Wer im Redaktionssystem des SÜDKURIER nach „Corona“ wühlt, der wird in der Zeit vor Dezember 2019 kaum fündig. Einzelne Online-Artikel über eine Furtwanger Leichtathletin mit diesem Vornamen tauchen auf – in ihrer Haut möchte man dieses Jahr auch nicht stecken – und eine Handvoll Texte, in denen die apulische Mafia „Sacra Corona Unita“ erwähnt wird. Ab Dezember 2019, vor allem aber ab März 2020 ändert sich das schlagartig – seither sind rund 15.000 Artikel auf SÜDKURIER Online erschienen, in denen das Wort mindestens einmal fällt.
Anhand einzelner Texte lässt sich gut nachvollziehen, wie das Virus in die Region kam – und wie sich unsere Wahrnehmung der Gefahr geändert hat. Beginnen wir also einen kleinen Flug durch die erste kleine Historie des Coronavirus in Südbaden.
Das geheimnisvolle Virus aus China
Es ist ein Wirtschafts-Artikel, der sich erstmals mit dem Virus und seinen Auswirkungen auf die Region befasst. Kernfrage: Wie reagieren ZF und RRPS in Friedrichshafen auf die „mysteriöse Lungenkrankheit“ in China? Ruhig und professionell, zeigt ein Artikel vom 21. Januar. Und ohnehin: Das Robert-Koch-Institut in Person von Vizechef Lars Schaade sagt: Sorgen müsse man sich in Deutschland wegen Corona nicht machen.
Anfang Februar wird noch gewitzelt
Es dauert dann tatsächlich noch rund einen Monat, bis das Virus in der Region ankommt. Dazwischen wird auf lokalen Bühnen und Fastnacht-Veranstaltungen gewitzelt („Auch das Corona-Virus war vor Ort, aber Grund zur Sorge vor Ansteckung bestand nicht, denn wer einen Korn intus hatte, war immun“, heißt es in einem Text). Doch auch ein gewisses Unternehmen Curevac aus Tübingen taucht bereits auf, hier arbeitet man voller Zuversicht an einem Impfstoff, berichtet der SÜDKURIER am 11. Februar.
Auch von „Singener Corona-Jägern“ ist Ende Februar in einem Artikel die Rede – das Labor Blessing testet auf das neue Virus, der SÜDKURIER schaut sich dort um. Ganz zehn Verdachtsfälle wurden dort bis dahin untersucht. Man ahnt, dass es mehr werden könnten.

Ende Februar ist das Virus da
In den letzten Februar-Tagen kommt das Virus in der Region an, der erste Fall wird am 26. Februar im Kreis Rottweil bekannt. Einen Tag später gibt es Gerüchte um Verdachtsfälle im Schwarzwald-Baar-Klinikum.
Während draußen noch die Ausläufer des Sturmtiefs „Bianca“ peitschen (vereinzelte Zugausfälle waren die Sorge der Menschen), überlegt sich im SÜDKURIER-Gebäude die Abendbesetzung der Online-Redaktion: Sollen wir nun einen Ticker starten? Passiert da überhaupt genug oder haben wir in ein paar Tagen nicht mehr genug zu schreiben? Nun ja, mittlerweile läuft der Ticker seit rund zehn Monaten, wird weiterhin ständig aktualisiert und hat Millionen Menschen erreicht.
Hamstern – weil die Grenze zu geht?
Gleichzeitig beginnt auch die erste besonders nervige Begleiterscheinung der Pandemie, die damals kaum noch jemand als Pandemie wahrnimmt. Und doch geraten die Leute in Panik. Hamsterkäufe sind die Folge, erste Beispiele gibt es vom Hochrhein. Daran seien auch Schweizer Schuld, heißt es (wie immer). Sie fürchteten eine Grenzschließung – naja, das erscheint doch wirklich krass, ob es so weit kommen könnte?
Anfang März breitet sich das Virus spürbar in Baden-Württemberg aus, viele Urlaubs-Rückkehrer aus Südtirol sind unter den Infizierten. Warum ist die Region kein Risikogebiet, fragt der SÜDKURIER. Das RKI mauert, erst kurz darauf ändert es seine Meinung und erklärt Südtirol doch zur gefährdeten Gegend. Bis dahin haben längst zahlreiche Urlauber das Virus eingeschleppt.
Kreativ statt sicher in den März
Viel schlimmer als Hamsterkäufe: Dem medizinischen Personal fehlt oft jegliche Schutzausrüstung gegen das Virus. Da wird mancher kreativ. Symbolisch: Dr. Günter Straub aus Wehr.

