Shanghai – Der schon mehr als vier Wochen andauernde Lockdown in und um Shanghai hat immer größere Auswirkungen auch auf in Baden-Württemberg ansässige Unternehmen. Eine SUDKURIER-Umfrage unter mehreren Weltmarktführern und Industriefirmen zeigt, dass alle mit den Folgen der restriktiven chinesischen Corona-Politik, die sich auf immer weitere Teile des Landes ausweitet, zu kämpfen haben.

IMS Gear und Marquardt

Beim Schwarzwälder Automobilzulieferer IMS Gear leben und arbeiten nach Unternehmensangaben derzeit etwa 250 Beschäftigte nicht mehr zuhause, sondern an ihrem Arbeitsplatz. Betroffen sind Mitarbeiter in der Maschinenbau-Hochburg Taicang, etwa 45 Kilometer von Shanghai entfernt. Auf freiwilliger Basis hätten sie sich entschieden, die Produktion aufrechtzuerhalten, sagte IMS-Gear-Vorstand Wolfgang Weber dem SÜDKURER vergangene Woche.

Harald Marquard, Chef und Eigner des gleichnamigen Autozulieferers aus Rietheim, hat als einer der ersten Manager auf die angespannte ...
Harald Marquard, Chef und Eigner des gleichnamigen Autozulieferers aus Rietheim, hat als einer der ersten Manager auf die angespannte Lage deutscher Firmen in China aufmerksam gemacht.

Das Unternehmen habe dazu „Feldbetten“ aufgestellt. Schon wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass beim benachbarten Autozulieferer Marquardt aus Rietheim im Kreis Tuttlingen seit Beginn des Lockdowns in Shanghai rund 200 Mitarbeiter in einem Produktionswerk festsitzen und nicht mehr nach Hause können. Mittlerweile hat das Unternehmen Hunderte Schlafsäcke und Betten sowie Duschen zur Verfügung gestellt und versorgt die Beschäftigten mit Nahrungsmitteln. „Die Zustände sind unerträglich“, sagte Firmen-Chef Harald Marquardt unserer Zeitung Mitte April.

Firmenlogo am ebm-papst-Standort in St. Georgen. Das Unternehmen ist Weltmarktführer für Ventilatoren.
Firmenlogo am ebm-papst-Standort in St. Georgen. Das Unternehmen ist Weltmarktführer für Ventilatoren. | Bild: Ganter, Patrick

Ebm-Papst aus Mulfingen

Auch wenn sich die Zahl der Corona-Infizierten in Shanghai derzeit leicht entspannt, halten die negativen Auswirkungen der Sperrungen für Betriebe und Personal an. Der Lockdown in Shanghai, der wirtschaftlich wichtigsten Stadt des Landes, läuft mittlerweile seit über vier Wochen. Auch andere Metropolen wie Shenzen oder Peking sind betroffen. Die Zahl der Produktionsausfälle mehrt sich. So stehen mehrere Werke großer baden-württembergischer Mittelständler still.

Beim Ventilatoren-Weltmarktführer Ebm-Papst aus Mulfingen, der auch über Standorte in St. Georgen und im badischen Herbolzheim verfügt, ruht nach Angaben eines Sprechers die Produktion von „Ventilatoren und Motoren“ in seinem Shanghaier Werk im Stadtteil Pudong. Insgesamt arbeiten für das Hohenloher Unternehmen rund 2000 Menschen in China.

Hinweisschilder des Maschinenbauers HOMAG in Schopfloch (Landkreis Freudenstadt). Das zu Dürr gehörende Unternehmen ist Spezialist für ...
Hinweisschilder des Maschinenbauers HOMAG in Schopfloch (Landkreis Freudenstadt). Das zu Dürr gehörende Unternehmen ist Spezialist für Maschinen zur Holzbearbeitung. | Bild: Patrick Seeger, dpa

Homag aus Schopfloch

Ähnlich sieht es bei einem anderen Weltmarktführer aus der Region aus, dem Holzmaschinenbauer Homag aus Schopfloch. Auch hier steht ein Shanghaier Werk, weil die Mitarbeiter aufgrund des Lockdowns ihre Wohnungen nicht verlassen dürften, wie ein Firmen-Sprecher sagt. Bei Homag blieb vor dem Einsetzen des Lockdowns aber noch genügend Zeit, alle Beschäftigten nach Hause zu schicken und „größere Lebensmittelpakete“ an die Belegschaft zu verteilen, wie es heißt.

