Vorausblickend war der große Saal im Sennhof am Schloss in Salem für die Sitzung des Gemeinderats eingerichtet worden, denn die Tagesordnung sah ein Thema von einiger Brisanz vor. Die Stuhlreihen waren denn auch gut gefüllt, als Bürgermeister Denis Lehmann die Einrichtung einer verbindlichen Ganztagsschule zur Beratung und Beschlussfassung aufrief.
Zwei Modelle stehen zur Diskussion
Zur Debatte standen zwei Alternativen: erstens eine verpflichtende Ganztagsschule in unterschiedlichen Zeitmodellen und mit zusätzlicher Betreuung; zweitens eine herkömmliche Halbtagsschule, wahlweise mit Betreuungsangeboten am Nachmittag. Um eine sachliche Diskussionsgrundlage zu sichern, war vom Staatlichen Schulamt Markdorf Christiane von Zahn zur Ratssitzung eingeladen.
Die Schulrätin sah in der von der Gemeinde organisierten Bedarfsumfrage unter betroffenen Eltern gute Anhaltspunkte für eine bedarfsgerechte Anpassung der Schulstrukturen. Ihr beruflicher Horizont lehre sie, dass der Bedarf an ganztagsschulischer Betreuung in Zukunft deutlich wachsen werde. Christiane von Zahn setzte sich sehr ausführlich mit möglichen Einwänden gegen die verpflichtende Schulform auseinander.

Schulrätin geht auf Bedenken von Eltern ein
Gegen die von Elternseite oft vorgebrachte Sorge, die Kinder könnten durch Anwesenheit in der Schule bis in den Nachmittag hinein überfordert sein, verwies sie auf die Grundidee der Ganztagsschule: Eine rhythmisierte Tagesstruktur verbinde Unterricht, Übungsphasen und Förderzeiten, Aktivpausen und Kreativzeiten zu einer pädagogischen und organisatorischen Einheit. Von einem vielstündigen durchgehenden Unterricht könne also keine Rede sein.
Auch den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Kindes könne so besser entsprochen werden als in der üblichen klassengebundenen Stundentaktung. Der reine Unterricht am Vormittag sei grundsätzlich auf vier Stunden beschränkt. Auch ein Schaden für die örtliche Vereinsstruktur sei nicht zu befürchten, da außerschulische Anbieter willkommen seien, um das Ganztagsangebot zu bereichern. Zwei zentrale bildungspolitische Ziele hob Christiane von Zahn hervor: die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Erhöhung der Bildungschancen für Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern.

Gemeinderat lässt Fragen aus dem Publikum zu
Ausnahmsweise ließ der Gemeinderat in Abweichung von der Geschäftsordnung Fragen aus dem Publikum zu. Davon machten dann ganz überwiegend Opponenten des verpflichtenden Ganztagsmodells Gebrauch. Frage: Kann sich das pädagogische Personal auf ein neues System schnell einstellen? Die Schulrätin: Dazu gebe es jegliche Unterstützung, und wer dennoch mit der neuen Lage fremdle, könne sich an eine andere Schule versetzen lassen. Frage: Können Eltern nach der Schule noch Hilfe bei den Hausaufgaben und bei der Vorbereitung auf Prüfungen leisten? Die Schulrätin: Sämtliche Lernaktivitäten seien im Ganztag aufgehoben, sodass zusätzlicher Elterneinsatz nicht erwartet werde. Frage: Müssen die Kinder in der Schule zu Mittag essen? Die Schulrätin: Nein, in der Mittagspause gelte die Schulpflicht nicht.
Eine Reihe von Eltern im Publikum brachten ihre Sorgen und Ängste zum Ausdruck. So beklagte eine Mutter, die Schule sei für sie eine Blackbox: „Keiner sagt mir, was mit meinem Kind den ganzen Tag über passiert.“ Christiane von Zahn warb für Vertrauen in die Kommunikation zwischen Eltern und Grundschulpädagogen. Der „Schutzraum Familie“, um den sich einige Eltern im Saal sorgten, werde erfahrungsgemäß nicht beschädigt.
Auch am Ratstisch werden Bedenken laut
Auch in der Debatte am Ratstisch wurden Bedenken geäußert. Martin Duelli etwa verwies auf das Grundgesetz, das die Pflege und Erziehung der Kinder zur vordringlichen Elternaufgabe erkläre. Dem hielt die Schulrätin entgegen, dass die Pflicht des Staates zur Einrichtung von Schulen dieser Elternaufgabe nicht entgegenstehe. Markus Müller fand die aktuelle Schulform „gut so, wie sie ist“. Elena Herrenknecht wollte das flexible Entscheidungsrecht der Eltern gewahrt wissen.

Schulkonferenz „tendiert eher nicht zur Ganztagslösung“
Auf Nachfrage gab Susanne Armbruster als kommissarische Schulleiterin zu erkennen, dass die Schulkonferenz „eher nicht zur Ganztagslösung tendiert; uns fehlen auch Erfahrungswerte“. Das rief Gemeinderat Burkhard Haus auf den Plan: „Wenn das Kollegium nicht mitzieht, dann sehe ich ein Riesenproblem.“
Mehrheit für drei Wochentage mit je sieben Stunden
In der fortschreitenden Debatte zeichnete sich die Idee ab, den zeitlichen Umfang der Ganztagsschule am unteren Ende des Möglichen festzuschreiben: auf drei Wochentage mit jeweils sieben Stunden. Maximal erlaubt wären fünf Tage mit je acht Stunden. Dieser moderaten Lösung konnten sich dann auch einige zunächst unentschlossene Ratsmitglieder anschließen. Sie wurde mit klarer Mehrheit beschlossen. Bei der Abstimmung kurz vor Mitternacht votierten nur Elena Herrenknecht, Burkhard Haus, Markus Müller und Martin Duelli dagegen.