Die Nachrichten aus Deutschlands Spitzenkonzernen erinnern an triste Krisenzeiten aus der Vergangenheit. Kaum eine Woche, an der nicht neue Stellenabbaupläne verkündet werden. Den Rotstift packen die Spitzenadressen der Deutschen Wirtschaft aus. Ob Deutsche Bank, SAP, Bayer, Miele oder Continental: Überall stehen Tausende Stelle zur Disposition.
Besonders heftig bläst der Krisenwind den Beschäftigten in der Autoindustrie ins Gesicht. Bei Bosch sollen 4000 und bei ZF Friedrichhafen sogar 12.000 Stellen mittelfristig gestrichen werden. Der Reifenhersteller Michelin beendet seine LKW-Reifen-Produktion in Karlsruhe und Trier mit 1500 Mitarbeitern.
Bei Mercedes sollen die eigenen Verkaufsniederlassungen dem Sparkurs zum Opfer fallen. Aber auch bei den Zulieferern Brose und Continental haben die Chefetagen den Rotstift bereits gezückt.

Was erstaunt: Noch vor kurzer Zeit haben auch diese Unternehmen in den Chor jener eingestimmt, die den Mangel an Fachkräften beklagt haben. Doch jetzt werden bei Bosch sogar Stellen in der Forschung und Entwicklung beispielsweise rund um das autonome Fahren gestrichen.
Es geht also in vielen Fällen nicht um Arbeitsplätze rund um die auslaufende Verbrenner-Technologie. Doch der Autoindustrie laufen offenbar die Kosten davon. Das befeuert einen Stellenabbau den die Branche schon vor Jahren angedroht hat. Demnach sollen in Deutschland bis zu 75.000 Stellen wegfallen.
Hohe Investitionen in die Elektromobilität belasten
Seit Jahren investiert die Autoindustrie viele Milliarden in die Entwicklung von Produkten rund um die Elektromobilität. Der Getriebespezialist ZF hat mit TRW und Wabco sogar zwei Konzerne aufgekauft, um die Transformation stemmen zu können. Jetzt könnten viele Hersteller und Zulieferer mit Stromern durchstarten – nur der Markt will sie nicht.
Die Branche sitzt nun ausgerechnet in Zeiten hoher Zinsen auf riesigen Kapazitäten. Und manche – wie beispielsweise ZF – sogar auf einem hohen Schuldenberg. Immer deutlicher wird nun, dass die Wette auf die E-Mobilität vor allem politisch befeuert wurde. Die Realität sieht völlig anders aus.
Man werde wohl Verbrenner doch so lange anbieten, wie die Kunden sie nachfragen, rudert beispielsweise Mercedes-Chef Ola Kaellenius zurück. Der wollte bis Ende der Dekade eigentlich nur noch E-Mobile vom Band rollen lassen. Der kostspielige Spagat zwischen Verbrenner und E-Antrieb zieht sich also länger hin als ursprünglich gedacht. Für teure Entwicklungen wie das Autonome Fahren oder eigene Softwarelösungen ist kein Geld mehr da. Bei VW stehen deshalb bei der IT-Tochter Cariad rund 2000 Stellen zur Disposition.
Von einem Run auf die potenziell verfügbaren Fachkräfte kann derzeit allerdings noch keine Rede sein. ZF bestätigt, dass sich einige Betriebe für die 200 Mitarbeiter aus dem Werk Gelsenkirchen interessieren. Den Standort will der Konzern vom Bodensee schließen. Doch eigentlich sind bei dem Autozulieferer ganz andere Zahlen in der Diskussion.
Laut Betriebsrat und IG Metall sollen insgesamt bis zu 12.000 Stellen wackeln. Der Konzern wiegelt jedoch ab und spricht lediglich davon, dass in den kommenden Jahren Mitarbeiter, die in Rente oder und Altersteilzeit gehen, nicht mehr ersetzt werden. Die müsse man folglich auch nicht an andere Unternehmen vermitteln.
Arbeitsmarktspezialist bleibt skeptisch
Auch bei Bosch werden zwar bis zu 4000 Stellen infrage gestellt. Die meisten im Hightech-Bereichen wie das Autonome Fahren oder der Entwicklung neuer Lösungen rund ums Automobil. Ein Teil der Betroffenen soll intern eine andere Beschäftigung angeboten bekommen. Auch hier laufen derzeit noch die Verhandlungen mit dem Betriebsrat.
Der Stuttgarter Konzern stellt seit Jahren die Weichen für den technologischen Wandel und bietet eine Reihe von internen Weiterbildungsmöglichkeiten an. Seit 2018 seien so 500 Teilnehmer extern weitervermittelt worden, teilt der Konzern mit. Zudem würden sich 70 Bosch-Personalexperten um die Vermittlung von eigenen Beschäftigten an andere Arbeitsplätze im Konzern bemühen. Seit 2019 seien so 1100 Mitarbeiter in anderen Bereichen untergekommen.
Arbeitsmarktspezialist Nicolas Bauer von der IG Metall Baden-Württemberg sieht aber auch aufseiten der Betroffenen derzeit kein sonderliches Interesse, einen Wechsel zu forcieren. „Die Konditionen bei den Großen, sind schon sehr attraktiv. Man denke nur an die hohen Gehälter oder an Zusatzleistungen wie, Erfolgsprämien, Dienstwagen oder eine Betriebsrente“, gibt er zu bedenken. Zudem spekuliere so mancher auf eine Abfindung und warten deshalb zum Leidwesen interessierter Mittelständler ab.
Wenig attraktive Angebote für Konzernbeschäftigte
Mit diesem Eindruck ist der Gewerkschafter nicht alleine. Man befinde sich eben in einem Arbeitnehmermarkt, ist bei der Bundesagentur für Arbeit in Stuttgart hinter vorgehaltener Hand zu hören. Die Leute könnten es sich aussuchen.
Da würden die Mittelständler ins Hintertreffen geraten: „Die bieten weniger Geld und erwarten aber mehr Leistung und Verantwortung. Das winken viele Beschäftigte in den Konzernen erst einmal ab“, so ein Experte, der mit dieser Meinung lieber nicht genannt werden will.
Die Stuttgarter Behörde müsste schnell erfahren, wenn im Südwesten Unternehmen in größere Zahl Personal abbauen. Denn die Betriebe sind verpflichtet, einen solchen Schritt nach dem Kündigungsschutzgesetz zu melden. Doch nach den Hiobsbotschaften aus der Autoindustrie ist bei der Behörde offenbar noch kein vermehrter Vermittlungsbedarf registriert worden.
Das bedeutet: Der Personalabbau hat noch keine konkreten Formen angenommen. Bisher seien auch nicht mehr Anträge auf Kurzarbeit eingegangen, teilt die Behörde auf Anfrage mit. Das wäre beispielsweise ein Grund, warum die Mittelständler nur zurückhaltend bei den Konzernen anklopfen, die ihre Fachkräfte loswerden wollen.