Thomas Berger streckt die Hand aus und deutet an die Decke. „Sehen Sie, wie wenig Platz da oben noch ist? Hier ist alles zu klein geworden, das machen wir jetzt neu.“ Berger steht in der zentralen Lackiererei des Spezialmaschinenbauers Aebi-Schmidt in St. Blasien im Schwarzwald.
In die graue Lackierkammer zwängt sich neben Berger noch ein riesiges Schneeräumfahrzeug, das künftig die Landebahn eines Flughafens bei Schlechtwetter freihalten soll. Rechts und links passt grade noch ein Mann durch, oben ist es noch enger.
Investitionen in St. Blasien
Einige Millionen Euro nimmt das Unternehmen nun für eine moderne und größere Anlage in die Hand. Der 57-jährige Berger ist Werksleiter bei Aebi-Schmidt in St. Blasien, dem europäischen Marktführer für Schneeräumer und -fräsen. Seit 40 Jahren ist der Schwarzwälder im Unternehmen und hat in der Zeit gesehen, wie die Geräte des Fahrzeugbauers immer komplexer und größer geworden sind.

Gleiches ließe sich auch über den Traditionsbetrieb an sich sagen. Aebi-Schmidt wächst in einer Geschwindigkeit, die einen mulmig werden lässt. Neue Produkte und neue Märkte sollen her. Raus aus dem Schwarzwald, rein in die Welt, könnte man die Marschrichtung zusammenfassen.

Den Mann, der dafür verantwortlich ist, heißt Barend Fruithof, ist Schweizer und sitzt an diesem Tag zwei Etagen höher im Stammwerk des Unternehmens. Manche nennen ihn einen europäischen „Dealmaker“, ein Attribut, das er sich nicht selbst gegeben hat, wahrscheinlich aber unterzeichnen würde. Vor acht Jahren hat er das Ruder bei Aebi-Schmidt übernommen und das Unternehmen seither auf Wachstum getrimmt.
Erst Landwirt, dann Banker, dann Firmenchef
Der 1,90 Meter große Eidgenosse ist eigentlich Banker. Als ehemaliger Chef des Firmenkundengeschäfts bei der Schweizer Großbank Credit Suisse, war seine Karriere in der Finanzbranche im Grunde vorgezeichnet. Dann aber kam ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte – und wollte. Peter Spuhler, „sein bester Freund“, wie Fruithof sagt, rief ihn an.
Spuhler ist in der Schweiz eine schillernde Gestalt. Die Zeitung „NZZ“ nannte ihn einmal den „erfolgreichsten Unternehmer seiner Generation“, weil er zwischen Schaffhausen und Chiasso quasi aus dem Nichts ein Industrieimperium aufgebaut hat.
Der Bussnanger Eisenbahnbauer Stadler Rail ist sein Vorzeigeunternehmen. Unter seiner Regie entwickelte sich die Firma vom lokalen Lokproduzenten zum viertgrößten Bahnkonzern in Europa.
Peter Spuhler – von Stadler Rail zu Aebi-Landmaschinen
Im Jahr 2006 folgte ein weiterer Meilenstein. Damals übernahm Spuhler den kriselnden Mähmaschinenbauer Aebi aus dem Schweizer Emmental und fusionierte ihn ein Jahr später mit dem ebenfalls angeschlagenen Schneeräum-Spezialisten Schmidt aus St. Blasien.
Sein Mann an der Spitze des neuen Betriebs war sein Duzfreund Fruithof. „Vor meinem Einstieg ins Unternehmen haben Peter Spuhler und ich gemeinsam die Lage angeschaut und haben uns dann gesagt: Da können wir richtig was draus machen. Das können wir internationalisieren“, sagt der 58-Jährige heute dem SÜDKURIER.
„Peter Spuhler ist mein bester Freund“
Und so kam es. Seit der Sohn eines holländischen Bauingenieurs bei Aebi-Schmidt im Chefsessel sitzt, hat er mehrere Konkurrenten aufgekauft, zuletzt den Kommunalmaschinenbauer Ladog aus Zell am Harmersbach im Schwarzwald.
Fruithofs Blick geht aber vor allem in die USA. Auch dort haben sich die Schweizer in den vergangenen Jahren mehrere Konkurrenten einverleibt. Fruithof, der selbst Jahre in den USA zugebracht hat, sagt, in Europa unterschätze man oft, wie dynamisch der Markt in den USA wachse. Welche Chancen es dort gebe.

