Der Zölibat ist ein kirchlicher Marathonläufer. Kaum ein anderes Thema gleitet so hartnäckig durch die Diskussionsschleifen der katholischen Kirche. Spätestens seit der Würzburger Synode von 1975 steht es auf der Agenda. Tendenz: Die meisten Gläubigen und immer mehr Geistliche bis hin zu Bischöfen drängen auf die Öffnung der bisher strikt verpflichtenden Ehelosigkeit. Zölibat ja, aber freiwillig, so sagen viele. Hinter dieser Forderung versammeln sich jene Gläubigen und Pfarrer, die eine breite Mitte dieser Kirche bilden. 

Auf der universalen Ebene der Weltkirche liegen die Verhältnisse nicht so eindeutig. Auch wenn immer wieder Geistliche weltweit ihre liebe Not mit der Ehelosigkeit haben, stehen sie grundsätzlich zum Zölibat. Anders in den Ländern Westeuropas oder Nordamerikas: Für die Freigabe des Zölibats zeichnet sich eine Mehrheit ab. Selbst Bischöfe wollen, dass eine derartige Verpflichtung freiwillig geleistet wird, damit sie mit Leib und Seele gelebt werden kann.

Freiwilliger Verzicht wäre besser

Auch in Südbaden stößt der Zölibat an seine Grenzen. „Der Wert des Zölibats besteht in der Freiwilligkeit. Einem Pflicht- und Zwangszölibat fehlt jegliche positive Zeichenhaftigkeit,“ sagt zum Beispiel Peter Stengele, früher Spiritual am Kloster Hegne. Der anerkannte Theologe stellt sich nicht gegen die Ehelosigkeit von Priestern, sondern deren verordneten Charakter.

Peter Stengele packt dieser Tage seine Sachen in Hegne, wo er bisher Seelsorger war. In Zukunft kümmert er sich um moderne Kunst im ...
Peter Stengele packt dieser Tage seine Sachen in Hegne, wo er bisher Seelsorger war. In Zukunft kümmert er sich um moderne Kunst im Erzbistum Freiburg. | Bild: Fricker, Ulrich

Grundsätzlich sieht das auch Ulrika Schirmaier. Die Ehefrau und Mutter argumentiert mit der Natur des Menschen. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagt sie: „Die menschliche Sexualität ist natürlich und gesund, ist ein Baustein in Gottes Schöpfungsplan. Man kann die Sexualität nicht ignorieren.“ Schirmaier ist Mitglied der Initiative Maria 2.0 und hat mit zwei anderen Frauen zusammen eine Basisgruppe in Lauchringen (Kreis Waldshut) aufgebaut.

Ulrika Schirmaier (rechts) im Gespräch mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig.
Ulrika Schirmaier (rechts) im Gespräch mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig.

Maria 2.0 setzt sich für das Priestertum der Frau ein, aber auch für Pfarrer, die heiraten dürfen sollen. Die Katholikin verweist auf die Praxis und auf die Tatsache, dass mancher anerkannte Priester den Zölibat zwar dem Bischof verspricht, später aber nicht hält. „Wenn sich ein Priester zu seiner Liebe offen bekennt, muss er die Kirche verlassen. Und wenn er Frau und Kind verleugnet, kann er in der Kirche bleiben und es werden sogar noch die Alimente bezahlt,“ sagt Schirmaier. Das nennt sie Doppelmoral.

Jesus schrieb den Zölibat nicht vor

Jesus hat den Zölibat nicht gefordert, ergänzt sie. Doch hat er ihn als Möglichkeit empfohlen: Wer es fassen kann, fasse es, heißt es an einer Stelle. Jesus hat nach Auskunft aller vier Evangelien Frauen gekannt, lebte aber ehelos und ohne Familie.

Maria 2.0 ist kein Damenprogramm. Bei Dekanen und Pfarrern finden die Programmpunkte zunehmend Anklang, zumal sie klar und nachvollziehbar geschrieben sind. Vor einigen Tagen sprach der Pfullendorfer Stadtpfarrer auf dem Neujahrsempfang der Stadt. Marthinho Dias Mertola sagte in diesem repräsentativen Rahmen wörtlich: „Gut, dass es Maria 2.0 gibt.“ Seiner eigenen Kirche attestierte er erheblichen Reformbedarf. Wenn sie sich dem verweigere, sei sie „auf dem besten Weg in die organisierte Bedeutungslosigkeit,“ sagte er wörtlich. Und der Zölibat? Pfarrer Mertola fordert dessen Freigabe.

