Es ist kalt draußen. Und auf den Dächern in Konstanz liegt eine Schicht Schnee. Für die Solarzellen des Konstanzer Forschungsinstituts ISC ist das kein Problem. Richtig angebracht liefern die Mini-Kraftwerke trotzdem Strom. „Unsere Zellen können auch auf der Unterseite Energie erzeugen“, sagt ISC-Vorstandsmitglied Radovan Kopecek. So seien Wirkungsgrade von bis zu 25 Prozent erreichbar – ein Top-Wert!
Zellen mit hohen Wirkungsgraden aus Konstanz
Baden-Württembergs Energie- und Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sitzt in einem Konferenzraum des ISC nahe des Konstanzer Seerheins und hört sich an, was die Spitzenforscher zu sagen haben. Sie ist an den Bodensee gekommen, um der heimischen Solarbranche Mut zu machen.

Konstanz ist da der richtige Ort. Denn die Stadt hat durchwachsene Zeiten hinter sich. Vor zwei Jahrzehnten schickte man sich an, zu einem der führenden Solar-Standorte Baden-Württembergs zu werden, das wiederum als Wiege der deutschen Solarwirtschaft gilt. In den Nuller-Jahren ließen sich am Bodensee Technologieführer wie Sunways oder der Photovoltaik-Maschinenbauer Centrotherm nieder.
Dazu kam eine rege Forschungslandschaft im Umfeld des 2005 gegründeten Solar-Instituts ISC und der Universität. Heute ist davon nur die Forschung geblieben. Vor gut einem Jahrzehnt rutschten die Solarfirmen in die Pleite. Viele Jobs gingen verloren, die Standorte wurden umgenutzt.
Wiederansiedlungsstrategie für Solarbranche in Baden-Württemberg
Nun keimt bei den Solarfirmen und Forschern im Land wieder Hoffnung auf. „Wir beschäftigen uns intensiv mit einer Wiederansiedlungsstrategie“, sagt Ministerin Walker. Der Zeitpunkt sei günstig. „Solar boomt so stark wie seit langem nicht mehr.“ Man habe einen „gewaltigen Hochlauf“.

Tatsächlich schrauben sich die Deutschen immer mehr Photovoltaik-Module auf ihre Dächer. Die installierte Leitung hat sich 2023 in Baden-Württemberg im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt – auf fast zwei Gigawatt. Das entspricht der rechnerischen Nennleistung von zwei Kernmeilern. Das Problem: Über 90 Prozent der installierten Module kommen aus Asien, vor allem aus China.
China ist konkurrenzlos billig
Das wird industriepolitisch zum Problem. Deutschland, aber auch die EU, haben erkannt, dass die Abhängigkeit von China das Potenzial hat, die Energiewende auszubremsen. Ähnlich wie bei Batterien oder Mikroelektronik, soll die Produktion daher wieder vor Ort stattfinden.
Die Landesregierung setze sich speziell in der EU massiv dafür ein, sagt Walker. Denn die Richtungsentscheidungen, etwa was das Beihilferecht und die Förderung angeht, werden in Brüssel getroffen. So richtig Erfolg hat man damit aber offenbar noch nicht. Es tue sich „noch zu wenig“.

Zuletzt gab es sogar herbe Rückschläge. Vergangene Woche drohte der Schweizer Solarzellen-Hersteller Meyer Burger mit der Schließung seines Modul-Werks in Freiberg bei Dresden, eines Leuchtturmprojekts im ganzen Bundesgebiet. Kostenmäßig lohne sich die Produktion in Deutschland nicht mehr.
Genau wie vor einem Jahrzehnt ist es wieder die hochsubventionierte chinesische Solarbranche, die den europäischen Markt mit Billig-Solarmodulen überschwemmt. Diese – so der Vorwurf hiesiger Hersteller – werden weit unterhalb der Kosten – per Dumping in den Markt gedrückt. Auch in den USA locken gigantische Subventionsprogramme immer mehr Hersteller ins Land. Meyer-Burger droht dorthin abzuwandern.
Ohne Subventionen wird eine Zell-Produktion im Südwesten nicht möglich sein
Das Haupt-Problem in Deutschland seien die Kosten, sagt ISC-Fachmann Rudolf Harney. Fürs Bundeswirtschaftsministerium haben er und seine Kollegen eine Studie angefertigt, die die Standortattraktivität unter die Lupe nimmt. Eines der Ergebnisse: Die Produktionskosten von Solarzellen liegen in China mindestens 50 Prozent tiefer. „Oft sind sie sogar noch günstiger.“ Sein Fazit: Wenn es keine staatlichen Fördermaßnahmen gebe, sei es „schier unmöglich“, in Deutschland wettbewerbsfähig Solarzellen und -Module herzustellen.
Kommt IPCEI-Förderung auch für Photovoltaik?
Walker kennt solche Rechnungen. Es gehe bei der Solarindustrie aber nicht nur um Kosten, sondern auch um industrielle Unabhängigkeit, sagt sie. Daher unterstützt das Land einen vom Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) entwickelten Vorschlag eines sogenannten Resilienzbonus.
Diesen Extra-Obulus bei den Einspeisevergütungen für Solarstrom sollen Häuslebauer erhalten, die sich entscheiden, statt eines chinesischen ein deutsches Solar-Panel auf ihr Dach zu montieren. Außerdem schwebt ihr vor, die Solarindustrie ähnlich wie das bei Mikrochips oder Batterietechnik der Fall ist, das Schild „in gemeinsamem EU-Interesse“ (IPCEI) umzuhängen. So könnte die Wiederansiedlung von Firmen mit hohen Förderbeträgen angeschoben werden.
In der Branche geht man davon aus, dass ein Aufschlag von einem Cent je Kilowattstunde auf den allgemeinen Strompreis ausreichen würde, um die Fertigung von Solar-Modulen wieder nach Deutschland zu holen. Der Extra-Cent würde in Ansiedlungshilfen für Industriebetriebe investiert, die zwischen Konstanz und Flensburg eine Produktion hochziehen wollen.
Neubau für Konstanzer ISC-Forscher für 19 Millionen Euro
Aber im Moment sind solche Überlegungen nur Hoffnungswerte. Entscheidungen auf Bundesebene lassen auf sich warten. Und die Hebel eines Bundeslandes wie Baden-Württemberg in strategischen Fragen der Industriepolitik sind begrenzt.
Die einstelligen Millionenbeträge, mit denen das Land beispielsweise derzeit die Erforschung neuartiger Perowskit-Solarzellen am Stuttgarter Forschungsinstitut ZSW fördert, würden wahrscheinlich nicht einmal ausreichen, die Zufahrt neuer Megafabriken zu pflastern, die in Asien oder den USA entstehen.
Beim ISC ist man dennoch optimistisch, denn grundsätzlich weiß man die Politik hinter sich. Mit der privaten Crescere-Stiftung Bodensee hat man zudem einen Unterstützer gefunden, der gewillt ist, Mittel bereit zu stellen. Für 19 Millionen Euro plant man daher die Errichtung einer neuen Forschungszentrale in Konstanz, direkt neben dem alten Gebäude am Seerhein. Das würde auch mehr als den aktuell 65 Mitarbeitern am Institut Platz geben.
Zwar ist die Sache noch nicht voll durchfinanziert, ISC-Vorstand Kopecek sagt aber: „Wir sind jetzt seit mehr als zehn Jahren in Lauerstellung, alles anzuwenden, was wir können“. Das Ziel bleibe eine „blühende Solarzellen-Produktion in Deutschland“.