„So konkret wie seit Jahrzehnten nicht mehr“ müsse sich Deutschland und damit auch Baden-Württemberg auf den Ernstfall vorbereiten. Das sagte Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) Anfang April nach einem Treffen mit Regierungspräsidenten, Landräten und Oberbürgermeistern. Was ist daraus geworden? Der SÜDKURIER hat nachgehakt – und bekam nur zum Teil konkrete Antworten.

Klar ist jedenfalls, dass nicht nur auf die Bundeswehr eine Menge Vorbereitung für den Ernstfall wartet. Gemeint ist die Bedrohung aus Russland, von der man in Nato-Kreisen annimmt, dass sie bis Ende des Jahrzehnts konkret werden könnte. Beim Szenario eines Angriffs auf die Nato-Ostflanke würde Deutschland zur Drehscheibe – für aufmarschierende Nato-Truppen in die eine Richtung, für Flüchtlinge und Verletzte aus dem Kriegsgebiet in die andere.

Generalleutnant André Bodemann hat für diesen Fall den Operationsplan Deutschland ausgearbeitet. Ende November 2024 sprach er darüber in Ravensburg vor interessiertem Publikum, zu großen Teilen in Uniform – Bundeswehrreservisten spitzten dort genauso die Ohren wie Feuerwehrleute und Rettungskräfte.

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Diese wären im Notfall auch gefordert. THW, DRK und andere Rettungsorganisationen bräuchte man zum Beispiel, um schnell große Zahlen von Flüchtlingen unterzubringen, aber auch für Krankentransporte. 1000 Patienten müssten im Ernstfall täglich in Deutschland verteilt werden. Das könnte nach Einschätzung von Alfred Bosch, beim DRK Kreisverband Ravensburg zuständig für den Katastrophenschutz, schon an den fehlenden Fahrzeugen scheitern.

DRK-Mann aus Ravensburg klagt über alte Wagen

„Wir rüsten den Zivilschutz seit Jahrzehnten komplett ab“, beklagt Bosch im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Seien vor 25 Jahren deutschlandweit noch 1200 Krankenwagen der Klasse KTW4 (also für vier Liegendtransporte) dem Zivilschutz zur Verfügung gestanden, plane das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nur noch mit 380 Wagen (für zwei Patienten).

Gerade habe er wieder ein Fahrzeug aus der Ausmusterung zurückziehen müssen, ein anderes hätte das DRK vom Bund für einen Restwert von 600 Euro abgekauft und für 6000 Euro neu ausgerüstet. Seit Jahren fahre man mit veralteten Fahrzeugen. Wenn er das gegenüber Politikern anspreche, stoße er auf Desinteresse, so Bosch. Ob sich das nun ändert, wo der Zivilschutz eine größere Bedeutung bekommt? „Ich habe die Hoffnung aufgegeben“, sagt der Ehrenamtler.

Ein Krankenwagen vor dem Klinikum Waldshut (Symbolbild).
Ein Krankenwagen vor dem Klinikum Waldshut (Symbolbild). | Bild: Moll, Mirjam (Archiv)

Den Kommunen und Kreisen hat Landesinnenminister Strobl (CDU) nach eigenem Bekunden den Teilnehmern des Treffens „Hausaufgaben“ aufgegeben für die unterschiedlichen Gefahrenszenarien. Vom Landkreis Konstanz heißt es allerdings, derzeit lägen Anforderungen oder Anordnungen zur Erstellung für die Zivile Alarmplanung nicht vor. Auch der Landkreis Schwarzwald-Baar berichtet, nach dem Termin im Innenministerium hätten sich noch keine konkreten Aufgaben aus dem Operationsplan für den Landkreis ergeben. Vom Landkreis Waldshut heißt es auf SÜDKURIER-Anfrage, es könne noch niemand Auskunft geben.

Vorbereitung auf Cyberattacken, aber keine Feldbetten

Weiter ist man dagegen im Bodenseekreis. Dort konzentriert man sich auf Szenarien einer hybriden Kriegsführung: Behörden sollen arbeitsfähig bleiben, wenn es zu Cyberattacken oder Stromausfällen kommen sollte. „Auch die Infrastruktur, etwa die Wasserversorgung, könnte solch ein Störziel sein“, sagt der Sprecher des Bodenseekreises Robert Schwarz.

