Es waren wenige Zeilen, aber unter den deutschen Winzern und Kellereien lösten sie ein Beben aus. Vergangene Woche teilten die Spitzenverbände der genossenschaftlichen Weinerzeuger mit, geschlossen aus dem Deutschen Weinbauverband (DWV) auszutreten. Man habe sich nicht mehr vertreten gefühlt und wolle nun „neue Wege gehen“, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung, die unter anderem vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband unterzeichnet ist.

Brandbriefe von Verbänden

Kurze Zeit später flatterte dem DWV der nächste Brandbrief ins Haus. Darin erklärte auch der fränkische Weinbauverband, der gemeinsamen Interessenvertretung der deutschen Winzer den Rücken zu kehren. Und als ob es damit nicht genug gewesen wäre, warf Ende vergangener Woche auch noch der bisherige Vize-Präsident im DWV, Henning Seibert, den Bettel hin.

Ein Mann lädt in einer Filiale eines Discounters einen Karton mit Weinflaschen aus einem Weinregal in einen Einkaufswagen. ...
Ein Mann lädt in einer Filiale eines Discounters einen Karton mit Weinflaschen aus einem Weinregal in einen Einkaufswagen. Genossenschaften verkaufen einen Großteil ihrer Weine im Lebensmitteleinzelhandel. Dort wird hart um den Preis gerungen. | Bild: Bernd Thissen, dpa

Nun sind die Spitzengremien der deutschen Weinwirtschaft zwar kein Ort der sprichwörtlichen Weinseeligkeit. Immerhin geht es um die handfesten Interessen von gut 11.000 Weinerzeugern und um jährliche Umsätze von rund drei Milliarden Euro. Aber dass sich ein Verband mit seinen regionalen Ablegern derart verkracht, hat Seltenheitswert. In internen Sitzungen sollen „die Fetzen geflogen sein“, heißt es aus informierten Kreisen. Man habe sich sogar angeschrien, was allerdings von offizieller Verbändeseite dementiert wird.

Neues Weingesetz mit Siegern und Verlieren

Was also bringt die Branche so in Rage? Nach 50 Jahren hat der Bund kurz vor Jahreswechsel ein neues, EU-konformes, Weingesetz verabschiedet. Dieses soll die Qualitätsbezeichnungen deutscher Weine neu fassen. Anknüpfend an Regelungen, wie sie in Weinbaunationen wie Frankreich oder Italien schon seit Jahrzehnten bestehen, soll auch hierzulande auf den Etiketten der Weinflaschen die Lage als entscheidendes Qualitätskriterium fest verankert und hervorgehoben werden. Während im Ausland seit jeher der Grundsatz gilt: „Je begrenzter der Standort der Reben, desto höher die Qualität“, verfuhren die Winzer zwischen Mosel, Unstrut und Bodensee mit ihren Kreationen bislang anders.

Was wird aus den Großlagen?

Qualitäts-Maßstab des sogenannten Germanischen Weinrechts war nicht die Herkunft und Lage eines Weins, sondern dessen Zuckergehalt. Dieser wird in Grad Öchsle gemessen, und nach ihm richtet sich die hierzulande übliche Benennung der Tropfen in Land-, Qualitäts- und Prädikatswein, wobei sich letztere Stufe noch einmal in Kabinett, Spät- und Auslesen untergliedert.

Das Top-Produkt der deutschen Winzer stellt denn auch die Trockenbeerenauslese dar, die mit 150 Grad Öchsle vor dem Keltern einen gut dreimal so hohen Zuckergehalt aufweisen muss wie der von Weinliebhabern verschmähte Landwein.

Die Übersichtsaufnahme zeigt Ihringen am Kaiserstuhl. Eine der bekanntesten Weinbaugemeinden in Baden.
Die Übersichtsaufnahme zeigt Ihringen am Kaiserstuhl. Eine der bekanntesten Weinbaugemeinden in Baden. | Bild: Patrick Seeger, dpa

Zeitgemäß sei das nicht mehr, sagen Kritiker schon lange. Ihr Argument: Bebauten die Vorfahren der heutigen Winzer bewusst Steillagen, um die Strahlen der tiefstehenden Sonne maximal auszunutzen und aus ihrem Wein so möglichst viel Öchsle herauszuquetschen, ist es heute genau umgekehrt. Aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung und Temperaturen häufen sich die Jahrgänge, bei denen die Weinbauern dralle Prädikatsweine freiwillig herunterstufen, um überhaupt noch ausreichend Mengen auf Qualitätswein-Niveau anbieten zu können.

