Der Tag ist grau, auch die Berge im hinteren Bregenzer Wald versinken im Nebel. Wir stehen am Lift Oberdamüls, dessen Sessel jederzeit nach oben schweben könnten. Könnten! Denn soviel steht fest: Die Saison 2020/2021 wird anders als das Wintergeschäft in den vergangenen Jahren. Den kommenden Winter kann man unter dem Vorzeichen der Pandemie so wenig erkennen wie die Mittagsspitze. Auch der hiesige Hausberg mit 2095 Meter Höhe versteckt sich im Novembernebel.
Auf jeden Einwohner kommen dann 12 Gäste
Die Chefs in der Gemeinde sind dennoch verhalten optimistisch. Stefan Bischof, Bürgermeister der Gemeinde seit zehn Jahren, nennt Damüls „das schneereichste Dorf der Welt.“ Mathias Klocker, der das Verkehrsamt leitet, weiß: Schnee ist auf 1423 Meter Höhe der wichtigste Rohstoff. Das Dorf mit 305 Einwohnern lebt zu 100 Prozent vom Tourismus, sagt Klocker. Wenn alle Gästebetten in der Hochsaison belegt sind, wohnen hier plötzlich 4000 Menschen im Dorf.

Vor allem deutsche Gäste kommen, die meisten aus Baden-Württemberg. Dann folgen Österreicher und Niederländer. Keine russischen Besucher. „Die meisten Besucher sind Stammgäste“, sagt der Bürgermeister, und dann: „Ich bin der Stefan.“ Mit seiner aus Andalusien stammenden Frau führt auch er eine Pension. Pension Enzian, zentrale Lage. Jeder ist hier als Gastgeber tätig.
Vorarlberg gilt als Risikogebiet
Doch dieses Jahr ist alles anders, die Bilder im Prospekt scheinen aus einer alten, besseren Welt zu kommen. Im vergangenen Winter kamen die Anbieter in Vorarlberg noch mit einem blauen Auge davon. Als die Lifte Mitte März schlossen, hatten sie bereits Monate im Kasten.
Am 4. Dezember nun sollen die 27 Anlagen des Skiverbunds Damüls/Faschina/Mellau erstmals laufen. Bischof und Klocker sind Berufsoptimisten, doch mischt sich Skepsis in ihre in ihre Sätze. Damüls hat lokal vorgesorgt. Doch die pandemische Großwetterlage wird nicht hier entschieden.
Vorarlberg ist längst als Risikogebiet eingestuft. Wer aus einem mehrtägigen Urlaub aus den Bergen dort nach Deutschland zurückkehrt, muss sich mindestens fünf Tage in Quarantäne begeben. Für Berufstätige oder Familien mit Kindern zweifellos eine hohe Hürde. Der Coronatest allein genügt also nicht.

Viele Gäste zögern. „Sie nehmen ihre Buchungen immer kurzfristiger vor“, sagt Klocker. Bisher seien ein Fünftel weniger Reservationen eingegangen im Vergleich zu den Vorjahren. Auch Stammgäste seien zurückhaltend.
Sessellift im Vorteil
Das Dorf setzt dagegen, was man lokal tun kann. „Wir haben Gottseidank keine Gondeln“, sagt Klocker, denn dort sitzen sich Menschen doch knapp gegenüber. Der Bahnbetrieb hier arbeitet mit Schlepp- und Sesselliften. Die meisten Herbergen liegen in der Nähe eines Liftes. Deshalb entfällt die Benutzung eines überfüllten Skibusses.

In Sachen Mund-Nasen-Schutz verfielen die Manager auf eine einfache Idee: Sie empfehlen eine Strumpfmaske, die man während der Abfahrt um den Hals trägt. Wer dann in den Liftbereich einfährt, zieht den Strumpf einfach bis über die Nase.
Für zwei Euro liegt das Utensil an den Kassen aus – ganz in Schwarz und mit dem Damülser Hausberg, der Mittagsspitze, drauf. „Sie ist so sicher wie eine Baumwollmaske“, sagt Mathias Klocker. Die Snowboarder tragen das schon lange, weiß er.

Der Bregenzerwald setzt sich von Tirol ab
Der Rummel um den Après-Ski wird hier abgerüstet. Damüls ist nicht die typische Halligalli-Destination. Wer auf den Putz hauen will, wird andere Orte anpeilen. „Après-Ski spielt bei uns keine Rolle“, sagt Stefan Bischof. In einschlägigen Lokalen wie dem Scharfen Eck werden die Gäste in Zukunft an Tische gesetzt. Keiner soll mehr stehen. Die Zeiten, in denen entblätterte Gäste auf dem Tresen tanzten, dürften vorbei sein.

