Für einen Spaziergang ist das nasse Wetter eigentlich zu ungemütlich. Für Marion Schmoll und Evelyne Paulicz von der Katzenhilfe Radolfzell ist die Kälte aber kein Hindernis. Ihre Schützlinge haben trotzdem Hunger. Diese haben es das ganze Jahr über ungemütlich – denn es sind Streunerkatzen.
Zwischen Schutt und Asche, alten Dachziegeln und anderem Schrott am Rande von Radolfzell miaut es hungrig. Die Katzen verschlingen das mitgebrachte Futter. Marion Schmoll begutachtet die Katzen: „Der da hat noch Eier“, sagt sie unverblümt und zeigt auf einen hageren, jung aussehenden Kater.
Zwei Millionen Straßenkatzen in Deutschland laut Tierschutzbund
Und hier liegt das Problem: unkontrollierte Vermehrung aufgrund fehlender Kastration. Katzennachkommen, die nach Angaben des Deutschen Tierschutzbundes auf der Straße landen, weil Pflegestellen und Tierheime oft überfüllt seien. Unklar sei, wie viele Streunerkatzen es in Deutschland wirklich gibt – der Tierschutzbund schätzt rund zwei Millionen, Dunkelziffer: hoch.
200 bis 600 Streunerkatzen sind es im Bodenseekreis – und das pro Gemeinde. Das schätzt zumindest Petra Schubert von der Katzenhilfe Sipplingen. Das Veterinäramt des Landkreises hat selbst keine Zahlen, so Sprecher Robert Schwarz. Doch die Tierschutzvereine haben laut ihm den Überblick.
Das Leid der verwilderten Hauskatzen sei in Deutschland wenig sichtbar, sagt Petra Schubert. Anders als in Ländern wie Griechenland oder Malta meiden die scheuen Tiere den Menschen, kommen nur nachts aus ihren Verstecken.
Die Tierschutzvereine veranstalten regelmäßig Fangaktionen, um die Streunerkatzen kastrieren zu lassen. Sind die Katzen noch jung genug, können sie an Pflegestellen vermittelt werden. Diese Stellen sind aber auch Mangelware. Teilweise kümmere man sich bei der Katzenhilfe Sipplingen um sechs Streunerkatzen gleichzeitig, zusätzlich zu den fünf eigenen Katzen.

Petra Schubert sagt, ihr ehrenamtliches Engagement bei der Katzenhilfe Sipplingen sei ein „Vollzeitjob“. Allein eine Fangaktion dauert in der Regel bis zu zwölf Stunden.
Ihr Herz für die Streunerkatzen geht auch ins Geld: Allein für den Tierarzt fallen für den Verein in einem Jahr rund 20.000 Euro an. Finanziert werde das aus Spenden.

Ihr Engagement sei ein Kampf gegen Windmühlen, sagt Marion Schmoll. Sie holt ihr Handy aus der Jackentasche und zeigt Fotos von toten Kätzchen im Stroh, verunfallten Jungtieren, die im Alter von fünf Monaten schon schwanger sind, Katzen mit vereiterten Augen.
Petra Schubert berichtet von Tierquälern, die Glasscherben unter das bereitgestellte Futter mischen oder Hobbyschützen, die auf frei lebende Katzen schießen würden. „Das Elend nimmt einen jedes Mal aufs Neue mit“, sagt Schmoll.

Katzenschutzverordnungen seien das einzige Gegenmittel, so die Tierschützer. 2013 hat die Landesregierung die Ermächtigung, eine solche Schutzverordnung zu erlassen, auf die Gemeinden übertragen. Das Resultat: ein Flickenteppich.
Laut dem Landestierschutzverband Baden-Württemberg gibt es im Südwesten in 127 von 1101 Gemeinden eine Katzenschutzverordnung. Für eine landesweite Regelung sieht das Ministerium für Ernährung, ländlichen Raum und Verbraucherschutz derzeit keinen erfolgversprechenden Ansatz, sagt Pressesprecher Sebastian Hascher.
Petition auf eigene Faust
Um die Menschen aufzurütteln, hat Petra Schubert von der Katzenhilfe Sipplingen im März 2024 mit anderen Tierschutzorganisationen eine Petition für die Verordnung auf die Beine gestellt. 1109 Menschen aus der Region haben unterschrieben – passiert sei nichts.
Noch immer gibt es im Bodenseekreis in keiner einzigen Kommune eine Katzenschutzverordnung. „Die uns vorliegenden Erkenntnisse sprechen nicht zwingend dafür, eine solche Verordnung einzuführen“, sagt Nina Bohle von der Stadt Friedrichshafen. Die Situation sei nicht als kritisch zu betrachten. Auch im Landkreis Konstanz gibt es keine solche Verordnung.
Katzenschützer begehen unter Umständen Straftaten
Dass Katzenschutzverordnungen helfen, sei eine einfache Rechnung, sagt Petra Schubert. Je mehr Katzen kastriert sind, umso weniger neue Katzen entstehen. St. Georgen im Schwarzwald-Baar-Kreis war in der Region eine der ersten Kommunen, die Anfang Januar 2024 eine solche Verordnung eingeführt hat. Für ein Fazit sei es zwar noch zu früh.
Eine Katzenschutzverordnung sei aber eine geeignete Grundlage, die Vermehrung der Katzen zum Schutz der Jungtiere zu unterbinden – ganz im Sinne des Tierschutzgesetzes, sagt Tabea Epting von der Stadt.
Ohne Katzenschutzverordnung seien den Tierschützern die Hände gebunden. Viele Streuner haben auf verwilderten Privatgrundstücken wie stillgelegten Fabrikgeländen oder Höfen Unterschlupf gefunden, die Tierschützer werden von den Eigentümern oft nur geduldet. „Wenn wir ohne Erlaubnis ein Grundstück betreten, um uns um die Katzen zu kümmern, begehen wir Hausfriedensbruch. Wenn wir die Katzen dann mitnehmen, ist es ein Diebstahl und wenn wir sie kastriert zurückbringen, ist es Sachbeschädigung“, sagt Schmoll.
Für dieses Jahr plane die Katzenhilfe Radolfzell wieder einige größere Fangaktionen. Auch, wenn das für die Tierschützer nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ ist.