Es läuft fast immer gleich ab. Der Täter kommt kurz vor Ladenschluss, richtet eine schwarze Waffe auf den Mitarbeiter und zwingt ihn das Geld rauszurücken. Wer zögert, wird geschlagen.
Der Mann ist wohl zwischen 30 und 40 Jahre alt, 1,80 Meter groß und trägt immer Mütze, Handschuhe, schwarze Jacke. Einmal einen knallroten Mund-Nasenschutz. Von den Konstanzer Tatorten flieht er immer auf dem Fahrrad. Deshalb wird die eingesetzte Ermittlungsgruppe der Kriminalpolizei Rottweil „Velo“ genannt.
Ganze fünf Mal schlägt er zwischen dem 8. Mai und 24. Juni zu. Drei Discounter, ein Supermarkt und ein Imbiss in Konstanz sind betroffen. Und dennoch tappt die Polizei im Dunkeln. Mittlerweile gehen sie von einem Serientäter aus, der allein plant, vollzieht, flüchtet.
Herrin der Untersuchung ist die Staatsanwaltschaft Konstanz. Pressesprecher Johannes-Georg Roth kann zum Stand der Ermittlungen nichts sagen – genau wie die Polizei. Nur so viel: „Sie können uns glauben: Wir ermitteln in alle Richtungen und unternehmen viel“, sagt Polizeisprecherin Tatjana Deggelmann. „Aber aus taktischen Gründen wollen wir weitere Ermittlungsergebnisse nicht bekannt geben“, bittet sie die Öffentlichkeit um Verständnis.
Die Fälle im Überblick
Doch eine Frage stellen sich viele, die von den Raubüberfällen aus der Zeitung erfuhren: Warum fahndet die Polizei nicht mit Bildern nach dem Täter?
„Die Aufnahmen sind sehr schlecht“
Die Antwort der Polizei Konstanz klingt so plausibel wie ernüchternd: „Die Aufnahmen, die wir aus dem Lebensmittelbereich bekommen, sind in der Regel sehr schlecht“, sagt Polizeisprecher Herbert Storz. Die Videoaufnahmen an die Öffentlichkeit zu bringen, führe häufig zu nichts, weil man den Täter kaum erkennt.
Warum die Qualität zu wünschen übrig lässt? Sicherheitskameras werden zwar von Versicherungen vorgeschrieben. Wie hochwertig sie sein müssen, ist aber nicht festgelegt. Lebensmittelgeschäfte sind Wirtschaftsunternehmen. Bei einem Raub scheint es für sie in erster Linie wichtig zu sein, dass die Versicherung greift. Ob der Täter gefasst wird, spielt wohl eine untergeordnete Rolle. Das ist zumindest von erfahrenen Ermittlern zu hören. Es gilt eine simple Regel: Je kostspieliger die Waren, desto höher die Sicherheitsstandards.
Die betroffenen Läden halten sich bedeckt, wie zum Beispiel Netto: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir sensible Informationen wie unsere Sicherheitsmaßnahmen oder weitere Details zu dem Vorfall grundsätzlich nicht kommunizieren, um Nachahmeffekte zu vermeiden“, antwortet Christina Stylianou, Leiterin Unternehmenskommunikation von Netto, auf Anfrage.
Landeskriminalamt prüft Videoaufzeichnungen
Doch nicht nur wegen der minderwertigen Bildqualität, kann die Öffentlichkeit bei der Suche nach dem Täter noch nicht helfen. „Es gibt andere Wege, die man vorerst ausprobiert“, so Polizeisprecher Storz. Was er meint? Experten des Landeskriminalamts (LKA) werten mit ihrer modernen Technik die Aufnahmen aus und können dadurch Details wie die Größe des Täters genau bestimmen.
Abgleich in der Datenbank
In ihrer Datenbank gleichen sie die Werte mit anderen Aufnahmen ab. Falls der Täter schon einmal erkennungsdienstlich erfasst wurde, wie es so schön heißt, landen Ermittler auf diese Weise einen Treffer. Doch die Auswertung ist aufwendig. Nicht selten gehen Monate ins Land, bis Ergebnisse vorliegen.
