Herr Gerstmann, quasi über Nacht hat sich die Krise in der Ukraine massiv zugespitzt. Wie fühlt es sich an, morgens aufzuwachen und zu sehen, dass die Welt eine andere ist?

Tatsächlich habe ich als die ersten Nachrichten über die Verschärfung der Lage in der Ukraine eingetroffen sind versucht nachzuvollziehen, wie Putin sein jüngstes Verhalten rechtfertigt. Und was ich gelesen und gehört habe, hat mich nicht positiv gestimmt. Ich nehme einen Mann wahr, der verändert ist und plötzlich durchaus emotional argumentiert, also die Rationalität, die ihn bislang in seinem Handeln ausgezeichnet hat, vermissen lässt.

Dass er in seiner entscheidenden Rede gesagt hat, die gesamte Ukraine sei russisches Kernland, lässt mich nichts Gutes ahnen. Ich sehe die Gefahr, dass es mit der bloßen Besetzung der beiden ostukrainischen Gebiete nicht zu Ende ist. Und ich kann nur hoffen, dass Putin diesen Weg nicht weiter geht und zu einer Berechenbarkeit zurückfindet.

Woran liegt Putins Schwenk Ihrer Meinung nach?

Ich denke in Russland hat sich in der vergangenen 15 Jahren einiges an gefühlter Demütigung angestaut. Bitte nicht falsch verstehen. Das rechtfertigt sein Verhalten nicht, aber es erklärt es vielleicht. Und jetzt hat er sich durch den massiven Truppenaufmarsch an Russlands Westgrenze in eine Lage manövriert, aus der er ohne Gesichtsverlust wohl nicht mehr herauskommt. Jetzt muss sich beweisen, dass Diplomatie wirklich eine hohe Kunst ist. Die Lage muss auf jeden Fall entschärft werden. Ein militärischer Konflikt wäre eine Katastrophe für alle.

Große Muldenkipper und Minen-LKW werden von Zeppelin in alle Welt verkauft. Rund 600 bis 800 Millionen Euro Umsatz macht man in ...
Große Muldenkipper und Minen-LKW werden von Zeppelin in alle Welt verkauft. Rund 600 bis 800 Millionen Euro Umsatz macht man in Osteuropa und Russland im Jahr. | Bild: Zeppelin

Wie nehmen Sie die Stimmung in der deutschen Wirtschaft wahr?

Bislang haben es wohl die wenigsten für möglich gehalten, dass Putin einen Krieg in der Ukraine riskieren wird. Ich glaube da wurden viele nun eines Besseren belehrt. Ein Krieg in Europa, also einem der Kraftzentren der globalen Wirtschaft, hätte wirklich nicht zu unterschätzende Folgen. Bislang fanden kriegerische Auseinandersetzungen eher in der Peripherie statt, etwa in Afrika oder im Nahen Osten. Jetzt droht Europa zum Konfliktherd zu werden.

Und ich sehe noch einen weiteren Punkt. Die Ukraine-Krise könnte auch auf das Verhältnis zwischen China und Taiwan abstrahlen. Russland versucht sich die Position der Weltmacht mit allen Mitteln wieder zu erkämpfen. Sollte es Russland gelingen, mit dem Druck auf die Ukraine seine Ziele zu erreichen, stellt sich die nächste Frage: Was macht dann China mit Taiwan? Schränken wir dann die Chinesen im internationalen Zahlungssystem ein? Was hat das für Konsequenzen?

Dass hier eine territoriale Krise schwelt, die sich innerhalb von kurzer Zeit zu einem Brand entwickeln könnte, wird heute nicht ausreichend diskutiert. Auch vor einer möglichen Eskalation in Asien habe ich sehr, sehr großen Respekt.

Wie sieht die Lage bei Zeppelin aus, immerhin machen Sie viele Geschäfte in Russland?

Bei uns laufen wirklich alle Drähte heiß. Von den Entwicklungen in Russland und der Ukraine sind wir maximal betroffen, besonders, wenn die Krise durch militärischen Konflikt und verschärfte Sanktionen eskaliert. Als exklusiver Caterpillar Vertriebs- und Servicepartner für Baumaschinen, etwa für die Energie- und Bauwirtschaft in der Ukraine, Belarus und dem westlichen Russland haben wir keine Chance in andere Märkte auszuweichen.

Wir liefern auch große Anlagen für die Lebensmittelproduktion oder die chemische Industrie in diese Märkte. Die Auftragsbücher sind in den osteuropäischen Märkten bislang gut gefüllt, und das steht jetzt alles im Feuer.

Zeppelin-Chef Peter Gerstmann führt einen Konzern mit rund 10.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 3,3 Milliarden Euro.
Zeppelin-Chef Peter Gerstmann führt einen Konzern mit rund 10.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 3,3 Milliarden Euro. | Bild: Zeppelin

Auf welches Maximalszenario bereiten Sie sich vor?

Eine Unterbrechung des Zahlungsverkehrs zwischen Russland und dem Westen hätte sicher die größten Auswirkungen. Wenn Russland aus dem Swift-System ausgeschlossen wird, brauchen wir gar nicht weiterzureden. Dann ist das Geschäft de facto zu Ende. Der Rubel könnte nicht mehr in westliche Währungen umgetauscht werden und unsere Kunden könnten unsere Rechnungen nicht mehr begleichen. Außerdem wären dann weitere Gegenreaktionen Russlands wahrscheinlich.

