Seit 1975 sind Gerlinde und Winfried Kretschmann verheiratet. Gemeinsam haben sie persönliche und politische Höhen und Tiefen überwunden. Nun will der baden-württembergische Ministerpräsident seiner Frau in den ganz schweren Tagen ihrer Krebserkrankung beistehen.
„Ich will für sie da sein, so gut es geht“, heißt es in der persönlichen Erklärung des Grünen-Regierungschefs, die am Freitag gegen Mittag ohne Vorankündigung auf die Internetseite der Stuttgarter Staatskanzlei gestellt wurde. Es gehe seiner Frau „den Umständen entsprechend, aber es kommen schwere Zeiten auf sie zu“, schreibt Kretschmann.
Es sieht wie ein Wink des Schicksals aus. Seit 2012 engagiert sich Gerlinde Kretschmann im Kampf gegen Brustkrebs. Seither ist die 73-Jährige Schirmherrin für das Mammografie-Screening-Programm in Baden-Württemberg. „Ich hoffe, dass ich dazu beitragen kann, dass noch mehr Frauen das Angebot annehmen“, erklärt sie bei der Übernahme des Ehrenamtes. Nun hat Gerlinde Kretschmann selbst Brustkrebs.
Lieber Oma als First Lady
Dabei hat Gerlinde Kretschmann das Rampenlicht nicht gesucht. Als First Lady will sie nicht tituliert werden, der Beiname Landesmutter ist ihr suspekt. „Ich bin einfach die Gerlinde Kretschmann“, stellt sie immer wieder klar. Und allemal ist sie lieber Oma. Für die Termine in Stuttgart reist die protokollarisch erste Frau des Landes am liebsten mit dem Zug an.

Als ihr Mann vor zehn Jahren Ministerpräsident wird, geht sie gerade als Grundschullehrerin in Pension. Offen und unverstellt tritt sie gemeinsam mit dem Regierungschef auf, wenn es sein muss.
Sie plaudert mit den englischen Royals in Heidelberg, ist bei seinen großen Auslandsreisen dabei. Ihre großgemusterten Roben sind fast Kult. Sie interessiert sich für die Menschen, lacht mit ihnen erfrischend. Wenn irgendwo gesungen wird, reiht sie sich gerne ein. Zu Hause singt sie im Kirchenchor.
Schwäbisch und bodenständig
Gerlinde und ihren Winfried verbindet viel. Beide gelten als bodenständig und authentisch. Die schwäbische Herkunft drängt in ihrer Sprache stärker durch als beim Regierungschef.
Drei Kinder haben sie zusammen. Sohn Johannes startet gerade seine eigene Karriere bei den Grünen, für die er in den Bundestag will. Tochter Irene, Lehrerin wie Vater und Mutter, lebt mit Familie in Schottland. Sohn Albrecht ist mit seiner Familie in der Nähe der Heimat geblieben.

Bis heute leben der Ministerpräsident und seine Frau im umgebauten Gasthaus ihrer Großeltern in Laiz, einem Stadtteil von Sigmaringen. Da ist genügend Platz für die Werkstatt des Hobby-Schreiners. Wenn es der Terminkalender möglich macht, übernachtet Kretschmann daheim.
Aber zum Anhängsel ihres Mannes lässt sich Gerlinde Kretschmann nie reduzieren. Mit Kindern und Schule ist sie nicht ausgelastet. Bis 2009 macht sie 15 Jahre Kommunalpolitik als Gemeinde- und Kreisrätin. Für die Grünen natürlich, die ihr Mann mitbegründet hat. Dort ist sie noch immer „die Gerlinde“.
Anti-Atomkraft und Frauenpolitik sind der Tochter des CDU-Ortsvorstehers wichtig. Lebenspraktisch wie sie ist, hat sie sich im Kommunalparlament aber um das Thema saubere Stadt gekümmert.
Sie macht ihr eigenes Ding
Gerlinde Kretschmann hat ihre Herkunft nie vergessen, den Aufstieg als Mädchen aus einer katholischen Familie vom Land. Als zweitältestes von acht Kindern macht sie 1966 das Abitur. Obwohl sie auf dem Feld anpacken muss. Schon da hat sie sich nicht verbiegen lassen.
Die PR-Leute in der Stuttgarter Regierungszentrale, die ihr 2011 das sichere Auftreten als Landesmutter in entsprechenden Kursen vermitteln wollen, lässt sie ins Leere laufen.

Sie macht einfach ihr eigenes Ding, auch da ihrem Mann nicht unähnlich. Manchmal wirkt sie dann sperrig, manche finden gar ein wenig schrullig. Beide verbindet die Leidenschaft zum Wandern.
Gerlinde macht es nichts aus, Touren alleine anzugehen, wenn der Ministerpräsident wieder einmal unabkömmlich ist. In ihrer burschikosen Art sagt sie sich dann, sie hätte ja auch einen Postler heiraten können. Der wäre um vier nachmittags zu Hause.

Dass es im Leben Wichtigeres gibt als Politik, das machten auch andere bereits klar:
Nach außen hält sich Gerlinde Kretschmann aus der Landespolitik raus. Aber Einfluss hat sie durchaus. Weggefährten berichtet, dass sie ihrem Winfried vor der Bewerbung um eine dritte Amtszeit als Ministerpräsident durchaus zugeredet hat.
Es ist unklar, wie lange die Familie schon vom Brustkrebs weiß. Seit ein paar Tagen hat der Regierungschef jedenfalls immer wieder Termine abgesagt. An diesem Freitag sollte er eigentlich an Diskussionsrunden der Spitzenkandidaten beim Handelsverband und beim Deutschen Gewerkschaftsbund teilnehmen.
Schon vor Tagen wurde beiden Veranstaltern mitgeteilt, Kretschmann sei verhindert und werde von Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz vertreten. Wie viele Termine im Wahlkampf er macht, ist offen.
Auch der Frühjahrskaffee, ein fester Termin im Kalender der Landesmutter, wird in diesem Jahr ausfallen. Da hat sie in lockerer Runde in der Fastenzeit Frauen aus Politik und Gesellschaften bewirtet. Für Gerlinde Kretschmann geht es jetzt erst einmal um ihre Gesundheit. Alles andere ist nicht wichtig.