Der Karsee, im Nationalpark Schwarzwald unweit des Besucherzentrums Ruhestein auf Baiersbronner Gemarkung gelegen, ist ein wildromantisches Idyll. Zu erreichen über einen steilen Pfad, über Wurzeln, Totholz, Felsen und Baumstämme hinweg. Das Gelände, das den See umschließt, ist abseits des Pfads undurchdringliches bewaldetes Absturzgelände. Oben, nahe dem Einstieg, steht Alexander Burghardt und schüttelt den Kopf. „Es ist mir ein Rätsel, wie man da hingeraten kann“, sagt er mit Blick auf das Dickicht tief unter ihm.

Burghardt, 25 Jahre alt, trägt die blaurote Jacke der Bergwacht Schwarzwald. Er ist Co-Vorsitzender der Ortsgruppe Baiersbronn-Obertal, die die Rettungswache am Ruhestein betreibt. Kürzlich war er hier bei einem anspruchsvollen Rettungseinsatz. Ein älteres Pärchen hatte beim Wandern den Pfad zum Wildsee verloren und sich den Hang entlang immer tiefer ins Steilgelände der Karhalde verstiegen, bis es nicht mehr vor- oder zurückging. Ausflügler am Wildsee hörten Hilferufe und setzten einen Notruf ab.
Erschöpft, aber unverletzt ging es mit dem Hubschrauber raus
Burghardt gehörte zu dem Bergwacht-Team, das vom Wildsee aus versuchte, zunächst per Rufkontakt die hilflosen Wanderer im Dickicht zu orten. „Es ist immer wieder so, dass die Menschen den Schwarzwald unterschätzen“, sagt er. Während ein anderes Team vom Wanderweg aus eine Abseilstelle zum vermuteten Standort 70 Meter unterhalb einrichtete, näherte er sich mit einem Kameraden von unten dem Pärchen. Die Wanderer wurden letztlich erschöpft, aber unverletzt per Winde durch einen Bergwacht-Luftretter vom Hubschrauber aus geborgen.

Ohne die Luftrettung wäre eine Rettung extrem schwierig geworden. Heute hat der Baiersbronner erneut Dienst an der Schwarzwaldhochstraße. Für die acht Frauen und Männer ist es ein ruhiger Sonntag, trotz vieler Wanderer und motorisierter Ausflügler. Burghardt nutzt die Zeit, um mit vier seiner Kameraden noch einmal oben am Wildsee den Einsatz kurz zu rekapitulieren.
Retter machen das in ihrer Freizeit, unbezahlt
Die Ortsgruppe Obertal der Bergwacht Schwarzwald ist mit rund 45 Aktiven die größte der sechs Bergwacht-Ortsgruppen im Bereich Schwarzwald Nord. Im Sommer sind die Männer und Frauen an allen Sonn- und Feiertagen vor Ort, alle vier bis sechs Wochen steht ein Dienst an. Im Winter, bei Schnee und Kälte, wenn Loipen und Skipisten bevölkert sind, ist die Wache das ganze Wochenende über besetzt.
Die Bergretter, zwischen 18 und weit über 60 Jahre alt, sind eine enge Gemeinschaft. Sie sind Freunde, Kameraden, Familie. Sie stehen auch unter der Woche bereit. Wenn sie ihren Arbeitsplatz für einen Einsatz verlassen, ist es unbezahlte Freizeit. Aber viele Arbeitgeber im Raum Baiersbronn unterstützen das Engagement ihrer Mitarbeiter.
Fest im Programm: gemeinsames Mittagessen
Bei einem Alarm koordiniert der Bereitschafts-Einsatzleiter für die Region Nord mit der Rettungsleitstelle das Geschehen und trommelt ein Team zusammen. Ob Tag oder Nacht. Hans-Jörg Faißt, 39, ist einer dieser Einsatzleiter und an diesem Sonntag wie auch seine Ehefrau Lea zum Dienst auf dem Ruhestein.

