Die Queen wäre nicht amüsiert. Einfach so als Geist durch ein Drama geschleust zu werden. Und dann auch noch im widerspenstigen Schottland… Beim Premierenpublikum in St. Gallen freilich kam die Pointe gut an, die englische Königsfamilie als Geistererscheinung über die Bühne spazieren zu lassen.

Im kleinen aber feinen Dreispartenhaus steht seit Samstag Giuseppe Verdis Macbeth auf dem Spielplan. Und während bei der Premiere draußen noch die Aftershow-Party der Landwirtschaftsmesse Olma tobt, fackeln drinnen Musiker und Sänger einen dramatischen Opern-Krimi mit einiger Situationskomik ab. In puncto Sound kann das Ensemble dabei jeder Party Paroli bieten: Was aus dem Trichter der perspektivisch übersteigerten Guckkastenbühne dringt, was Chor, Orchester und bis in die Nebenrollen hervorragend besetzte Solisten unter Leitung von Pietro Rizzo leisten, das hat einen Spannungsbogen und eine klangliche Wucht, die einen nachgerade umhaut.

Auch der Rest sorgt für kurzweilige drei Stunden: Regisseur Aron Stiehl und Ausstatter Antony McDonald – ja, ein Schotte – erschaffen unter Neonröhren optisch eine Art Sowjet-Schottland. Schreibmaschinen und Sender sind aufgereiht, Landkarten hängen an der Wand. Die Bühne wird zur Kommandozentrale, in die bei Bedarf noch das Gemach der Macbeths hineinverschachtelt wird. Hexen gibt es hier jedenfalls nicht im Wald, sondern im Vorzimmer. Es sind Damen mit Bleistiftrock, Vollbart und Teufelskrallen. Ihre Weissagungen schubsen Macbeth erst so recht dahin, wo ihn die Gattin sowieso haben will: auf den Thron.

Der Herrscher ist zunächst einmal ein Getriebener; der erste Mord will ihm noch nicht so recht von der Hand gehen. Die beherzte Lady muss selbst mit Mordwaffe und Blut hantieren. Und wenn er, diese Memme im Schottenrock, vor lauter schlechtem Gewissen Geister sieht, dann ist es an ihr, mit eiskalter Nonchalance die Situation zu retten. Die Bankettszene, einer jener Verdi-Klassiker, in der musikalisch und szenisch mehrere Stimmungen parallel laufen, wird in St. Gallen zum doppelbödigen Schauderstück. Zwar trägt das Ensemble lächerliche Party-Hüte, doch der Walzer stockt, wird zum mechanischen Zeitlupentanz eines Volkes, das den kalten Hauch der Tyrannei spürt.

Paolo Gavanelli und Mary Elizabeth Williams geben das ehrgeizige Herrscher-Paar. Beide sind nicht zum ersten Mal in St. Gallen, beide bringen gesanglich und darstellerisch die Klasse für das Stück mit, das ohne Liebesduett auskommt. Es geht um Ehrgeiz, Macht, Reue, Wahnsinn. Wie es den beiden Hauptdarstellern gelingt, da die Nuancen zu verschieben, wie die Machtgier zunehmend auch Macbeth ergreift, wie die Lady von der sagenhaft arroganten Matrone zur Wahnsinnigen mit Waschzwang wird, ist richtig gutes Theater. Dazwischen liegen furios gesungene Arien, satter Bariton, große Sopran-Dramatik. Flankiert werden sie von so souveränen Kollegen wie Steven Humes, der den Banquo fabelhaft gibt. Und dann sind da immer wieder die Ensembles, in denen der Chor (Leitung: Michael Vogel) ins Spiel kommt.

Denn es ist auch eine Chor-Oper, die gerade den Damen so viele Möglichkeiten bietet wie kaum ein anderes Werk des 19. Jahrhunderts. In St. Gallen verwandeln sie sich von biederen Tippsen in mysteriös-skurrile Unken, deren Hexenküche an den Keller der Gerichtsmedizin erinnert. Dort beschwören sie die Geister mitten in Stroboskop-Licht und Theaternebel. Als Ensemble agieren die Sängerinnen dabei musikalisch so präzise wie temperamentvoll. Das gilt auch für den stimmgewaltigen Gesamtchor, der schließlich als Kollektiv den Tyrannen zur Strecke bringt. Befreiung hin oder her, am Ende hat sich hier jeder die Hände schmutzig gemacht – mit diesem ein wenig simplen, aber schlüssigen Bild fällt der Vorhang. Tröstende Transzendenz? Fehlanzeige. Dafür jede Menge Beifall.

Termine und Tickets:

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