Bald entscheidet der Papst

Mit einer Entscheidung des Papstes wird in den kommenden Wochen gerechnet. Sie hat Signalcharakter, hoffen viele Reformfreunde. Ihr Kalkül geht so: Was am Amazonas recht ist, kann in anderen Gegenden nur billig sein, wenn Not am Mann ist. Priestermangel und damit ausfallende Gottesdienste sind nicht nur am größten Fluss Brasiliens eine Tatsache. So weit muss man gar nicht gehen. Der Blick vor die eigene Haustür genügt. Auch deutsche Diözesen arbeiten an Plänen, um die dünner werdende Personaldecke zu strecken. Ohne die Hilfe von polnischen oder indischen Theologen wäre manche Pfarrei verwaist.

So wäre es besser: Papst Franziskus trägt weiß, sein Vorgänger Benedikt XVI. wieder Schwarz. Dann wäre ein Mißverständnis beseitigt. ...
So wäre es besser: Papst Franziskus trägt weiß, sein Vorgänger Benedikt XVI. wieder Schwarz. Dann wäre ein Mißverständnis beseitigt. Hinweis: Das Bild ist farblich bearbeitet. | Bild: DPA

In Rom sieht man diese Not nicht. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass im weiten Umkreis des Vatikan niemals ein Mangel an Priestern und Ordensgeistlichen herrscht. Die Altarkerzen werden dort niemals kalt. Diese schlichte Beobachtung erklärt, weshalb sich deutsche Kleriker, die im katholischen Hauptquartier arbeiten, bald über ihre deutsche Heimat wundern, wenn dort über zu wenige Seelsorger geklagt wird.

Warum sich Joseph Ratzinger einbringt

Auch Joseph Ratzinger. Der ehemalige Papst hat sich nicht zufällig jetzt in die Diskussion eingeschaltet – und sich vor den Karren von ultrakonservativen Kräften spannen lassen. Dabei wendet er eine Argumentation an, die fragwürdig ist: Der Zölibat sei untrennbar mit dem Priestertum verbunden, meint Benedikt XVI. in einem jüngst erschienenen Aufsatz. Wenn man die Priester heiraten lässt, zerstöre man das Charisma dieses katholischen Amtes.

Dabei berichtet die Kirchengeschichte anderes: Der Zölibat ist kein biblisches Gebot. Es ist ein Reglement, das aus dem Mittelalter stammt. Und zwar aus überwiegend praktischen Gründen. Die Leutpriester mit Familie neigten dazu, ihren Kindern kirchliche Güter zu vermachen. Um das zu verhindern, wurde der Zölibat eingeführt. Und wenn es doch uneheliche Kinder von einer Geliebten gibt? Dann hatten diese keine Ansprüche. Mit dem Zölibat schaffte die römische Kirche ein Problem aus der Welt – eines, bei dem es um Erbe und Besitz ging und erst in zweiter Linie um die Seelsorge.

Die weiße Soutane wird zum Problem

Diese Tatsache wird bei Papst-Kritiker Benedikt XVI. ausgeblendet. Er schreibt weiterhin seine Aufsätze, wohl wissend, dass er nicht mehr als Professor, sondern noch immer als Papst wahrgenommen wird. Dem leistet er Vorschub, indem er sich noch immer weiß kleidet. Damit bekundet er, dass er irgendwie noch immer Pontifex sein will – ein Papa emeritus, wie der 2013 eilig gebastelte und bis dahin nicht existierende Titel lautet.

Dieses Mädchen wohnt mit seiner Familie in einem Dorf an einem Nebenarm des Amazonas. Einmal im Quartal kommt ein Priester vorbei. Papst ...
Dieses Mädchen wohnt mit seiner Familie in einem Dorf an einem Nebenarm des Amazonas. Einmal im Quartal kommt ein Priester vorbei. Papst Franziskus will diese Situation verbessern. | Bild: Fricker, Ulrich

Dabei ließe sich das Problem zweier Päpste mit einem Garderobenwechsel schnell aus der katholischen Welt schaffen: Joseph Ratzinger trägt wieder die schwarze Soutane des Priesters. Der Kirchenhistoriker Hubert Wolff hat genau das vorgeschlagen, um alle Zweifel auszuschließen und die Machtverhältnisse sichtbar zu machen.

Er schadet seinem Nachfolger

Ganz offensichtlich denkt Benedikt XVI. gar nicht daran. Er dämonisiert die Richtung, in die sein Nachfolger das Kirchenschiff schiebt. Benedikt und seine Helfer im Hintergrund sehen dunkle Kräfte am Werk, die eine heilige Institution wie den Zölibat kippen wollen. Er müsse dagegen „Wache halten gegen die hereindrängenden Mächte des Bösen,“ wie es wörtlich in seinem Vorwort heißt. Mächte des Bösen?

Tatsache scheint auch zu sein, dass sich Franziskus davon nicht beeindrucken lässt, auch wenn die Schüsse aus Benedikts Alterssitz ihm gelten. In einigen Tagen fällt die Entscheidung.