Ist wie gerade kein Einsatz, wird das Material gecheckt und werden Aufgaben erledigt, die während der Einsatzzeiten liegen bleiben. Burghardt füllt Protokolle aus über die Einsätze der vergangenen Tage: die Versorgung eines gestürzten Mountainbikefahrers oder eines Wanderers, der aus einem Trekking-Camp abtransportiert werden musste. Zum festen Programmpunkt gehört auch das gemeinsame Mittagessen.
Daneben ist Zeit, sich um die Ausbildung zu kümmern. Heute sind die 19-jährige Bergwacht-Anwärterin Leni Theurer und Einsatz-Anwärter Lukas Finkbeiner mit dabei. Leni absolviert derzeit ein freiwilliges soziales Jahr im Krankentransport und will danach Medizin studieren. „Das Retten ist schon mein Ding“, sagt sie, später will sie als Ärztin in der Notfallmedizin arbeiten. Und in der Freizeit für die Bergwacht.
An diesem Mittag geht sie ins Gelände und übt Abseiltechnik. Ihr stehen die Eignungstests für Bergwacht-Anwärter – eine Sommerprüfung, eine Winterprüfung – noch bevor. „Ich kann noch nicht gut genug Skifahren“, sagt sie. Erst danach darf sie die eigentliche Bergwacht-Ausbildung beginnen, die alle Anwärter durchlaufen müssen. Dazu gehören etwa Notfallmedizin, Orientierung im Gelände, Technik und Funkkommunikation, das sichere Bewegen im Gelände zu allen Tages- und Jahreszeiten sowie Sicherungs-, Rettungs- und Bergetechniken, aber auch Naturschutz.
Zwei bis drei Jahre dauert die Ausbildung
Bis zur Bergwacht-Prüfung kann es dann zwei bis drei Jahre dauern. Die Ausbildung wird von den Erfahrenen der eigenen Ortsgruppe übernommen. Aber auch die bilden sich ständig weiter.
So wie Dennis Bletscher, 25, inzwischen einer der Bergwacht-Jugendleiter in Obertal und selbst einst als Zehnjähriger zur Bergwacht-Jugend gestoßen. Er durchläuft derzeit die Ausbildung zum Luftretter. „Das ist anspruchsvoll, aber es macht schon auch richtig Spaß“, sagt er. Auch den „Baumretter“-Lehrgang hat er absolviert. Im Nordschwarzwald gehört die Rettung von havarierten Gleitschirmfliegern, die sich mit ihrem Fluggerät in den hohen Bäumen verhängen, zum üblichen Einsatzspektrum der Bergwacht.
Kein Nachwuchsmangel – im Gegenteil
An Interessenten für die Ausbildung mangelt es nicht. Outdoor-Aktivitäten boomen, und die Verbindung aus sinnvoller Tätigkeit und dem Erlernen spannender Fähigkeiten in der Natur sowie der bei der Bergwacht gepflegten Kameradschaft über alle Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg üben auf viele junge Menschen offenbar eine starke Anziehungskraft aus.
„Wir sind meines Wissens die einzige Organisation im Rettungsbereich, die keine Nachwuchssorgen hat. In manchen Ortsgruppen gibt es sogar Wartelisten“, sagt Adrian Probst, 36, Vorsitzender der Bergwacht Schwarzwald. „Aber manche unterliegen da einem Missverständnis. Das ist nichts, was man nebenbei als Hobby so aus der Hüfte machen kann. Man muss technisch, konditionell und körperlich geeignet sein. Und bereit sein, viel Zeit zu investieren.“
Ein Hilferuf 2016 hat vieles verändert
Probst, im Hauptberuf Bürgermeister von St. Blasien (Landkreis Waldshut), wurde landesweit bekannt, als er 2016 den SWR für eine dreiteilige TV-Dokumentationsserie „Die Retter vom Feldberg“ zur Bergwacht holte, um auf die dramatisch schlechte Finanzsituation und Ausstattung hinzuweisen. Damals mussten die Ehrenamtler noch ihre Ausrüstung, den Betrieb und Unterhalt der Rettungswachen oder die Fahrzeuge größtenteils selbst oder über Spenden finanzieren.
Der Fernseh-Hilferuf erzielte breite Wirkung. Politik und Bevölkerung wurden für die Nöte der Bergretter sensibilisiert. Seitdem hat sich vieles positiv verändert. Das Land Baden-Württemberg stellt der Bergwacht im Land, die sich in die Bergwacht Schwarzwald sowie die unter dem Dach des Roten Kreuzes angesiedelte Bergwacht-Landesverband Württemberg unterteilt, mittlerweile feste jährliche Budgets für Rettungswachen und Fahrzeuge sowie technische Ausstattung zur Verfügung. Sondereinsatzfahrzeuge wie die pisten- und tiefschneetauglichen ATVs für den Winterbetrieb im Gelände werden finanziert. Auch die Abrechnungspauschale der Krankenkassen pro Einsatz wurde von 500 auf aktuell 2500 Euro erhöht.
Zudem unterstützen viele Schwarzwald-Kommunen ihre Bergwacht logistisch, und auch die Zusammenarbeit mit den Rettungsleitstellen im Land ist eng und vertrauensvoll. „Da ist eine gute Basis erreicht, damit können wir arbeiten“, sagt Probst, der sich im Herbst erneut zur Wahl als Bergwacht-Vorsitzender stellen will, „aber wir dürfen nicht stehen bleiben, die Aufgaben werden nicht weniger.“ Die Einsatzzahlen der Bergwacht, so Probst, steigen beständig.
Und die Zielgruppe wird immer älter. „Heute haben wir über 80-Jährige, die unterwegs sind und auch mal einen medizinischen Notfall auf dem Wanderweg erleiden. Früher saß diese Generation zu Hause“, sagt Probst. Veränderungen, auf die die Bergwacht sich einstellen muss.

Für das Team am Ruhestein bleibt es an diesem Sonntag bis zum Abend ruhig. Während weiter im Süden die Kameraden der Ortsgruppen Waldkirch und Furtwangen in einer dramatischen mehrstündigen Aktion eine bei den Zweribach-Wasserfällen abgestürzte Wanderin aus steilem Gelände bergen müssen, bleibt die Lage am Ruhestein entspannt. „Ein guter Tag ist, wenn niemandem hier etwas passiert ist“, sagt Faißt. „Und wenn wir abends mit einem Lächeln im Gesicht heimgehen.“