Der Zuckergehalt als Gradmesser von Qualität hat also auch hierzulande ausgedient, weswegen sich die Branche in Deutschland schon vor Jahren für eine Übernahme der südeuropäischen Qualitätsdefinition entschieden hat.

Ist das Ziel also lange abgesteckt, so wird über die Details mit zunehmender Heftigkeit gestritten. Der aktuelle Knatsch auf Verbändeebene ist nur das sichtbarste Zeichen.

Ansgar Horsthemke ist beim Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband in Stuttgart Fachmann für Weinrecht.
Ansgar Horsthemke ist beim Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband in Stuttgart Fachmann für Weinrecht. | Bild: GVBW

Insbesondere Weinbaugenossenschaften und Kellereien fühlen sich vom Rest der Zunft über den Tisch gezogen. Nach außen übt man sich zwar in Zurückhaltung. Von „Meinungs- und Interessenunterschieden“, spricht diplomatisch Ansgar Horsthemke, Generalbevollmächtigter des baden-württembergischen Genossenschaftsverbands (GVBW) und betont die weiter partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den deutschen Privatwinzern und ihrem Verband DWV. Hinter den Kulissen aber brodelt es.

Terroir oder Öchsle?

Kurz gesagt hat sich bei vielen Genossenschaften, die in Baden-Württemberg etwa 70 Prozent der gesamten Weinerzeugung schultern, das Gefühl durchgesetzt, bei den neuen Weinregeln übervorteilt zu werden. Mit dem neuen Mantra der Branche „Je kleiner das Anbaugebiet, desto besser der Wein“ haben sie allein schon deswegen ein Problem, weil sich die Parzellen der Weingärtner-Verbünde naturgemäß über ein viel größeres Einzugsgebiet erstrecken, als die Reben der Einzelerzeuger.

Wein aus Württemberg, der von einer Großlage stammt. Für viele Verbraucher ist der Name „Haberschlachter Heuchelberg“ eine ...
Wein aus Württemberg, der von einer Großlage stammt. Für viele Verbraucher ist der Name „Haberschlachter Heuchelberg“ eine eingeführte Marke mit viel Wiedererkennungswert. | Bild: Kern

Zudem haben speziell die Weinbaugenossenschaften in den vergangenen Jahren viel Geld in die Vermarktung sogenannter Großlagen gesteckt. Das sind weitläufige Gebiete innerhalb einer Weinregion, die unter einem Einzelnamen zusammengefasst werden. Diese Großlagen kennt heute fast jeder Weintrinker unter Bezeichnungen wie Ihringer Vulkanfelsen, Haberschlachter Heuchelberg oder Lindauer Seegarten. Gut 150 dieser Großlagen, von denen jede durchschnittlich etwa 600 Hektar umfasst, gibt es in Deutschland – und genau jenen geht es laut neuem Deutschen Weingesetz nun an den Kragen.

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„Künftig wird der „Ihringer Vulkanfelsen“ nur noch so heißen, wenn der Wein aus Ihringen direkt kommt“, sagt Genossenschafts-Experte Horsthemke. Weine aus Nachbargemeinden, müssten spätestens ab dem Jahr 2026 auf dem Etikett „anders genannt werden“. Die Problematik betrifft auch manche Einzellage, wie etwa die im Badischen bekannte Lage Maltesergarten südlich von Freiburg.

Für die Genossenschaften, die im deutschen Weinbau wie niemand anders auf Großlagen-Weine setzen, ist das ein Riesenproblem. Die Umbenennung der Weine, die nicht nur beim klassischen Vierteles-Schlotzer hohe Marktanteile erreichen, verunsichere die Kunden und schwäche „etablierte Marken“ – obwohl sich an der Qualität des Weines ja nichts ändere, bemerkt Genossenschafts-Mann Horsthemke.

Simone Loose ist bei der Weinhochschule im hessischen Geisenheim (HGU) BWL-Professorin und leitet das Institut für Wein- und ...
Simone Loose ist bei der Weinhochschule im hessischen Geisenheim (HGU) BWL-Professorin und leitet das Institut für Wein- und Getränkewirtschaft. | Bild: HGU

Für langjährige Marktbeobachter sind die Vorbehalte der Geno-Winzer nicht von der Hand zu weisen. „Für die Genossenschaften deutet sich ein bitterer ökonomischer Rückschlag an“, sagt etwa Simone Loose, Leiterin des Instituts für Wein- und Getränkewirtschaft an Deutschlands führender Wein-Hochschule, der Geisenheimer HGU. Durch das neue Weingesetz verlören die genossenschaftlichen Erzeuger „klar positionierte und sichere Umsatzbringer“.