Die Schweizer bleiben am Drücker
Im Nachhinein war all das aber nur Vorgeplänkel für das wirklich große Geschäft, den Mega-Deal sozusagen. Vergangenen Dezember gab Aebi-Schmidt bekannt, den etwa gleich großen Konkurrenten Shyft aus dem US-Staat Michigan zu übernehmen. Der Clou: Die Shyft-Aktionäre erhalten für ihre Anteile Aktien an Aebi-Schmidt. Die Mehrheit liegt aber weiterhin bei Spuhler, Fruithof sowie einem weiteren Großinvestor aus der Eidgenossenschaft.
Auch im Verwaltungsrat des so entstehenden Spezialfahrzeuge-Giganten stellen die Eidgenossen die Mehrheit. Vor allem aber wird ihr fusioniertes Unternehmen künftig an der US-Börse Nasdaq notiert sein, was Zugang zum riesigen US-Kapitalmarkt garantiert. Der Börsengang bietet uns ganz neue Wachstumschancen“, sagt Fruithof.

Aber geht das alles nicht zu schnell, für ein Unternehmen wie Aebi-Schmidt, das noch bis vor wenigen Jahren aus dem beschaulichen Emmental heraus die sprichwörtlichen „Alpen-Ferraris“ für Bergbauern und im Schwarzwald Schneepflüge für die örtlichen Bauhöfe produziert hat?
Shyft-Übernahme ist fast in trockenen Tüchern
Fruithof, der vor seiner Banker-Karriere selbst nahe Bern eine Landwirtschaftsausbildung absolvierte, sieht das anders. „Ich glaube nicht, dass es durch die Übernahme von Shyft zu einem Kulturbruch im Unternehmen kommt“, sagt er. Man sei schon lange in den USA tätig, er selbst kenne die US-Kultur und die Mentalität dort, sei in der US-Politik gut vernetzt.
Durch die Fusion mit Shyft bringe man „den Pragmatismus der Amerikaner mit dem Perfektionswillen der Europäer zusammen“. Sofern die Kartellbehörden grünes Licht geben, soll die Übernahme Mitte des Jahres abgeschlossen sein. Das fusionierte Unternehmen wird dann rund zwei Dutzende Marken umfassen, weltweit rund 70 Standorte haben und es auf einen Umsatz von knapp zwei Milliarden US-Dollar bringen.
Aber auch das ist für das Schweizer Duo Fruithof und Spuhler nur eine Zwischenmarke. „Unsere Vision ist es, langfristig drei Milliarden Euro Umsatz zu erreichen“, sagt Fruithof. Die operative Gewinnspanne (Ebitda) soll zweistellig werden. Dazu soll der Umsatz kontinuierlich schneller wachsen als die Kosten und alle Werke müssten jedes Jahr „drei Prozent effizienter werden“.
So soll es dem neuen Unternehmen gelingen, in allen Produktgruppen unter die „Top-3-Anbieter der Welt“ vorzurücken. Das Unternehmen soll weg vom reinen Fahrzeugbauer und hin zum Komplettanbieter, der auch das Service- und Ersatzteilgeschäft beherrscht. Die neue Konzernstruktur soll es auch ermöglichen, mehr Geld in teure Zukunftsfelder wie Elektromobilität und automatisiertes Fahren zu stecken.
Der erste Amerika-Ausflug des Schneeräumspezialisten ging schief
Bis es so weit ist, wird es aber dauern. „In den kommenden drei Jahren steht Schuldenreduzierung und Cashflow im Vordergrund“, sagt der Schweizer Manager Fruithof. Das werde „die Voraussetzung für gezielte Zukäufe und organisches Wachstum sowie Investitionen in Technologie in den folgenden Jahren schaffen“.
Bei Werksleiter Berger, der von der Lackiererei mittlerweile in die Produktionshalle weitergelaufen ist, fühlt man den Aufbruch schon. Ganz vorne arbeiten die Beschäftigten an Flugfeld-Räummaschinen, die in alle Welt geliefert werden. Sie bringen es fertig, in 30 Sekunden eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld von Schnee zu befreien.
Weiter hinten schraubt ein Ingenieur an einer neuen vollelektrischen Kehrmaschine für Kommunen. Berger erklärt, wie es gelingt, die Einzelfertigung immer stärker in eine Art Fließbandsystem umzustellen, Materialflüsse zu vereinfachen, effizienter zu werden. Einen Kulturschock durch die Schweizer Eigner und den Schritt an die US-Börse kann auch er nicht erkennen. Warum auch? Die Auftragsbücher sind voll. 20 neue Stellen, allein in St. Blasien, sind ausgeschrieben.

Vielleicht hat sich auch einfach die Zeit über einst klaffende Wunden gelegt. Im Jahr 1990 rutschte das damals vom Nachfahren des Gründers Alfred Schmidt Junior geleitete Unternehmen in die Insolvenz. Vorausgegangen war ein verkorkster Versuch, den US-Markt zu erobern.
In den Fluren des heutigen Nachfolge-Unternehmens heißt es, der damalige Firmenchef sei zwar ein genialer Ingenieur, aber eben kein begnadeter Dealmaker gewesen.