Als moderne Industriegesellschaft seien wir anfällig für hybride Angriffe. Auch Unternehmen könnten zum Ziel werden: „Bei uns gibt es viele Betriebe, die auch im Verteidigungssektor arbeiten. Das könnte die Region besonders interessant für Störversuche im zivilen Bereich machen.“ Was der Landkreis noch nicht macht: „Feldbetten anschaffen oder Ähnliches“. Auch Übungen mit den Blaulichtorganisationen seien noch nicht in Planung. Genauer lässt sich der Bodenseekreis nicht in die Karten schauen: „Es gibt Listen mit Dingen, die zu tun sind. Darüber wollen wir aber nicht sprechen.“

Geld ausgeben für etwas, das man akut nicht braucht

Einfach dürfte den Kommunen die Vorbereitung schon deshalb nicht fallen, weil man trotz vielfach klammer Kassen für Dinge Geld ausgibt, die man hoffentlich nie benötigen wird. Joachim Fallert, Landesvorsitzender des Reservistenverbands in Baden-Württemberg, formuliert es gegenüber dem SÜDKURIER so: „Wir sind jetzt schon in einem Zustand, der ist nicht mehr ganz friedlich. In diesem Zwischenstadium ist es schwierig für Kommunen, Vorbereitungen zu treffen, die am Ende Geld kosten.“

Joachim Fallert, Chef des Reservistenverbands Bawü
Joachim Fallert, Chef des Reservistenverbands Bawü | Bild: Joachim Fallert

Sollte es eines Tages tatsächlich zum Äußersten kommen – Raketenbeschuss oder sogar feindliche Truppen auf deutschem Territorium -, dann wären wieder die Bunker gefragt, die nach dem Ende des Kalten Kriegs eingemottet wurden.

Noch 212 Schutzräume, aber keiner benutzbar

Dass Bundesinnenministerium gibt an, dass es in Baden-Württemberg noch 212 sogenannte öffentliche Schutzräume gibt mit (theoretisch) 173.976 Plätzen – von ehemals 547 Schutzräumen mit 400.000 Plätzen. Auch die verbliebenen würden aber seit Jahren nicht mehr fachgerecht unterhalten, heißt es von Seiten des Landesinnenministeriums.

„Von den noch existierenden Anlagen wurden die meisten inzwischen durch den Bund formell aus der sogenannten ,Zivilschutzbindung‘ entlassen, d. h. auf diese besteht rechtlich kein Zugriff mehr.“ Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erarbeite gerade – gemeinsam mit den Ländern – ein modernes Schutzraumkonzept.

Gibt es welche in der Region? Dazu sagt das Landesinnenministerium nichts mit dem Verweis auf die Zuständigkeit des Bundes. Das Bundesinnenministerium schreibt auf Anfrage, dass eine Bekanntgabe der Adressen von öffentlichen Schutzräumen generell nicht möglich sei. „Diese stehen größtenteils in Privateigentum. Aus diesem Grunde sowie aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommt derzeit die Veröffentlichung von Adressen nicht in Betracht“, so eine Sprecherin.

Notstromaggregat und Stirnlampe

Die Landesregierung geht derweil einen Schritt auf der Eskalationsskala zurück und setzt auf so genannte Notfalltreffpunkte: Die Baden-Württemberger sollen zentrale Anlaufstellen in den Städten und Gemeinden bekommen, sichere Orte, an denen man Zuflucht finde und Erste Hilfe. Die komplette Ausrüstung – zwei Notstromaggregate, Funktionswesten, Scheinwerfer, Arbeitsleuchten, Stirnlampen, Megaphon, Radio, Absperrband sowie eine Erste-Hilfe-Box – stelle das Land bereit. 3,2 Millionen Euro lässt sich das Land dies kosten.

Von der neuen Bundesregierung erhofft man sich Fortschritte in Sachen Katastrophenschutz – vor allem mehr Geld. Die von der Ampel-Koalition noch vereinbarten 10 Milliarden Euro für den Bevölkerungsschutz seien nicht angekommen.

Krankenhausreform zurückdrehen?

CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter denkt noch weiter: „Wir müssen uns die Krankenhausreform nochmal anschauen. Zum Beispiel sollten wir Reservekrankenhäuser vorhalten“, sagte er bereits im April dem SÜDKURIER. Auch einen Beitrag der normalen Bevölkerung hält Kiesewetter für geboten: „Denen, die sich nicht vorstellen können, das Land zu verteidigen, müssen wir anbieten, sich in Krankenhäusern, bei der Feuerwehr, beim THW oder in sonstigem Zivildienst schulen zu lassen, Übungen zu absolvieren – ohne Angst zu machen.“