ZF Friedrichshafen

Diffuser ist die Lage bei einem der größten Unternehmen Baden-Württembergs mit Standorten in China – der ZF Friedrichshafen. Allein im Großraum China betreibt der Getriebespezialist rund ein Dutzend Werke. Insgesamt hat das Unternehmen etwa 15.000 Mitarbeiter im Reich der Mitte. Weil die Lage „hochdynamisch“ sei, lasse sich die Zahl der vom Lockdown betroffenen Mitarbeiter nicht belastbar quantifizieren“, sagt ein ZF-Sprecher. Im Moment versuche man, „die Produktion bestmöglich zu sichern“, sagte ein ZF-Sprecher. Dazu sei hohe Flexibilität nötig.

Um wichtige Entwicklungsarbeiten nicht zu beeinträchtigen, habe man beispielsweise mehrere Testfahrzeuge auf eine nicht vom Lockdown betroffene Insel transportiert, so der Sprecher. Außerdem habe man die Infektionsschutzmaßnahmen hochgefahren und die Produktion in den Werken umgebaut, um eine Vermischung“ der Belegschaften zu vermeiden. ZF macht in China etwa sieben Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, das ist knapp ein Fünftel des Konzernumsatzes.

Wiha aus Schonach

Aber nicht nur Konzerne und Weltmarktführer kämpfen mit den Folgen der Pandemie in China. „Unsere Büromitarbeiter in China sind alle zuhause und sehr unzufrieden“, sagt Wilhelm Hahn, Geschäftsführender Gesellschafter des Schonacher Handwerkzeug-Spezialisten Wiha. Die Verkäufe lägen derzeit „bei Null“ und auch viele Verwaltungstätigkeiten vor Ort seien zum Erliegen gekommen, heißt es von dem Familienunternehmen mit weltweit rund 1000 Mitarbeitern.

Sick aus Waldkirch

Nach dem umfassenden Lockdown in Folge der ersten Corona-Welle im Winter 2020 wird die Weltwirtschaft nun also wieder durch ein ähnliches Ereignis erschüttert. Wiha-Chef Hahn sage, die aktuelle Lage habe „mindestens die selbe Dimension“ wie damals und werde „ähnliche dramatische Störungen“ bei Warenkreisläufen und Preisen zeitigen. Vergangene Woche sagte Markus Vatter, Finanzvorstand des Sensor-Spezialisten Sick aus dem badischen Waldkirch, „wenn in China zwei, drei Tage die Werke stillstehen, spüren wir das“.

Der WVIB aus Freiburg

Der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands WVIB, Christoph Münzer, sagte dem SÜDKURIER, das chinesische Regime agiere „hilflos“. Der langgefeierte Strategie-Mix aus „Zero-Covid“ und hausgemachtem Impfstoff Sinovac sei gescheitert. „Die wirtschaftlichen Folgen werden uns noch länger beschäftigen“, sagte der WVIB-Vertreter.

Hauptgeschäftsführer des Freiburger Industrieverbands WVIB, Christoph Münzer. Sorge um die Entwicklung in China.
Hauptgeschäftsführer des Freiburger Industrieverbands WVIB, Christoph Münzer. Sorge um die Entwicklung in China. | Bild: WVIB

Im größten Containerhafen der Welt in Shanghai stauen sich derweil seit Wochen Hunderte Schiffe mit Hunderttausenden Containern, was die Lieferketten weltweit beeinträchtigt. Ende vergangener Woche rutschte zudem ein wichtiges chinesisches Konjunkturbarometer, der offizielle Einkaufsmanagerindex für die Industrie, auf einen kritischen Wert, der auf eine Rezession hindeutet. Insbesondere für Deutschland mit seinen exportstarken Firmen, ist die Lage heikel. Viele der vom SÜDKURIER befragten Unternehmen erzielen 20 Prozent oder mehr ihrer Umsätze in China. Vier von zehn Autos deutscher Hersteller werden mittlerweile in China verkauft. Auch ein Gutteil der Gewinne wird dort erwirtschaftet.