Am 14. März wählt Baden-Württemberg einen neuen Landtag. Dann entscheidet sich, ob Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weiterregieren kann oder ob Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) ihn als Regierungschefin ablöst. Beide Parteien regieren seit fünf Jahren gemeinsam das Land.

„Wir haben uns nicht gesucht, aber gefunden“, sagte Landes-CDU-Chef Thomas Strobl bei der Unterzeichnung des grün-schwarzen Koalitionsvertrags am 9. Mai 2016. Fünf Jahre später sind längst nicht alle Pläne, die damals vereinbart und versprochen wurden, in die Realität umgesetzt. Eine Bilanz nach Themenfeldern:

Wahlrecht und Polizeireform

Als Komplementärkoalition beschreibt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) das von ihm geführte Bündnis gerne. Er meint damit, dass in einer Koalition jeder Partner politische Erfolge braucht. Manchmal funktioniert das auch umgekehrt nach dem Motto „Gibst Du mir mein Prestigeprojekt nicht, bekommst Du auch Deines nicht“.

Ein besonders schönes Beispiel dafür ist die Reform des Landtagswahlrechts, ein Herzensanliegen der Grünen, das am Widerstand der CDU-Landtagsabgeordneten scheitert.

Dafür bekamen die Christdemokraten den von ihnen sehnlichst herbeigewünschten Ausbau des Freiwilligen Polizeidienstes nicht, den die Grünen auslaufen lassen wollen. Beiden Vorhaben hat es nicht geholfen, dass sie schriftlich fixiert im Koalitionsvertrag stehen.

  • Fazit: Beide Vorhaben sind an den ideologischen Unterschieden zwischen Grünen und CDU gescheitert.

Schule und Bildung

Schon zu normalen Zeiten ist Schulpolitik hoch umstritten. Vollends vermintes Gelände ist der Bereich, seit die zuständige Ministerin Susanne Eisenmann Spitzenkandidatin der CDU und damit Kretschmanns Herausforderin ist. Unentschieden steht es zwischen beiden Partner bei den Schulreformen: Die CDU bekam die Stärkung der Realschule, die Grünen den Ausbau der Gemeinschaftsschulen mit Oberstufen.

In der Schule treten viele Probleme jetzt offen zutage: Hier ein Lehrer in Ravensburg, der per Laptop unterrichtet.
In der Schule treten viele Probleme jetzt offen zutage: Hier ein Lehrer in Ravensburg, der per Laptop unterrichtet. | Bild: Felix Kästle/dpa

Nicht eingelöst ist das Versprechen, den muttersprachlichen Unterricht für Schüler mit Migrationsunterricht auf eine neue Basis zu stellen. Da sind noch immer die Konsulate der Herkunftsländer zuständig – was im Fall der Türkei als besonders heikel gilt.

Gekippt ist in dieser Legislaturperiode die Lehrerversorgung. Besonders für die Grundschulen kann Eisenmann die versprochene „verlässliche Unterrichtsversorgung“ nicht gewährleisten, weil zu wenige Bewerber da sind. Allein zu Beginn des laufenden Schuljahres waren 645 Lehrerstellen nicht besetzt, im vorletzten Sommer waren es 790.

  • Fazit: Noch sehr viele Baustellen. Viele Ziele wurden nicht erreicht.

Haushalt und Finanzen

Besonders krass klaffen die Vorgaben von 2016 und die tatsächliche Entwicklung in der Finanzpolitik auseinander. „Die Koalition verpflichtet sich, strukturelle Einsparungen in Höhe von rund 1,8 Milliarden Euro in der Endstufe bis 2020 zu realisieren“, versprachen die Partner vollmundig. „Das ist nie geschehen“, sagt ein SPD-Sprecher knapp.

