Neues von Boris Palmer: Der Tübinger Oberbürgermeister schaltet sich mit teils drastischer Wortwahl in die Diskussion um die Krawallnächte in Stuttgart und Frankfurt ein. Zusammen mit seinen Kollegen aus Schorndorf (39.000 Einwohner) und Schwäbisch Gmünd (61.000 Einwohner) fordert er die Landesregierung zum Handeln auf.
Die drei Verwaltungschefs Boris Palmer (Grüne), Matthias Klopfer (SPD) und Richard Arnold (CDU) verlangen harte Sanktionen für die Unruhestifter. In der Stuttgarter Krawallnacht im Schlossgarten hatten neun von 24 „einen Flüchtlingsbezug“, wie es in dem scharf geschriebenen Brief an die Landesregierung heißt.
70 Prozent der Probleme sehen sie durch Flüchtige verursacht
Diese Gruppe greifen sich die drei schwäbischen Oberbürgermeister heraus. Sie seien allesamt als Asylbewerber ins Land gekommen und seit mehr als vier Jahren in Baden-Württemberg ansässig. „Wir müssen ehrlich und offen nach den Ursachen der Gewaltausbrüche fragen“, heißt es in dem Brief.
Viele Krawallmacher seien der Polizei bereits einschlägig bekannt gewesen, „70 Prozent der Probleme entfielen auf dort versammelte junge Männer mit Flüchtlingsbezug“, zitieren die drei aus polizeilichen Kontrollen der vergangenen Wochen.

Darin werde ein Muster erkennbar. Der Schlüsselsatz des OB-Schreibens lautet deshalb: „Unter den Geflüchteten gibt es eine keine Gruppe gewaltbereiter junger Männer, die eine starke Dominanz im öffentlichen Raum ausüben und weit überdurchschnittlich an schweren Straftaten beteiligt sind.“ Das gelte gerade für sexuelle Gewalt und Körperverletzung.
Die OB fürchten die Wiederholung
Was in Stuttgart passierte, könne auch in kleineren Städten vorkommen. Deshalb schlossen sich die Oberbürgermeister von Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Tübingen zusammen. Sie fürchten den Wiederholungsfall, der auf ihrer Gemarkung spielen könnte.

In ersten Reaktionen war der Brandbrief als Fortsetzung der Palmerschen Ausfälle gegen Menschen mit Migrationshintergrund kommentiert worden. Doch abgesehen von der scharfen Wortwahl (“marodierende Ausländerhorden“, „Rotzbubengehabe“) unterbreitet der Weckruf auch Lösungsansätze.
Erfolgreiche Verwaltungschefs
Die Mitstreiter von Boris Palmer sind bisher weniger durch starke Sprüche als durch ihre Arbeit aufgefallen. Matthias Klopfer (Schorndorf) und Richard Arnold wurden in ihren Kommunen jeweils mit deutlichen Mehrheiten wiedergewählt. Arnold gilt als leutselig und sehr erfolgreich. Er holte die Landesgartenschau 2019 nach Schwäbisch Gmünd und war bereits als CDU-Kandidat für die OB-Wahl in Stuttgart im Gespräch – winkte aber dankend ab.
Aus Schwäbisch Gmünd stammt eine Idee, die in dem Schreiben des Dreierbundes wieder auftaucht. Wie wäre es, so denken die Oberbürgermeister laut nach, wenn man diese schwierige Gruppe in die Pflicht nimmt? In Schwäbisch Gmünd betätigten sich Geflüchtete als Kofferträger und lernten dabei die Menschen besser kennen und erhielten Anerkennung. Und sie waren beschäftigt.
Die Gemeinde als Trainingsraum fürs Soziale
Wenn der Dienst nur von geflüchteten Menschen geleistet würde, wäre er ungerecht. Also gehen die drei OB noch weiter. Sie fordern, „dass in Deutschland dringend ein verpflichtender gesellschaftlicher Grunddienst für alle jungen Menschen eingeführt wird.“ Im Prinzip gibt es den Dienst in Form des Wehr- oder Ersatzdienstes, er wurde aber vom damaligen Verteidigungsminister von Guttenberg ausgesetzt vor genau neun Jahren.
Ausgesetzt bedeutet nicht abgeschafft. Eine Dienstpflicht – sei es an der Waffe oder in einem Altenheim – wäre zumindest für deutsche Staatsbürger jederzeit reaktivierbar. „Für die Dienstleistenden ist die eigene Stadt der richtige Ort für ein passendes Pflichtjahr“, schreiben die OB. Die Kommune sei der „passende Trainingsraum für das „Einüben der sozialen Fertigkeiten.“
Der Sozialdienst hat viele Freunde
Die drei Oberbürgermeister stehen damit nicht allein. Bereits die damalige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer regte eine allgemeine Dienstpflicht an. Ihr Vorschlag versandete aber früh und wurde bereits in der eigenen Partei blockiert.
In ihrem Vorstoß fordern die drei Oberbürgermeister auch härtere Strafen für „Krawallbrüder“ – die sich tatsächlich fast nur aus Männern rekrutieren. Bisher haben Verstöße im Bereich der Kleinkriminalität kaum Konsequenzen, stellen sie fest. Deshalb verfestige sich der Eindruck, dass man in diesem Land fast alles tun dürfe. „Diese in vielen Herkunftsländern unbekannte Liberalität des Rechtsstaates wird oft als Schwäche unserer Polizei verstanden“, heißt es in dem Brief. Dem müsse ein Riegel vorgeschoben werden.
Zurück in die Erstaufnahme?
Dafür bringen Palmer und seine Mitstreiter eine ungewöhnliche Maßnahme ins Spiel: Unruhestifter werden an die Erstaufnahme zurückverweisen. Dort sei ‚“eine Kontrolle durch Polizei und Sicherheitskräfte möglich.“ Hintergrund dürfte auch sein, dass das Leben in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) nicht die Annehmlichkeiten bietet wie eine Anschlussunterbringung. Hessen habe eine entsprechende Regelung bereits in den Koalitionsvertrag geschrieben, ohne dass es rechtliche Beanstandungen gab.
Der OB-Brief ging an zwei Stuttgarter Postfächer – an Ministerpräsident Winfried Kretschmann sowie Innenminister Thomas Strobl. Die Reaktion aus dem Innenministerium war kurz angebunden: Ein Sprecher nannte die Forderungen „alten Wein in neuen Schläuchen“. Die Idee eines allgemeinen Dienstes werde seit Langem von Thomas Strobl unterstützt, hieß es.
Fritz Kuhn würde das nicht unterschreiben

Ein anderer Verwaltungschef reagiert reserviert. Oberbürgermeister Fritz Kuhn, Parteifreund von Palmer, hält inhaltlich „nichts von dem Brief. Als Stuttgarter OB würde er ihn auch nicht unterschreiben“, sagt ein Sprecher der Stadt Stuttgart dem SÜDKURIER.
Gelassener sieht Winfried Kretschmann das Schreiben. „Das soziale Pflichtjahr sieht der Regierungschef mit Sympathie“, sagt dessen Sprecher Rudi Hoogvliet. Die strafweise Unterbringung von verhaltensauffälligen Flüchtlingen in einer LEA sieht das Land dagegen kritisch. „Damit werden problematische junge Männer erst recht versammelt“, sagte der Sprecher.