„Achtung Kopf!“, ruft Klaus Blums Kollege ihm entgegen. Der zieht instinktiv den Hals zwischen die Schulterblätter und tippelt zwei Schritte nach rechts, um dem Betontragwerk, auf das er zufährt, auszuweichen. Dann schwingt er seinen Hammer über die Schulter und es erklingt das hohe Geräusch von Stahl, der wiederholt auf Beton trifft.
Der Bauingenieur befindet sich unter der Donaubrücke der B14 in Tuttlingen. Gemeinsam mit seinem Assistenten steht er auf dem beweglichen Steg des Brückenuntersichtgeräts.
Im Metallgitterkorb ganz nah ran
Was klingt, als käme es aus einer Science-Fiction-Serie, ist in Realität ein doppelt ausklappbarer Arm, der von einem Lkw aus über die Brücke heruntergefahren wird. So eine Art Mischung aus Kran und Feuerwehrleiter. Am Ende dieses Leitergerüsts kommt der Bauingenieur auf einen länglichen Korb. Darauf kann sich Blum alle Risse aus nächster Nähe anschauen.
Der spektakuläre Einsturz der Carola-Brücke in Dresden rückte im Herbst 2024 das Thema Brückensicherheit in den Fokus. Im März musste im Berliner Westen die Ringbahnbrücke gesperrt und abgerissen werden, weil man ihre Sicherheit nicht mehr gewährleisten konnte. Brücken können also nicht nur in Italien in sich zusammenkrachen – und auch nicht nur im Osten Deutschlands.
Baden-Württembergs Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) geht davon aus, dass derzeit etwa jede zehnte Brücke auf einer Bundes- oder Landesstraße in Baden-Württemberg sanierungsbedürftig ist. „Perspektivisch müssen jährlich bis zu 100 Brücken grundlegend instandgesetzt, ertüchtigt oder ersetzt werden“, sagte er im Herbst. „Sollte dies nicht gelingen, könnte der Verkehr zunehmend eingeschränkt werden müssen – zum Beispiel, weil ganze Brücken gesperrt werden müssen.“
Nur ein Gerät für Baden-Württemberg
Um das Schlimmste zu verhindert, steht Blum mit seinem Assistenten Fabian Kiefer und Thomas Kazimirski vom Regierungspräsidium Stuttgart auf dem Metallgittersteg. Da es in Baden-Württemberg nur ein Gerät dieser Art gibt, werden die Freiburger Ingenieure Blum und Kiefer von der Stuttgarter Gerätemannschaft unterstützt.
Kazimirksi fährt per Fernbedienung die Plattform ein und aus, hält Funkkontakt zu den Kollegen auf der Brücke und meldet sich immer wieder mit einem „Achtung Steg!“ oder „Vorsicht Kopf!“ zu Wort.
Schäden entstehen vorwiegend nicht durch Verkehr
Meter für Meter fahren die drei Männer die Unterseite der Donaubrücke ab. Dort liest Blum anhand einer Skala die Verschiebung der Pfeiler aus. Die entsteht übrigens weniger durch die Autos und Lastwagen, die über die Brücke donnern, sondern durch Wärme und Kälte.
Thermische Schwankungen führen zur Ausdehnung des Betons. „Die Brücke hier ist elf Jahre alt, da dürften wir heute nichts Dramatisches finden“, stellt Klaus Blum gleich zu Anfang klar.
Neben der Verschiebung kommt es den Brückeninspektoren natürlich vor allem auf Risse an. Die zu entdecken, ist unkomplizierter als man es sich vorstellen mag. „Das sieht man einfach“, antwortet Blum etwas erstaunt auf die Frage, woran das geübte Ingenieursauge so eine Porosität erkennt.
Risse erkennt er mit bloßem Auge
Die Risse, die auf der riesigen Fläche wie Haare auf einem grauen Wohnzimmerteppich aussehen, zeigen sich mal vereinzelt und mal gehäuft. Die Bauwerksprüfer markieren jeden Vorboten der Brüchigkeit mit einem blauen Kreis. Das sei aber alles andere als ein Grund zur Sorge. Es gehe lediglich darum, regelmäßig die Entwicklung der Brücke zu dokumentieren.
Wenn Klaus Blum doch eine Besonderheit auffällt, zückt er seine silbrig glänzende Digitalkamera. Zeitgleich klopfen sein Assistent und er mit Geologenhämmern das Betonmassiv ab, um Hohlstellen zu erhorchen. Nebenbei schreibt Blum Daten in ein auf dem Werkzeugschrank liegenden Heft.
Nach einer guten Stunde unter der Brücke kommt vom Fahrzeugpersonal eine Durchsage. Blum wendet sich an Thomas Kazimirski: „Ist er an der Laterne?“, auf dessen Kopfnicken erwidert der Bauprüfer: „Also müssen wir runter.“ Der oberste Arm des Brückenuntersichtgeräts steht kurz vor einer von vier Straßenlaternen, die am Fahrbahnrand der Brücke stehen. Weiter geht es nicht. Deshalb lässt das Fahrzeugteam, die Bühne bis kurz vor das Donauufer ab. Die Insassen springen raus. Erst Assistent Kiefer, dann Einsatzleiter Blum.
Ein tragisches Ereignis geht ihm nicht aus dem Kopf
Am Fuße der Brücke schaut der 59-Jährige auf das einfahrende Gerät und erinnert sich dabei an einschneidende Erlebnisse in über 30 Jahren Berufslaufbahn. Da kommen ihm Obdachlose in den Sinn, die er möglichst freundlich von seinem Arbeitsplatz verscheuchen musste, oder Fledermäuse, die ihm aus Fallrohren entgegen flatterten, vor allem ist ihm aber ein tragisches Unglück in Erinnerung.
2019 kam es auf der A81 nahe Rottweil bei einem von Blums Aufträgen zum Tod eines seiner Kollegen. Der Mitarbeiter der Autobahnmeisterei war gerade dabei, die Warnpylonen auf der Straße aufzustellen, als ein LKW das Einsatzfahrzeug und den davor stehenden Arbeiter erwischte. Sein damaliger Assistent sei aufgrund des Traumas arbeitsunfähig. Auch Blum selbst ist anzumerken, wie schwer es ihm fällt, über den Fall zu sprechen.
Es ist kein ungefährlicher Beruf, das müsse einem bewusst sein, aber das hält ihn nicht davon ab, ihn mit Freude auszuüben. Das tut Blum in Südbaden übrigens nicht allein. Neben ihm arbeiten drei Bauwerksprüferinnen für das Regierungspräsidium (RP) Freiburg. Dieses hat als einziges Regierungspräsidium in Baden-Württemberg drei weibliche Brückenprüferinnen im Dienst. Nur Karlsruhe beschäftigte bis 2014 laut eigenen Angaben eine Bauwerksprüferin.
Als Blum wieder auf der Plattform steht und während der Fahrt ein wenig mit seinem Kollegen witzelt, setzt Regen ein. Jetzt zeigt sich einer der Berufsvorteile, denn im Schutz der Brücke bekommen die Ingenieure nichts außer ein paar Bröseln ab, die von ihren orangenen Stoffkappen abspringen.
Blum hebt wieder den Hammer und das metallische Klopfgeräusch erklingt. In knapp fünf Jahren wird er in den Ruhestand gehen. Er kennt das Datum genau, weil er vor seiner Rente noch ein Sabbatjahr einlegen möchte. Doch bis dahin kann man unter den Brücken Südbadens, wenn man ganz aufmerksam hinhört, Klaus Blum klopfen hören.