Nur weil die Bilder bisher nicht an die Presse weitergegeben wurden, heißt das nicht, dass sie niemals öffentlich werden könnten. „Das läuft uns nicht davon“, umschriebt es Herbert Storz. Zuvor müsste die Polizei bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag einreichen. Wenn die Staatsanwaltschaft zustimmt, geht er an den zuständigen Amtsrichter.
Was ist wichtiger: Persönlichkeitsschutz oder Ermittlungsdruck?
Der wägt ab, ob es in diesem konkreten Einzelfall gerechtfertigt ist, das Bild zu veröffentlichen. Der Persönlichkeitsschutz des Täters steht dem Ermittlungsbedürfnis gegenüber. Die Veröffentlichung ist das letzte Mittel.
Ähnlich aufwendig gestaltet sich der bürokratische Akt bei der Funkzellenauswertung. Eigentlich eine bedeutsame Spur. Sollte der „Velo-Räuber“ sein Handy bei den Taten dabei gehabt haben, loggt es sich automatisch in den nächstgelegenen Funkmast ein. Die Polizei gleicht ab, welche Telefonnummern zur Tatzeit am jeweiligen Funkmast eingetragen waren. Bei fünf ausgeraubten Läden ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich Muster erkennen lassen.
Datenschutz macht Ermittlungen kompliziert
Doch es gibt ein Problem: Weil die Daten der Funkzellen zügig automatisch gelöscht werden, arbeiten die Sicherheitsbeamten gegen die Zeit. Stichwort: Vorratsdatenspeicherung. Und ob der Antrag überhaupt bewilligt wird, ist nicht einmal klar.
Deshalb fokussiert man sich bei den Ermittlungen gerne auf Textilfasern, Fußabdrücke, Haare, Hautabschürfungen, die der Täter möglicherweise hinterlassen hat. Im Fachjargon sind das objektive Tatbestandsmerkmale. Diese Spuren wertet das LKA aus.
Bis Experten in Stuttgart die Sisyphusarbeit abgeschlossen haben, kümmert man sich um subjektive Tatbestände vor Ort, wie etwa Zeugenaussagen. Wer hat etwas Auffälliges bemerkt? Gibt es Muster, die ein immer gleiches Vorgehen bestätigen und einen einzigen Täter vermuten lassen? Oder: Gibt es sogar Hinweise, dass der Täter Insiderwissen nutzte?
Räuber bekommen häufig Hintergrundinformationen
Bei Raubüberfällen kommt das Ermittlern zufolge häufiger vor. Bedeutet: Mitarbeiter des zu überfallenen Geschäfts stehen mit dem Täter in Kontakt und stecken dem Verbrecher Informationen, die er mit eigenen Beobachtungen nie herausfinden könnte.
Beispielsweise, an welchem Tag die Läden das eingenommene Bargeld zur Bank bringen. Ein Indiz für diese Theorie wäre es, wenn der Täter immer kurz vor diesem Tag den Raub begeht. Denn dann gibt es am meisten Bargeld zu holen. Der Ladenmitarbeiter bekommt im Gegenzug einen Teil der Beute. Ob das auf die Taten des „Velo-Räubers“ zutrifft, ist völlig unklar.
Fakt ist aber: Mitarbeiter der Supermarkt-Ketten vor Ort dürfen in der Öffentlichkeit nicht sprechen. Die Unternehmensführung will das nicht. Viele bestätigen das hinter vorgehaltener Hand dem SÜDKURIER. Wer trotzdem in die Öffentlichkeit geht, riskiert eine fristlose Kündigung.
Mitarbeiter sprechen trotzdem anonym
Zwei Mitarbeiter von Konstanzer Supermärkten haben trotzdem gesprochen – unter der Voraussetzung, dass sie namentlich nicht genannt werden. „Man kann sich auf solche Situationen nicht vorbereiten“, sagt einer der beiden im Gespräch mit der Redaktion. „Wenn du plötzlich eine Pistole vor dem Gesicht hast, ist das ein Ausnahmezustand. Darauf kann man sich nicht einstellen. Das ist der Alptraum.“