Wenige Tage vor Weihnachten war es für viele deutsche Strom- und Gaskunden vorbei mit der Besinnlichkeit: „Aufgrund der historisch einmaligen Preisentwicklung sahen wir uns zu unserem ausdrücklichen Bedauern gezwungen, alle Lieferverträge mit Ablauf des 21.12.2021 zu beenden.“ Mit diesen Krokodilstränen ließen beispielsweise die Anbieter Stromio und Gas.de ihre Kunden im Regen stehen. Die Billiganbieter – so der Eindruck – haben die sprunghaft angestiegenen Energiepreise nicht mehr kompensieren können und müssen jetzt die Grätsche machen.
Stromio ist nicht pleite, dreht seinen Kunden aber den Strom ab
Das Erstaunliche ist aber: Pleite sind diese Anbieter nicht: Doch was ist dann mit den Strom- und Gaskontingenten passiert, die die Billigheimer zur Verfügung hatten? In der Branche hält sich hartnäckig die Vermutung, dass sie ihren Strom jetzt an der Energiebörse verscherbeln und so die hohen Energiepreise nutzen, um richtig Kasse machen. „Eindeutig lässt sich ein Stromkontingent nicht auf einzelne Unternehmen zurückverfolgen, denn die Discounter haben oft den Handel an Dienstleister ausgelagert“, erklärt ein Marktbeobachter.
Die Leipziger Strombörse schweigt, ob denn ungewöhnliche Angebote in jüngster Zeit zu beobachten waren: „Der börsliche Großhandel mit Strom erfolgt anonym, um eine Gleichbehandlung aller Handelsteilnehmer sicherzustellen. Aus diesem Grund kann sich die Börse nicht zum Handelsverhalten einzelner Unternehmen/Kundengruppen äußern.“

Allerdings dürfte den Profis durchaus auffallen, wenn plötzlich Strommengen angeboten werden, die man so nicht auf dem Zettel hatte. Denn der Markt ist relativ übersichtlich, wie mehrere Insider bestätigen. „Der Gedanke liegt nahe, dass diese Strommengen an der Börse verkauft werden“, urteilt ein Sprecher des Versorgers Eon. Sein Vorstandschef Leonhard Birnbaum wird wesentlich deutlicher. Es könne nicht sein, dass Anbieter Kunden abwerfen, um dann Stromverträge an der Börse zu Geld zu machen. „Da fragen wir uns, ob wir da de facto einem Insolvenzbetrug zum Opfer fallen.“
Wer ist Ömer Varol?
Der Eon-Boss dürfte dabei beispielsweise an Stromio und Gas.de gedacht haben. Die zählen zum Firmengeflecht von Ömer Varol, zu dem auch der Anbieter Grünwelt gehört. Dieses Unternehmen hat im Dezember ebenfalls die Strom- und Gaslieferung eingestellt. Nach einem Bericht des „Spiegel“ haben Stromio und Gas.de zusammen allein 2019 bei einem Umsatz von 1,1 Milliarden Euro einen Betriebsgewinn von 111 Millionen Euro erwirtschaftet. Und das mit nur 36 Mitarbeitern. Auch in den Jahren zuvor habe das verschachtelte Firmenimperium des öffentlichkeitsscheuen Varol prächtig verdient.

Der Preisschub am Energiemarkt hat hier offenbar keine angeschlagenen Unternehmen getroffen. So verfestigt sich der Eindruck, dass lieber den Kunden statt der eigenen Kasse den Stecker gezogen wurde.
Varol schickt seine Anwälte vor
Varol selbst schickt zu einer entsprechenden Anfrage gleich eine Kölner Anwaltskanzlei vor. Die bestätigt, dass Stromio, Gas.de und Grünwelt nicht insolvent sind. „Der Gas- und Strompreis für Lieferungen in der Winterzeit hat sich auf den Beschaffungsmärkten in der Spitze um mehr als 400 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Vor diesem Hintergrund bitten unsere Mandanten ihre Kunden um Verständnis, dass in dieser historisch einmaligen Situation Verträge gekündigt werden mussten.
Dass man den Strom zwischenzeitlich lukrativ an der Börse verscherbelt hat, bestreiten die Anwälte: „Unsere Mandanten haben Energiemengen kurz bis mittelfristig geordert, sodass sie unmittelbar von den jüngsten Preisexplosionen an den europäischen Energiehandelsplätzen betroffen waren.“
Also alles nur dumm gelaufen? „So eine Kündigung ist unzulässig. Das kann zu einem Schadensersatzanspruch führen, weil der Anbieter seine vertraglichen Pflichten nicht eingehalten hat“, stellt die Verbraucherzentrale NRW klar. Ob neben der Vertragsverletzung sogar Betrug im Spiel ist, wie Eon-Chef Birnbaum vermutet, bleibt offen. Die Aufsichtsbehörde gibt sich dazu zugeknöpft: „Fragestellungen, die Verdachtsmomente für Straftaten enthalten, werden von der Bundesnetzagentur an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden abgegeben.“ Was übersetzt wohl heißt: man beschäftigt sich sehr wohl mit der strafrechtlichen Bewertung des Sachverhalts.
Stadtwerke Pforzheim kassieren von Neukunden Mondpreise
Insgesamt haben bundesweit knapp 40 Unternehmen angekündigt, nicht mehr zu liefern. Deren Kunden müssen nun von den sogenannten Grundversorgern aufgenommen werden. Allein Eon spricht von einer „kleinen sechsstelligen Kundenzahl“, die der Konzern auffangen musste. Bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW) landeten in kurzer Zeit Haushalte „im mittleren fünfstelligen Bereich“. Bei den großen Versorgern bekommen die gestrandeten Kunden im Rahmen der gesetzlich gesicherten „Ersatzversorgung“ Strom zum Grundtarif angeboten. Der bewegt sich bei 30 Cent je Kilowattstunde.
Kartellbehörde prüft
Das ist allerdings nicht überall so. Einige Stadtwerke kassieren kräftig ab. So verlangen die Stadtwerke Pforzheim von 1500 Verbrauchern sogar 1,07 Euro je Kilowattstunde. Der Versorger argumentiert, im Dezember habe man zusätzlichen Strom besonders teuer an der Strombörse zukaufen müssen. „Da müssen wir auch unsere Bestandskunden schützen“, argumentiert eine Sprecherin. Die Verbraucherzentrale in Stuttgart lassen das nicht gelten. Der Gesetzgeber habe die Ersatzversorgung für alle Bürger vorgesehen. Da können man keine Sondertarife einführen. Inzwischen prüft das Landeskartellamt die Pforzheimer Preisvorstellungen.