Es muss erst schlimmer werden, damit es besser wird. Das ist die Philosophie hinter der Rosskur, die Bundesverkehrsminister Volker Wissing der Deutschen Bahn verpassen will. Die harsche Therapie hört auf den Namen Generalsanierung. Sie wird viele Milliarden Euro kosten und dauert bis zum Jahr 2030, zumindest laut Planung.
Am 21. September berät der Bundestag, wie der Bund als Eigentümer der Deutschen Bahn mehr Geld zur Verfügung stellen kann. Es ist ein wichtiges Element der Wissing‘schen Kur. „Das Gesetz schafft die Grundlage dafür, dass wir das Schienennetz in wenigen Jahren leistungsfähig machen“, sagte der Minister unserer Redaktion. Anstatt langwierig über Kostenanteile zu diskutieren, könnten einzelne Baumaßnahmen schneller und gebündelter umgesetzt werden, so der FDP-Mann.
Fahrplan aus dem Takt
Um im medizinischen Sprachgebrauch zu bleiben, sollen bis 2030 mehr als drei Dutzend Schlagadern des Bahnnetzes für jeweils sechs Monate abgeklemmt werden. In dieser Zeit werden dann Leitungen, Schienen, Weichen und Signale vollständig erneuert, ohne dass dort eine einzige Lok verkehrt. Für Bahnfahrer heißt das, Geduld und Verständnis mitzubringen. Denn entweder müssen sie Züge nehmen, die über Nebenstrecken fahren, oder in die Busse des Ersatzverkehrs einsteigen.
Wissings Konzept ist die Abkehr vom bisherigen Ansatz, das Gleisnetz unter dem rollenden Rad zu ertüchtigen. Mehr als 1000 Baustellen sorgten 2022 dafür, dass der Fahrplan völlig aus dem Takt geriet. Jeder dritte Zug im Fernverkehr kam zu spät. Dieses Jahr ist es nicht besser. Im August liefen nur 63 Prozent der Züge des Fernverkehrs pünktlich in den Bahnhöfen ein.
Die Generalsanierung soll dazu führen, dass die Bahn dort acht bis zehn Jahre Ruhe hat. Weniger Baustellen heißt in der Gleichung Wissings weniger Störungen und höhere Pünktlichkeit. Los geht es nach seinem Plan 2024 direkt im Anschluss an die Fußball-Europameisterschaft. Dann wird die Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim in Angriff genommen. Sie ist eine der am stärksten befahrenen Routen, in den zurückliegenden Monaten stellte die Bahn im Schnitt dort täglich eine ungeplante Störung fest. Weihnachten 2024 soll der umfassende Eingriff erledigt sein.
Er ist der Auftakt zu einer ganzen Serie. Endpunkt ist im Jahr 2030 die Generalüberholung des Korridors Mannheim–Karlsruhe. Im selben Jahr soll auch die Strecke Augsburg–Ulm angepackt werden, genau wie die Gleise zwischen Würzburg und Treuchtlingen. Bedeutsam für den Süden Deutschlands ist außerdem der Abschnitt Nürnberg–Regensburg, der 2026 ansteht. 2027 nehmen sich die Gleisbauer die Verbindung zwischen München und Rosenheim vor.
Das soll die Sanierung kosten
Die Kosten des Programms sind enorm. Allein bis 2027 ist eine zusätzliche Finanzspritze von 40 Milliarden Euro nötig. Die Summe wird aus verschiedenen Töpfen aufgebracht. Den Löwenanteil wird die höhere Lkw-Maut einbringen, die die Spediteure ab Dezember 2023 berappen müssen. Außerdem kommen 12,5 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds, einen Betrag gleicher Höhe wird der Bund dem Schienenkonzern als Eigenkapital zur Verfügung stellen.
Die Bauindustrie hat zugesagt, jetzt genügend Ingenieure und Arbeiter einzustellen, damit geklotzt werden kann. Baupräsident Peter Hübner sprach von einem „Megavolumen in unglaublich kurzer Zeit“.
Der CSU-Bahnexperte Ulrich Lange hält das Korridor-Programm für bloßes Wunschdenken. „Dass die Deutsche Bahn ihre Liste mit 40 Sanierungsprojekten bis 2030 abarbeiten will, ist total unrealistisch. Das ist so typisch – willkommen im Wunderland der DB“, sagte Lange unserer Redaktion. Die Gelder, die die Bahn bisher insbesondere über Eigenkapitalerhöhungen bekommen habe, seien „von der DB stillschweigend versenkt“ worden, kritisierte er.