Es gab keinen Kampf, keine Gegenwehr, heißt es in der Anklage. Der Anlass ist bis heute: unbekannt. Fest steht nur: Mitte April starb in der Obertorstraße ein 50-Jähriger an vier Messerstichen in den Rücken, zugefügt mit einem Küchenmesser. Der Mann soll auf dem Bauch auf dem Sofa seiner Ex-Freundin gelegen haben, als es geschah. Doch wie die Situation so eskalierte: unklar. Die Tat liegt fast auf den Tag genau sechs Monate zurück, als am Dienstag vor dem Landgericht Konstanz der Prozess gegen eine 45-Jährige wegen heimtückischen Mordes beginnt.

Seit Jahrzehnten süchtig

Die Frau schweigt nicht. Sie zeigt Reue – und räumt die Tat ein. Aber der Kammer um Richter Arno Hornstein kann sie nur Bruchstücke aus ihrer Erinnerung anbieten. Was sie getan haben soll, hat sie in der Ermittlungsakte nachgelesen. Genau zu rekonstruieren, was zwischen dem 16. und 18. April 2024 in dem Boarding-House passiert ist, wird eine Herausforderung. Die Protagonisten dieses Falls stammen alle aus dem Drogenmilieu.

Die 45-Jährige sitzt an diesem Dienstag mit einer leuchtenden, pinken Daunenjacke im Saal, spricht und wischt sich immer wieder Tränen weg. Sie habe nicht wahrhaben wollen, dass ihr Ex-Partner tot sei, sagt sie. Sie soll noch mit dem Mann geredet haben, als dieser nach den Stichen um sein Leben kämpfte. Er habe mit dem Kopf noch in ihrem Schoß gelegen. „Jetzt ist es passiert“, soll sie einem Freund am Telefon kurz nach der Tat gesagt haben.

Der 50-Jährige hinterlässt zwei Kinder und eine große Familie. Seine frühere Lebensgefährtin tritt als Nebenklägerin in dem Prozess auf.

Seit Jahrzehnten sei sie süchtig, das fing schon mit 12 oder 13 im Heim an. Sie habe so ziemlich alles genommen – im April waren es Opioide, Wodka oder Jägermeister, und auch zwei, drei Mal Heroin konsumierte sie pro Woche. Cannabis habe sie geraucht wie Zigaretten. Bis heute nehme sie Ersatzstoffe. Nüchtern sei sie in dieser Zeit fast nie gewesen. Das geht schon lange so. Drogenfrei sei sie nur während der vier Therapien und ihrer Schwangerschaft gewesen. Auch am 16. April wollte sie sich „zuzumachen“. Sie nahm Tabletten und trank, erinnern kann sie sich an kaum etwas.

Erst Kneipe, dann Anruf

Zwei Tage später, in der Nacht vom Mittwoch auf Donnerstag, kam die Polizei zum Boarding-Haus. Es war kurz nach Mitternacht, als die Polizei schon im Treppenhaus Blutspuren an den Wänden vorfand, und in der Dachgeschosswohnung die Frau, zwei Männer und einen Toten unter einer Decke fand. Ebenso wie die Tatwaffe und eine Quittung von McDonalds, die erst ein paar Stunden alt war. Auch die Angeklagte betätigte das vor Gericht: Man sei zusammengesessen und irgendwann zu McDonalds gegangen, um sich etwas zu essen, zu holen, sagte die Angeklagte.

Ein früherer Arbeitskollege hatte die Polizei verständigt, wie er vor Gericht schildert. Dem heutigen Rentner habe die Frau in einem Café in Radolfzell noch am Mittwochnachmittag berichtet, sie habe „den erstochen“. Er habe gewusst, dass es nur der 50-Jährige, sein Nachbar in der Obdachlosenunterkunft, sein könne. Ihr neuer Freund habe sie ja zum Treffen begleitet. Das musste der Mann erstmal in seiner Stammkneipe verarbeiten, erzählt er, ehe er den entscheidenden Anruf tätigte.

Was geschah Mitte April dieses Jahres in der Wohnung der Frau?
Was geschah Mitte April dieses Jahres in der Wohnung der Frau? | Bild: Durain

Den Kriminalbeamten fiel noch in der Nacht auf, dass bei dem Toten bereits die Leichenstarre eingesetzt habe. Er musste schon länger tot sein. Die Frau, ihr damaliger Freund und ein weiterer Bekannter wurden festgenommen.

„Ich will doch gar nicht mehr leben ohne dich.“

Die 45-Jährige soll laut Anklage mehrere Monate vor der Tat mehrere, wechselhafte Beziehungen geführt haben. Immer wieder gab es Gewalt und Drohungen, ebenso wie Polizeieinsätze an ihrer Wohnung. Nur kurz vor der Tat soll sich das Paar öffentlich gestritten haben. Die 45-Jährige soll ein Messer in der Hand gehabt haben, als der 50-Jährige sie aufforderte: „Stich doch zu! Ich will doch gar nicht mehr leben ohne dich.“

Vor Gericht schildert die Frau, dass der Mann mit ihr nach Berlin gehen wollte, um dort zu leben und von Einbrüchen und Diebstählen zu leben. Er habe gedroht, alles bei ihr zu zerstören, damit sie mitkomme. Die Beziehung dauerte nur wenige Monate. Sie habe ihn im Oktober 2023 kennengelernt, im Februar sei es wieder vorbei gewesen. In dieser Zeit habe sie auch mit Heroin angefangen und später ihren Job als Putz- und Servicekraft verloren. Immer wenn sie konsumiert haben, hätte es Streit gegeben. Nach dem Schluss war, habe das spätere Opfer sie immer wieder gestalked. Es sei der pure Terror gewesen.

Hätte man den 50-Jährigen retten können?

„Man hätte ihm noch helfen können, die wollten das nicht“, soll die Frau auf der Fahrt von Radolfzell nach Singen im Polizeiauto gesagt haben, berichtet der Fahrer. Seither sitzt die 45-Jährige in Untersuchungshaft, die zwei Männer wurden frei gelassen.

Für den Prozess sind vier weitere Verhandlungstermine angesetzt worden. Ein Urteil könnte Mitte November fallen.