Alles anders als in Ischgl – dem Ort, der wie kein zweiter zum Symbol von Gier und verspäteter Gefahrenwarnung wurde? Klocker zieht eine Grenze, er sagt: „Wir pflegen eine andere Art von Tourismus: Ich sehe Ischgl als Fabrik – und Damüls als Manufaktur.“ Der Satz sitzt.
Die Geschichte mit dem Walserdorf
Wer sich ein wenig umschaut in diesem 305-Seelen-Dorf, wird manches bestätigt finden. Damüls ist eine Streusiedlung. Die Häuser verteilen sich weitläufig über die Hänge. Die Höfe wurden in der Nähe der kargen Felder und Almen gebaut, nicht als Haufensiedlung.
Der Vergleich mit Ischgl, St. Anton oder Lenzerheide in der Schweiz geht fehl. Die Einheimischen sind anders, sie leiten sich von den Walsern ab. Der Bürgermeister fixiert den Reporter durchdringend und sagt: „Weißt, wir sind ein Walserdorf.“ Vor mehr als 700 Jahren wanderten arme Bauern aus dem Schweizer Kanton Wallis Richtung Nordosten. In den entlegenen Hochtälern durften sie sich niederlassen, so in Galtür (Tirol) oder eben in Damüls.

Walser gilt hier als Gütesiegel. Es grenzt Damüls von touristischen Hochburgen ab, die auf Herkunft und Heimat nichts geben und alles tun, um Touristen zu fangen. Die Spitze geht eindeutig gegen Ischgl in der klaren Erkenntnis, dass dieser Tiroler Ort mehr kaputtgemacht hat als man in zehn Jahren aufbauen kann.
Kaum umgebaut, muss sein Hotel schon wieder schließen
Vom Aufbauen können die Wirte in dem vorarlbergischen Ort erzählen. Einer heißt René Madlener, Wirt an einem der höchstgelegenen Betriebe. „Hohes Licht“ heißt das Gasthaus mit den langgezogenen hellen Balkonen. Vor sieben Jahren kaufte er das Anwesen seiner Tante ab und treibt es seitdem mit seiner Frau Manuela um.

Die junge Familie will dem Hotel eine eigene Handschrift geben. Also renovierten sie, kauften prächtige Türen und ein schwedisches Sofa für den Eingangsbereich. Die Banken freuen sich, Madleners nahmen Geld auf. Auch den Gästen gefiel das Haus in der Viersterne-Kategorie – bis der Lockdown die Gastronomie im März heimsuchte.
„Das war ein wirtschaftlicher Totalschaden“, bilanziert Madlener. Wir sitzen in der leeren Lobby, er trägt einen Trachtenjanker. Auch er setzt auf den Neustart am 4. Dezember. Sein Haus könnte schon morgen öffnen, man müsste nur die Kühlschränke der Hausbar füllen. Allein, er darf nicht.
Der Erste Advent mit Fragezeichen
Wie in Deutschland wurde in Österreich der Betten- und Essensbranche eine Zwangspause verordnet. Bis mindestens 29. November dürfen die Madleners nicht einmal ein Glas Wasser verkaufen. Ob die Gastronomie ab dem 1. Advent öffnen darf, weiß niemand. Genau darauf wäre das Hohe Licht angewiesen, um den Saisonstart zu erwischen.
Der junge Wirt fleht die Politiker an: „Lasst‘s bitte die Grenzen auf“, sagt er. Und: „Wir können hier alle Auflagen einhalten.“ Eine verpflichtende Quarantäne sei für die Gäste das reine Gift, weiß er. Madlener spricht für alle Wirte im Dorf, er ist gewählter Sprecher dieses Kreises, der eines gemeinsam hat: In Damüls arbeiten ausschließlich Familienbetriebe.

Die Zwergschule und der Sparmarkt
Geht es den Familien gut, dann bleiben sie auf 1423 Meter wohnen. Wenn nicht, dann ziehen sie irgendwann ins Tal. Aus dem Walser wird dann ein Stadtmensch. Dann schließt auch die Zwergschule mit 23 Kindern in vier Klassen, die sich im Ort hält. Dann sperren bald auch Kirche und Sparmarkt zu. Bisher lebt jeder mit und von den Gästen. Diese erwarten alpine Traditionen und moderne Bergbahnen.
„Wir verkaufen hier Emotionen,“ sagt Stefan, der Bürgermeister. Was er nicht sagt: Corona ist der größte Feind der Gefühle. Auch in den Bergen.