Seit drei Wochen ist Danilo seine Brüste los. Ein wenig grün und blau schimmert es noch durch die Haut, wenn er seinen Kompressionsverband ablegt. Die Folgen der Operation tun noch weh, Danilo aber strahlt. Endlich muss er sich morgens nicht mehr in den Binder zwingen, eine Art straffer Sport-BH, der die Brüste zumindest optisch verschwinden lässt. Endlich ist das Versteckspiel in der Männerumkleide seines Fitnessstudios vorbei. Endlich kann er sich im Spiegel als der junge Mann erkennen, als der er sich fühlt.
17 Jahre alt ist Danilo, er lebt mit Mutter und Schwester in Südbaden – mehr persönliche Daten wollen wir nicht preisgeben, nicht weil er ein Problem damit hätte, sondern um ihn zu schützen. Seine Geschichte erzählt er bereitwillig, inklusive aller Höhen und Tiefen. Seiner Magersucht, seinen Depressionen, seiner Einsamkeit. Es ist ein äußerst reflektierter und politisch bewusster 17-Jähriger, der der SÜDKURIER-Redakteurin daheim am Esszimmertisch von seiner Transidentität berichtet.
Transident – so empfindet sich Danilo, nicht als transsexuell. Beide Begriffe beschreiben eine Person, die sich im eigenen Geschlecht nicht zuhause fühlt. Häufig strebt die Person eine medizinische Angleichung an, aber nicht immer. Transidentität legt den Schwerpunkt mehr auf Geschlechterrollen, weg von sexuellen Handlungen. Oder wie Danilo sagt: „Was ich bin, lässt sich nicht auf das reduzieren, was ich in der Hose habe.“
„Mama, hilf mir ein Mädchen zu sein“
Dass er als Mann leben möchte, weiß Danilo seit April 2018. „Da war‘s wirklich fassbar für mich“, erzählt er. Unterschwellig vorhanden war das Problem mit dem Geschlecht aber schon länger. „Mama, hilf mir, ein Mädchen zu sein“, habe er seine Mutter gebeten, als er aufs Gymnasium kam. Geholfen hat es aber nur wenig. Vor drei Jahren meinte Danilo, damals noch Felicia, er sei lesbisch. 2016 dann kam der Zusammenbruch: Mit Depressionen und Anorexie landete Felicia in der Psychiatrie.

Fotos einer abgemagerten Felicia hängen neben Bildern aus unbeschwerten Kindertagen an der Wohnzimmerwand. Felicia ritzte sich, die Narben trägt Danilo gut sichtbar an seinem Arm. Wenn er die Fotos heute anschaue, komme sie ihm vor wie eine Zwillingsschwester, nicht wie seine eigene Vergangenheit. Elf Monate in der psychiatrischen Klinik brachten Danilo 2016 irgendwann zu der Erkenntnis, dass es ihm zuhause am besten geht – und dass die Brüste weg und Hormone her müssen.
„Mich hat das nicht schockiert“, erzählt Danilos Mutter Ulrike. Schon als Kind habe sich Felicia in Stollenschuhen und Hosen am wohlsten gefühlt. Als die Jugendliche an Depressionen und Magersucht erkrankte, habe sie den Eindruck gehabt, dass dahinter ein Identitätsproblem steckte. Und als Danilo ihr von seinem Wunsch, als Mann zu leben erzählte, habe sie ihn in den Arm genommen „und dann haben wir losgelegt“. So wie Danilo sich seit seinem Coming Out entwickelt, sieht sich die stellvertretende Schulleiterin eines Gymnasiums bestätigt: „Er ist wieder in der Spur. Es fühlt sich richtig an.“
1000 Euro allein für die Gutachten
Ohne seine Mutter, sagt Danilo, hätte er das alles nicht geschafft. Nicht nur als moralische Stütze war sie unentbehrlich. Sie machte sich schlau, trat einer Elterngruppe für Transmenschen bei und bemühte sich um die notwendigen Gutachten. Zwei Psychologen müssen unabhängig voneinander bestätigen, dass der Mensch transsexuell ist. Im Juli bekam Danilo Termine bei seinen Gutachtern, die ihn in jeweils fünf Sitzungen testeten. Mit den fertigen Gutachten beantragte Danilo im Oktober dann eine Personenstandsänderung. Parallel dazu suchte er nach einem Endokrinologen, der ihm Hormone verschreiben würde – und fand sich eines Tages in der Kinderwunschabteilung der Uniklinik Freiburg wieder. „Ich saß mit meiner Mutter zwischen Pärchen. Die dachten wahrscheinlich: Da kommt der junge Lover mit seiner älteren Freundin.“ Was im Rückblick lustig klingt, fand Danilo damals furchtbar.