Dem Finanzministerium fielen vor allem zusätzliche Einnahmen ein, die als „strukturelle Einsparungen“ gegengerechnet wurden. Das Justizministerium kassiere höhere Gebühren, ausländische Studierende würden mehr zahlen und die landeseigenen Unternehmen hätten mehr Gewinn abgeliefert. Als dauerhafter Sparbeitrag gerechnet werden sogar die gesunkenen Zinsen für die 45 Milliarden Euro Schulden, obwohl die wieder steigen können.

Ansonsten soll ein „Vielzahl kleinerer Einsparungen“, etwa bei den Heizkosten in Landesgebäuden, den Milliardenbetrag zusammengebracht haben. Die Sparbemühungen sind längst erlahmt, weil die gute Konjunktur der Landesregierung so viel Geld in die Kasse spülte, dass sie jedes Jahr neue Rekordausgaben finanzieren und sogar 1,2 Milliarden Euro Schulden tilgen konnte. Die Unterhändler hatten sich das 2016 nicht träumen lassen.

  • Fazit: Von den Sparschwüren bleibt nur Lyrik.

Polizei und Sicherheit

Die 1500 neuen Stellen bei der Polizei sind ein zentrales Projekt der CDU. Zusätzliches Personal gibt es nach fünf Jahren nur im Verwaltungsbereich, nicht aber im Polizeivollzug. Denn die Anwärter sind noch in der Ausbildung: In den Revieren schieben heute 200 Beamte weniger als 2016 Dienst, weil mehr Pensionäre ausscheiden als Absolventen in den Vollzug kommen.

Die CDU setzte 1500 neue Stellen bei der Polizei durch – der Stellenaufbau braucht aber noch Zeit.
Die CDU setzte 1500 neue Stellen bei der Polizei durch – der Stellenaufbau braucht aber noch Zeit. | Bild: Andreas Rosar/dpa

Die Einstellungsoffensive wird sich spürbar erst 2022 auswirken. Der Personalmangel sorgt dafür, dass ein anderes Versprechen des Koalitionsvertrages zum Teil verfehlt wurde: Zunächst wächst der Überstundenberg der Polizei sogar. Lag der „Mehrarbeitsbestand“ nach Angaben des Ministeriums 2016 noch bei 1,3 Millionen Stunden, stieg er zunächst sogar auf 1,4 Millionen Stunden. Danach bekam Strobl zusätzliches Geld, um 200.000 Stunden per Sonderzahlung abzubauen. Für das letzte Jahr zeichnet sich laut Ministerium ebenfalls ein positiver Trend ab.

  • Bewertung: Formal hat die Koalition bei den Polizeistellen kein Versprechen gebrochen, hat aber auch nicht die Erwartungen mit dem Hinweis auf die vierjährige Ausbildung gebremst.

Digitalisierung

Schonungslos hat die Corona-Krise die Schwächen in der digitalen Infrastruktur offengelegt. Zwar konnte Strobl die Fördermittel für den Ausbau des schnellen Internets von 81 Millionen auf eine Milliarde Euro mehr als verzehnfachen. Von einem „rekordverdächtigen Erfolg“ spricht der zuständige Minister.

Doch wenn es um konkrete Anwendungen der Zukunftstechnologie geht, ruckelt es. Die Bildungsplattform „Ella“ scheitert sogar komplett. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) führt mitten in der Pandemie notgedrungen die Ersatzlösungen schrittweise ein. Beim Fernunterricht gibt es nun an den Schulen einen Flickenteppich unterschiedlicher Technologien.

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Auch die versprochene Modernisierung der Steuerverwaltung wirkte erst mit Verzögerung: Als im Frühjahr die Finanzbeamten ins Homeoffice wechselten, mussten sie in Wechselschichten arbeiten, da sichere Zugänge nur für jeden zweiten vorhanden waren. Erst im aktuellen Lockdown scheint das besser zu funktionieren.