Am 16. März 2020 kommt es zum vielleicht dramatischsten Einschnitt während der Corona-Pandemie: Deutschland macht die Grenze dicht. Der längst zusammengewachsene Raum Baden-Württemberg-Schweiz-Österreich-Elsass hört vorerst auf zu existieren. Zwischen Kreuzlingen und Konstanz entsteht ein Grenzzaun, der es als Symbol zu bundesweiter Bekanntheit bringen wird – hier wird auseinandergerissen, was zusammengehört.
In der Folge hat SÜDKURIER Online einen Zulauf wie selten zuvor: Riesig sind die Fragen und Sorgen derer, für die die Grenze längst aufgehört hatte zu existieren, die Familie und Freunde auf beiden Seiten haben. Der SÜDKURIER versucht, sie alle zu beantworten – doch die Lage bleibt angespannt, Lockerungen an der Grenze werden noch Wochen auf sich warten lassen. Ab 22. März wird Deutschland zudem in den ersten Lockdown versetzt.
Übersterblichkeit im Frühjahr – nicht nur wegen Corona-Toten
Was auffällt: Berichte über überlastete Krankenhäuser in der Region gibt es kaum. Eher geht es in den Artikeln dieser Wochen im März und April um die Auswirkungen der Maßnahmen, weniger um das Virus selbst. Insgesamt werden Südbaden und Oberschwaben die erste Welle glimpflich überstehen. Und doch sterben in dieser Zeit Menschen in der Region an Covid-19 – zudem gibt es wegen der Nebenwirkungen des Lockdowns eine Übersterblickeit, wie dieser aktuelle Artikel es im Rückblick zeigt.
Das Bangen um Grenzschließungen und Grenzöffnungen bestimmt die Monate April und Mai – letztlich wird es zu einem Hickhack, bei dem sich auch die deutsche Innenpolitik nicht mehr einig ist. In Kurzform: Mitte Mai fällt der Grenzzaun, Mitte Juni enden die Kontrollen komplett – ausführlich ist das in diesem Artikel dargestellt.
Redakteurin nimmt im Juli an Impfstudie teil
Gleichzeitig nimmt im Juni die Impfstoff-Forschung Fahrt auf. Und das mit SÜDKURIER-Beteiligung: Politikredakteurin Mirjam Moll nimmt an der Curevac-Studie in Tübingen teil und berichtet darüber. Ob sie immun ist, weiß sie übrigens bis heute nicht – erst im Sommer wird aufgeklärt, wer in der Placebo-Gruppe war und wer nicht.

Im Sommer ächzt nicht nur Sipplingen
Im Sommer wird das Leben in Deutschland wieder etwas leichter, auch Auslandsreisen sind möglich. Doch viele bleiben in der Region oder reisen aus anderen Teilen der Bundesrepublik an, zum Leidwesen einzelner Orte. Am Bodensee ist es stellenweise voll wie selten zuvor. Brennpunkt wird Sipplingen: Hier versucht man, die Horden mit Verboten aus dem Ort zu halten. Mit beschränktem Erfolg, wie sich zeigt.
Nachdem viele Kreise der Region im Sommer zeitweise fast gar keine aktiven Fälle mehr hatten, zeichnet sich ab August ab: Die Zahlen steigen wieder. Vor allem Urlaubsrückkehrer sind Infektionsträger. Hier wiederholt sich das Spiel aus dem Frühjahr: Statt Südtirol ist nun Kroatien ein offensichtlicher Hotspot, aber kein Risikogebiet. Der SÜDKURIER hakt nach, die Bundesbehörden mauern und erklären Teile des Landes dann kurz darauf doch zur gefährlichen Region.
Lucha sagt Mitte August: Kein zweiter Lockdown!
Im August graut es einigen Menschen deswegen schon wieder: Droht da am Ende noch ein zweiter Lockdown? Landes-Gesundheitsminister Manne Lucha beruhigt. „Einen Lockdown im großen Stil werden Sie ein zweites Mal nicht erleben“, versichert er am 15. August im Interview. Es werde künftig nur noch auf lokaler Ebene Lockdowns geben, sagt er zu.

Im Sommer rücken aber auch die Spätfolgen der ersten Corona-Welle in den Fokus. Viele Menschen, die eine schwere Covid-Erkrankung überstanden haben, leiden unter Langzeitschäden. Ein Behandlungszentrum hierfür ist die Espan-Klinik in Bad Dürrheim. Uns haben sechs dort betreute Patienten ihre bedrückenden Geschichten erzählt.
Anfang Oktober tummeln sich die Querdenker am Bodensee
Nichts von Langzeitschäden und Todesfällen wissen wollen derweil viele Querdenker. Sie suchen sich am 3. und 4. Oktober den Bodensee als Demonstrations-Bühne. Am 3. sollte eine Menschenkette um den See führen – was, wie Luftbilder zeigen, nicht gelang – am 4. wurde in Konstanz demonstriert. Bilanz: Weniger Teilnehmer als erwartet, weitgehend friedliche Proteste.

Doch ob es die Querdenker wahrhaben wollen oder nicht: Ab Oktober steigen die Infektionszahlen wieder sprunghaft an, am 2. November beginnen die Maßnahmen des sogenannten „Lockdown light“, der sich am 16. Dezember zum ganz harten Lockdown verfestigt. Zudem gelten seit 12. Dezember Ausgangssperren – Regeln über Regeln, die für viel Verwirrung sorgten. Ebenfalls für Irritationen sorgt gleichzeitig die Schweiz – mit einem sehr lockeren Umgang mit der Krise, der einen hohen Preis forderte, wie dieser Text von Anfang Dezember zeigt.
Nach dem durchgeregelten Weihnachten steht nun noch das außergewöhnliche stille Silvester an, die Regeln finden sich hier.
Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser, haben sich nach der Lektüre dieses Textes, nach Corona über Corona nun zur Entspannung eines verdient: Den garantiert coronafreien Jahresrückblick meines Kollegen Alexander Michel. Es kommen auch wieder bessere Zeiten!