Die Stimmung kippt. „Nazis raus! Nazis raus!“ schreien vermummte Demonstranten hinter rot-weißen Transparenten hervor. Mit kleinen Schritten kommen die 100 Mitglieder der Antifa auf die Polizei-Kette zu. Sie wurde eigentlich zur Regelung der Fußgänger eingerichtet. Jetzt müssen die Beamten plötzlich eine gewaltbereite Masse in Schach halten.
Einige in schwarz gekleidete Demonstranten schubsen die Polizisten nach hinten. Andere drehen sich um und stacheln Mitstreiter an. Sie wollen die Kette durchbrechen und zur Querdenker Kundgebung auf Klein-Venedig vordringen. Die Polizei setzt laut eigenen Angaben Pfefferspray ein.

Auf der anderen Seite stehen Querdenker. Wie viele genau, ist unklar. Ordner fordern mit Megafonen dazu auf die Provokationen der Antifa zu ignorieren. „Geht einfach weiter.“ Viele halten sich an die Anweisung. Einige nicht. „Wir sind keine Nazis. Und ihr wollt nur Gewalt!“ schreit ein Mann mit weißem Kapuzenpullover und der Aufschrift „Querdenken Konstanz„ der tobenden Masse zu. Es fehlt nur ein kleiner Funken bis die Situation komplett aus dem Ruder läuft.

30 Minuten zuvor. Auf der Querdenker-Demonstration auf Klein Venedig setzt sich die Masse in Bewegung. Gegen 14 Uhr soll ein Demonstrationszug von der Mariahilfkirche in Petershausen zurück auf das Gelände führen. Eigentlich. Kurze Zeit später verkündet Veranstalter Gerry Mayr über die Kommunikations-App Telegram, dass der Demo-Zug abgesagt ist. Zu diesem Zeitpunkt ist ein Großteil der Querdenker aber schon unterwegs.
Sie drehen um. Und treffen direkt vor dem Riesenrad auf die Antifa. Die Stimmung heizt sich auf. Kurz bevor die Situation eskaliert, erhält die Polizei Verstärkung von schwer gepanzerten Männern und Frauen in Grünen Anzügen. Sie bilden eine zweite Sicherheitsreihe. Gemeinsam gelingt es die Mitglieder des linken Spektrums über die Hafenstraße Richtung Unterführung an der Marktstätte zu begleiten. Dort beruhigt sich die Lage. Eine Beamtin wird der Polizei zufolge leicht am Knie verletzt.

Antifa-Demonstrant wird von Polizei heftig niedergerungen
Auf dem Weg dorthin kommt es zu einer unschönen Situation. Wie auf einem Video im Kurznachrichtenportal Twitter zu sehen ist, ringt ein Polizist einen Antifa-Demonstranten heftig nieder.
Polizeisprecher Uwe Vincon erklärt kurz danach dem SÜDKURIER telefonisch: „Die Person hat mehrmals versucht ein Pferd und die Polizistin darauf zu irritieren. Das ist gefährlich. Nach wiederholten Provokationen gegen das Pferd, mussten wir einschreiten.“ Der Mann wurde festgenommen, befindet sich aber wieder auf freiem Fuß. Die Ermittlungen laufen.
Rauchbombe gezündet – keiner wird verletzt
Doch es bleibt an diesem Wochenende nicht bei dieser einen gefährlichen Situation. Laut Polizei soll eine unbekannte Person am Sonntagnachmittag gegen 15.45 Uhr eine Rauchbombe im hinteren Bereich der „Querdenker“-Bühne gezündet haben. Zwei weitere Rauchbomben sollen auch gezielt auf Personen geworfen worden sein. Die Begleiterin eines Veranstaltungsleiters wurde getroffen. Security-Mitarbeiter hatten den Störer erkannt, verfolgt, dann aber aus den Augen verloren. Die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung wurden aufgenommen.

Eines der größten Herausforderung für die Polizei war an diesem Wochenende dennoch die Einhaltung der Maskenpflicht. Gerade an der dicht gedrängten Hafenstraße hätten Masken getragen werden müssen, weil der Mindestabstand nicht eingehalten werden konnte. Auf der Demonstration an der schweizerischen Kunstgrenze weigerten sich sogar Ordner, die Mund-Nasen-Bedeckung überzuziehen. Wegen vereinzelter Maskenverweigerer eine ganze Demonstration auflösen? Laut Uwe Vincon wäre das unverhältnismäßig.
Schweizer macht Hitlergruß und schreit „Sieg Heil!“
Die Maskenpflicht für Ordner gehörte zu den Auflagen der Stadt. Ebenso wie das Verbot von Reichsflaggen. Rechtsextremisten waren auf keiner Demonstration offenkundig sichtbar. Ein Vorfall lässt erahnen, dass trotzdem einige vor Ort waren: Beim Aufzug „Freiheit und Verantwortung“ zeigte ein Schweizer den „Hitlergruß“ und schrie „Sieg Heil“. Zum genaueren Ablauf und möglichen Ermittlungsverfahren konnte die Polizei bislang nichts sagen.
An beiden Tagen weniger Demo-Teilnehmer als angekündigt
Deutlich wird auch an diesem Wochenende, dass die tatsächlichen Teilnehmerzahlen deutlich hinter den angekündigten zurückblieben. Im Bereich der Innenstadt Konstanz zählte die Polizei – zusammen mit der angemeldeten Abschlusskundgebung der Initiatoren für die Menschenkette – rund 2500 Personen, die an verschiedenen Kundgebungen und Versammlungen teilgenommen hatten. So war auch die mit 4500 Teilnehmern angemeldete Abschlusskundgebung der „Kette“ mit knapp 500 Personen nur schwach besucht und wurde schließlich auch vorzeitig vom Veranstalter aufgelöst. Auch am Sonntag blieben die Teilnehmerzahlen deutlich hinter den Erwartungen zurück. Angemeldet waren jeweils 3500 und 4500 für die beiden Demonstrationen der Querdenker am Konstanzer Bodenseeufer. Gekommen sind nach Schätzungen der Polizei nur 700 am Vormittag und etwa 1300 am Nachmittag.

Eine vorläufige Festnahme, zwölf Straf- und fünf Bußgeldverfahren. So die Bilanz der Polizei auf dem Papier. Am Samstag waren 750, am Sonntag sogar 850 Polizisten im gesamten Stadtgebiet im Einsatz. Die Beamten kamen aus dem gesamten Präsidiumsbereich Konstanz sowie vom Präsidium Einsatz mit Hubschrauber und Polizei-Pferden. Das Präsidium Einsatz sitzt in Göppingen und unterstützt die 13 Regionalpräsidien in Baden-Württemberg etwa bei Fußballspielen oder Demonstrationen.