Das Land der Weinbau-Genossen

Gerade im Badischen und Württembergischen mit ihren vielen, sich über zahlreiche Gemeinden erstreckenden Großlagen, würden die Auswirkungen spürbar sein, schätzt die Expertin. „Viel Marketing“ werde nötig sein, um die Endkunden an neue Bezeichnungen auf den Flaschen zu gewöhnen. Geno-Mann Horsthemke spricht von einer „großen und teuren Herausforderung“ für die Genossenschaften im Land.

Diese wiegt umso schwerer, als dass es die Genossenschaften sind, die den massiven Preisdruck im deutschen Weingeschäft an vorderster Front zu spüren bekommen. Sie vermarkten einen Großteil ihrer Weine im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und bei preisaggressiven Discountern. Dort wird deutscher Wein nach Daten des Deutschen Weininstituts für durchschnittlich 3,30 Euro je Liter angeboten. Bei den Winzern bleiben davon oft nur 90 Cent hängen – ein Erzeugerpreis, der die Produktionskosten nicht deckt.

Edel-Winzer gegen Genossen

Demgegenüber steht die Fraktion der Privatwinzer, deren Spitzenvertreter sich im Verband der Prädikatsweingüter – kurz VDP – organisiert haben. Diese vermarkten ihre Weine schon seit Jahren wie ihre Vorbilder im Bordeaux, Burgund oder Piemont nicht über schnöde Öchslegrade, sondern über klingende Lagenbezeichnungen wie Oberbergener Pulverbuck oder Stettener Brotwasser Steingrube.

An den Endkunden bringen sie ihre edlen Tropfen meist über den Fachhandel oder verkaufen direkt ab Hof. So erzielen sie deutlich höhere Gewinne. Mit den Problemen im Massengeschäft müssen sich diese Winzer, die nur für einen Bruchteil der deutschen Weinerzeugung stehen, nicht herumschlagen. Indes seien sie es gewesen, die sich mit dem Argument der Verbrauchertäuschung am vehementesten für die Abschaffung der für die Genossenschaften so wichtigen Großlagen eingesetzt hätten, heißt es aus der Branche.

Weinreben stehen auf dem Heuchelberg. In und um Schweigern erstreckt sich eine bekannte Großlage des Weinbaus.
Weinreben stehen auf dem Heuchelberg. In und um Schweigern erstreckt sich eine bekannte Großlage des Weinbaus. | Bild: Tom Weller, dpa

Das sorgt jetzt für Ärger. Bei so manchem Normalo-Weinbauern habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, die neue Weinrechts-Reform bestrafe just jene, deren wirtschaftliche Perspektiven schwierig seien und spiele den Weingütern in die Karten, deren Geschäfte sowieso brummen, heißt es von informierter Seite.

Auswahl im Ladenregal wird schwieriger

Und der Endkunde? Ob eines der Hauptziele der Weinrechtsreform – nämlich mehr Orientierung beim Weinkauf zu schaffen – erreicht wird, erscheint fraglicher denn je. Für Verwirrung wird sorgen, dass Weinetiketten landauf-landab einer Generalinventur bedürfen, weil Begriffe wie Qualitätswein, Kabinett oder Spätlese unwichtiger werden beziehungsweise sogar „in Zukunft ganz verschwinden“, wie Fachmann Horsthemke anmerkt. „Manche liebgewonnene Bezeichnung auf den Flaschen könnte bald wegfallen“, sagt er.

Die anstatt dessen geplanten Herkunfts-Bezeichnungen als Qualitätsausweis ließen die Kunden indes oft ratlos zurück, sagt Weinmarkt-Professorin Loose aus Geisenheim. Kein Mensch könne sich tausende Namen von einzelnen Weinlagen merken. Nur fünf bis zehn Prozent der deutschen Weintrinker interessiere sich überhaupt für entsprechende Begriffe auf dem Etikett hat sie in einer Studie herausgefunden. Ihr Fazit: Die für die Endkunden sowieso schon verwirrende Weinwelt – sie werde jetzt wahrscheinlich noch unübersichtlicher.