Die FDP-Opposition weist auf einen Ländervergleich hin, wonach Baden-Württemberg 2019 bei den elektronischen Behördenkontakten um 54 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt und damit nur auf dem viertletzten Platz liegt. Im Koalitionsvertrag liest sich das so: „Baden-Württemberg machen wir bundesweit zum Vorreiter für E-Government und eine Verwaltung 4.0.“

  • Fazit: Ein Desaster.

Energiewende

„Preisgünstig, umweltfreundlich, sicher bei der Energiewende“ verspricht auf Seite 49 des Koalitionsvertrags sogar eine Überschrift eine Art magisches Dreieck. Preisgünstig ist der Strom in Baden-Württemberg ganz sicher nicht. Nach einer Aufstellung der Statistikbehörde zahlen Privathaushalte in Deutschland im Jahr 2019 mit 30 Cent je Kilowattstunde den höchsten Strompreis in Europa.

Dass das Land beim Industriestrom im Mittelfeld rangiert, wird die Verbraucher wenig trösten. Ein Sprecher von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) weist auf die „weltweit geringsten Stromausfallzeiten“ hin. Und Untersteller habe ja zuletzt erfolgreich dafür gekämpft, dass die Umlage für Erneuerbare Energien „zumindest stabilisiert wird“.

Wo bleiben die Windräder im Südwesten? Die ehrgeizigen Pläne der Grünen wurden schon lange aufgegeben.
Wo bleiben die Windräder im Südwesten? Die ehrgeizigen Pläne der Grünen wurden schon lange aufgegeben. | Bild: Charlie Riedel/dpa

Auch in Sachen Umweltfreundlichkeit kommt die Energiewende nicht so schnell voran, wie es sich die Grünen vorgenommen hatten. Schon 2011 hatten sie das Ziel formuliert, dass Windräder 2020 zehn Prozent des Stroms im Südwesten liefern. Genaue Zahlen liegen noch nicht vor, aber die Quote sei „sicher nicht geschafft“, räumt der Sprecher ein. Wobei man im aktuellen Koalitionsvertrag die Vorgabe nicht wiederholt hat.

Dagegen wurde beim Ausbau der Solarenergie das formulierte 50.000-Dächer-Programm weit übertroffen. Die Fotovoltaik-Pflicht für Nicht-Wohngebäude ist ein weiterer Erfolg, den die Grünen gerne hervorheben.

  • Fazit: Teurer als angekündigt. Manche Ziele erreicht, andere nicht.

Wohnen und Infrastruktur

Gut steht Grün-Schwarz auf den Feldern da, die mit Geld vorangebracht werden können. Das gilt nicht nur für den Breitbandausbau. Mehr als verdoppelt wurde unter CDU-Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. In der laufenden Fünf-Jahres-Periode summiert sich das auf 1,25 Milliarden Euro – nach 506 Millionen von 2012 bis 2016. Die Wohnungsnot hat das bisher aber kaum gelindert.

Die Grünen weisen darauf hin, dass ihr Minister Manfred Lucha den Krankenhausbau mit dem Rekordbetrag von 2,3 Milliarden Euro vorangebracht hat. Tatsächlich ist hier der Antragsstau kürzer geworden. Sogar der Etat für Kunst und Kultur konnte um 40 Prozent zulegen.

  • Fazit: Weitgehend erfolgreich.

Verkehr

„Wir wollen den Schienenpersonennahverkehr in seiner Qualität und Quantität … weiter verbessern“, heißt es im Koalitionsvertrag. Tatsächlich gibt es beim Übergang mehrerer Teilnetze an die privaten Bahnkonkurrenten zum Teil massive Probleme mit Zugausfällen und Verspätungen.

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Ein Lippenbekenntnis bleibt die angekündigte Verlagerung von Güterverkehr von der Straße auf Schiene und Wasserstraße. Außer Studien ist wenig zu finden. Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann glänzte mit Ideen zum Ausbau des Radverkehrs, auch in die Sanierung von Schienen und Straßen ist so viel Geld geflossen wie noch nie.

  • Fazit: Viele Lippenbekenntnisse.