Um von Felicia zu Danilo zu werden, ist ein Gerichtsverfahren nötig. Im Januar wird er zur Anhörung geladen. Heute hat er eine neue Geburtsurkunde, mit neuem Namen, Geschlecht: männlich – „als hätte es die alte Geburtsurkunde nie gegeben“. Die Kosten für Gutachten (insgesamt 1000 Euro) und für das Gerichtsverfahren (von 5000 Euro ist die Rede) hat der Betroffene selbst zu tragen, beziehungsweise in Danilos Fall kommt seine Mutter dafür auf. Die Kosten für das Hormongel übernimmt – nach einigem Widerstand – die Krankenkasse. 120 Euro kostet das Gel, das sich Danilo seit vergangenen September täglich auf Innenflächen von Oberarm und Oberschenkel schmiert. Es reicht drei Monate lang. Benötigen wird er es den Rest seines Lebens.
An Weihnachten im Stimmbruch
Was so ein bisschen Hormone ausmachen, lässt sich an Danilos Körper ablesen. An Armen und Beinen sprießen dunkle Haare, was ihm in der Familie den Spitznamen Frodo eingebracht hat – in Anlehnung an die behaarten Hobbitfüße in J.R.R. Tolkiens „Herr der Ringe“. Pubertät im Schnelldurchlauf: Um Weihnachten herum befindet sich Danilo voll im Stimmbruch und „jodelt“ die Weihnachtslieder. Inzwischen ziert Flaum sein Gesicht. Die Stimme ist so dunkel, wie man es von einem jungen Mann in seinem Alter erwartet. Kurzhaarfrisur, Hemd und kurze Hose verfehlen ihre Wirkung nicht: ein gutaussehender junger Mann.
Vor drei Wochen folgt dann ein weiterer Schritt: die so genannte geschlechtsangleichende Operation, die bei Minderjährigen in vielen Fällen abgelehnt wird. Danilo kann jetzt sein Shirt „direkt über den Nippeln“ tragen, weil er „da“ nichts mehr hat – ein ungewohntes, aber schönes Gefühl.
Nicht alle in der Familie hatten so viel Verständnis wie Danilos Mutter. Sein Vater – die Eltern leben getrennt – habe sich zunächst schwer getan. „Ich musste ihm zeigen, dass es so für mich passt, damit er das akzeptieren konnte“, meint Danilo. Auch seiner kleinen Schwester fiel der Abschied von Felicia schwer. Den Rat, mit seinem Geschlechtswechsel auch die Schule zu wechseln, schlug Danilo aus. „Da muss meine Schule jetzt durch“, findet er. Wie auch schon bei seinem lesbischen Outing und bei seinen psychischen Problemen. Danilo geht offen mit allem um – und macht damit gute Erfahrungen.
Danilo will zeigen, dass er normal ist
Um zu zeigen, dass auch transidente Menschen einfach normal sind, macht er mit beim Schulprojekt „Fluss“ für Homosexuelle und Transidente, das über Diversität aufklärt. Danilo sagt: „Alles ist so lange komisch, bis man Beispiele dafür hat. Eine Regenbogenfamilie ist eine völlig normale Familie, die nicht permanent mit Glitzer um sich wirft. Das ist einfach so wichtig zu zeigen.“ Auch an seiner eigenen Schule trat Danilo schon auf. Mutig findet er das nicht: „Dazu zu stehen, ist das einfachste seit langem auf Erden.“
Wie geht es jetzt für Danilo weiter? Beim Körperbau und bei der Behaarung sei mit Veränderungen zu rechnen, weiß Danilo aus dem Netz. Auf die Körpergröße hingegen wirken sich die Hormone nicht aus. Doch Danilo hat Abhilfe gefunden: In Geschäften, in denen viele Südländer einkaufen, gebe es kleine Männergrößen. An operativen Eingriffen steht eine Hysterektomie an – die Gebärmutter wird entfernt. Und dann wäre da noch die Sache mit dem Penis: Ein Penoidaufbau sei gefährlich, teuer und nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Danilo will sich mit der Entscheidung Zeit lassen. Jetzt stehen erstmal andere Dinge im Vordergrund: Nächstes Jahr ist Abitur. Und dann die Frage, was er beruflich machen will. Ganz normale Fragen, die sich ein ganz normaler junger Mann eben so stellt.
Transsexualität
Transsexuelle sind Menschen, die als Angehörige des anatomisch anderen Geschlechts leben und anerkannt werden wollen und den eigenen Körper an das andere Geschlecht anpassen wollen. Manche Transmenschen bevorzugen auch die Bezeichnung Transidentität – für sie liegt der Schwerpunkt weniger auf der körperlichen Angleichung, sondern mehr auf er Selbstwahrnehmung und den sozialen Geschlechterrollen. Es gibt keine gesicherten Zahlen zur Anzahl der Transsexuellen in Deutschland. (rom)