie zurzeit, nötige Preissteigerungen absatzseitig durchzusetzen. Selbst wir als Reichenau Gemüse mit unserer starken Marke können in vielen Fällen keine auskömmlichen Preise verhandeln und an die Gärtner durchreichen. Als Grund wird oft die Wettbewerbssituation und/oder die fehlende Ausgabenbereitschaft der Verbraucher genannt.

Bio-Paprika ist das Aushängeschild der Reichenauer Bauern. Die Paprika werden autonom bis in die Sortierhalle gefahren, wo sie in einem ...
Bio-Paprika ist das Aushängeschild der Reichenauer Bauern. Die Paprika werden autonom bis in die Sortierhalle gefahren, wo sie in einem Puffer gelagert werden. | Bild: Joachim Sauer

Welche Rolle spielen Lieferanten aus dem Ausland eigentlich bei Obst- und Gemüse?

Bliestle: Die Konkurrenz aus dem Ausland wird stärker und das ist tatsächlich auch ein Riesenproblem.

Warum, Konkurrenz belebt das Geschäft und senkt die Preise, zumindest aus Kundensicht.

Bliestle: Gegen faire Konkurrenz habe ich auch nichts. Sie ist aber nicht fair.

Warum?

Bliestle: In der EU haben wir zwar einen Binnenmarkt mit offenen Grenzen. Aber das Ausland kann einfach zu viel günstigeren Kosten produzieren. Das hängt mit billigerer Energie und Löhnen zusammen, aber auch mit geringeren Vorschriften bei Pflanzenschutz und schlechteren Sozialstandards. Ganz generell kann man sagen, dass die inländischen Produktionsmengen und damit auch der Selbstversorgunggrad bei vielen Obst- und Gemüsesorten in Deutschland sich rückläufig entwickeln wird.

Rund ein Viertel der heimischen Erdbeerproduktion ist beispielsweise in den vergangenen Jahren verschwunden. In vielen Bereichen befinden wir uns in einer Abwärtsspirale. Nur noch 34 Prozent des deutschen Gemüses stammt aus inländischem Anbau. Bei Obst sind es noch 20 Prozent. Wollen wir wirklich, dass das noch weniger wird und wir noch stärker von ausländischer Ware angewiesen sind?

Insel Reichenau bei Niedrigwasser im April 2025. Hinten im Bild sind Gewächshäuser zu sehen.
Insel Reichenau bei Niedrigwasser im April 2025. Hinten im Bild sind Gewächshäuser zu sehen. | Bild: Timm Lechler

Der Obst- und Gemüseanbau findet immer stärker unter Glas statt. Werden wir bald nur noch Gewächshäuser und keine Äcker mehr sehen?

Bliestle: Der Trend zum geschützten Anbau ist eine klare Antwort auf den Klimawandel, aber auch auf neue Schädlinge, die den Kulturen zu schaffen machen. Gewächshäuser, aber auch Hagelnetze oder Folientunnel sind zwar kostenintensiv, haben aber auch viele Vorteile.

Beeren, Obst und Gemüse lassen sich übers Jahr hinweg länger anbauen und viel gezielter vor Schädlingen schützen. Auch die Bewässerung ist effizienter im Gewächshaus. Im biologischen Pflanzenbau lassen sich Nützlinge darüber hinaus viel zielgerichteter einsetzen als auf dem offenen Feld.

Süßkartoffeln von der Reichenau. Die Region deckt mittlerweile 60 Prozent des deutschen Markts ab.
Süßkartoffeln von der Reichenau. Die Region deckt mittlerweile 60 Prozent des deutschen Markts ab. | Bild: Reichenaus Gemüse

Ein Nebeneffekt des Klimawandels sind neue Sorten. Welche sind besonders erfolgreich?

Bliestle: Vor wenigen Jahren war die Süßkartoffel hierzulande unbekannt. Heute ernten allein unser Biogärtner rund 3000 Tonnen jedes Jahr, also rund 60 Prozent der gesamten deutschen Menge. Aber auch Kiwis oder Feigen werden nicht mehr nur in den Vorgärten, sondern auch professionell angebaut. Bei den Gewürzen liegen Ingwer und Zitronengras im Trend.

Wie CO2-intensiv ist der Gemüseanbau bei Reichenau-Gemüse eigentlich? Haben Sie da Reduktionsziele?

Bliestle: Unser Ziel ist es, 2030 alles Gemüse CO2-neutral zu produzieren. Wir sind da schon recht weit, aber noch nicht am Ziel. Für die Vermarktung und Lagerung nutzen wir seit langem ausschließlich Ökostrom aus Wasserkraft oder Strom aus unseren eigenen Solarmodulen. Unsere großen Gewächshäuser sind schon heute nahezu CO2-neutral. Das wird etwa durch neue Heizanlagen sichergestellt, die Altholz verbrennen, wie etwa in der Gewächshausanlage Singen/Beuren oder durch Biogas in den Anlagen Aach und Mühlingen.

Auf der kleinteiliger aufgestellten Reichenau sind wir noch nicht ganz so weit, aber wir arbeiten konsequent an dem Thema. Übrigens sind 44 Prozent der bei Reichenau-Gemüse vermarkteten Mengen aus biologischem Anbau. Da liegen wir also weit über der staatlich geforderten Zielquote von 30 Prozent.