Sie befürchten also eine Art Sanktionsspirale?

Das ist durchaus möglich. Wir versuchen, uns auf alles vorzubereiten. Wir setzen uns dabei auch mit Szenarien auseinander, die bis hin zu einem Betätigungsverbot für unsere Gesellschaften in Russland oder gar zu einer Enteignung unseres Besitzes in Russland gehen.

In der Ukraine wird seit acht Jahren Krieg geführt. Und es gibt Sanktionen des Westens und von Russland. Kann man dort überhaupt noch vernünftig Geschäfte machen?

Direkt nach der Annexion der Krim in den Jahren 2014 und 2015 sind unsere Umsätze in der Region um die Hälfte eingebrochen. Trotz der Sanktionen konnten wir diesen Effekt in den folgenden Jahren allerdings mehr als ausgleichen. Zuletzt lief es für uns in Osteuropa und Russland sogar sehr gut. Das ist sicher auch Folge der hohen Rohstoff- und Energiepreise, die uns in dieser Lage zu Gute kamen. Das steht jetzt alles zur Disposition.

Großes Gerät: Peter Gerstmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Zeppelin GmbH, auf der Baumaschinenmesse Bauma 2019 in München.
Großes Gerät: Peter Gerstmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Zeppelin GmbH, auf der Baumaschinenmesse Bauma 2019 in München. | Bild: Mommsen, Kerstin

Mit welchen Einbußen rechnen Sie?

Sollte der Handel mit Russland und der Ukraine zum Erliegen kommen, fehlen uns geplante Umsätze von 600 bis 800 Millionen Euro pro Jahr. Wenn wir Länder wie Armenien, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan, die für uns auch wichtige Märkte sind, mit hinzunehmen, wird es noch mehr. Also kurz: Die Krise, wie auch immer sie geartet sein wird, wird uns erheblich treffen.

Als Importeur und Händler einer US-amerikanischen Marke wie Caterpillar in Russland betreffen Sie wachsende Spannungen zwischen den beiden Ländern direkt. Was haben Sie davon zu spüren bekommen?

Die Wirtschaft tickt da weniger politisch als man vielleicht denkt. In der Energie- oder Bergbaubranche, wo unsere Produkte Absatz finden, geht es darum, dass der Minen-LKW, der Bagger oder die Förderanlage möglichst effizient 24 Stunden am Tag laufen. Wenn sie das mit einem US-amerikanischen Bagger am besten gewährleisten können, dann wird der auch gekauft.

Zudem ist es so, dass beim Abbau von Rohstoffen wie Gold, Erz oder Diamanten oft auch internationale Konsortien mitmischen. Rein aus Patriotismus ausländische Produkte auszuschlagen, ist daher kein Thema. Hinzu kommt, dass viele westliche Firmen mittlerweile in Russland produzieren. Generell muss man sagen, dass deutsche Firmen wie Zeppelin nach wie vor ein sehr hohes Ansehen in Russland genießen. Man hat bislang immer gern bei den Deutschen gekauft, auch weil sie als zuverlässig galten.

Das könnte Sie auch interessieren

Ändert die Eskalation in Osteuropa und Russland das Ansehen Deutschlands in der Region?

Ich nehme das noch nicht wahr. Allerdings hat uns die dauerhafte Krisensituation und vor allem Corona auch etwas vom Geschehen entkoppelt. Früher war ich bis zu fünf Mal im Jahr in Russland und Eurasien unterwegs und habe mich dort mit Kunden unterhalten können. Da gab es durchaus Austausch über politische Themen. Heute erfahre ich so etwas eher aus zweiter Hand, von den Mitarbeitern vor Ort. Allerdings wird mir nicht von einem Vertrauensverlust unserer russischen Kunden berichtet.

Was passiert mit den Zeppelin-Mitarbeitern in Russland und der Ukraine? Werden die jetzt abgezogen?

Aktuell haben wir in Russland fast 2000 und in der Ukraine etwa 600 Mitarbeiter. Das sind aber weitgehend lokale Kräfte. Für alle haben wir Evakuierungspläne, die wir bei Bedarf aus der Schublade ziehen können. Dass wir so schnell handeln können, liegt auch an den Erfahrungen, die wir nach der Annexion der Krim 2014 gesammelt haben. Den wenigen ausländischen Mitarbeitern haben wir bereits angeboten, die Krisenländer zu verlassen. Teilweise ist das auch schon passiert.

Zudem versuchen wir, Betroffenen im Bedarfsfall eine Weiterbeschäftigung an anderen Standorten anzubieten. Entlassungen wollen wir vermeiden. Ewig können wir solch ein Szenario natürlich nicht durchhalten. Irgendwann ist Ende. Dann müssten wir unsere Niederlassungen auflösen oder stilllegen, bis es irgendwann wieder weitergehen kann.

Das könnte Sie auch interessieren

Macht sich die Krise schon am Heimatstandort Friedrichshafen bemerkbar?

Das kann ich aktuell noch nicht sehen. Klar ist aber auch, dass sich die relativ gute Auftragslage, die wir in Friedrichshafen haben, nicht auf ewig halten lassen wird, wenn sich die Krise in Russland verfestigt und die Weltwirtschaft nachhaltig beeinträchtigt. Die Arbeitsplätze, die im Moment auf dem Spiel stehen, sind aber nicht in Baden-Württemberg, sondern in der Ukraine und in Russland. Aber auch die stehen in meiner Verantwortung.