Stundenlang wurde er festgehalten, immer wieder geschlagen – und noch ausgelacht. Antonio T. wurde an einen Stuhl gefesselt, sollte um sein Leben fürchten. Sein Peiniger, Enrico B. (alle Namen geändert), den er für seinen Freund hielt, schlug immer wieder auf ihn ein.

Vier andere Männer sahen dabei wohl nur zu und hätten erst eingegriffen, als Enrico B. eine Schreckschusswaffe in den Mund seines Opfers steckte und drohte, ihm in den „Hals zu ballern“, sollte er nicht endlich alles zugeben. Der Schuss aber wäre wohl zu laut, sagten die anderen Männer. Und der Peiniger löste später die Fesseln am Stuhl einer Ferienwohnung in Stühlingen. Ein Geständnis hörte er nicht.

Prozess beginnt fast zwei Jahre nach der Tat

Dieses Martyrium schildert an diesem Dienstag Antonio T. vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen. Der junge Mann aus Singen begegnet hier das erste Mal seinem 29 Jahre alten Peiniger wieder. Am Vortag hatte dieser bereits gestanden, was an jenem Dienstag, 7. März 2023, alles tat. Verteidiger Björn Bilidt erklärte, sein Mandant wolle nichts beschönigen, er räume die Vorwürfe vollumfänglich ein.

Das Motiv: Eifersucht. Enrico B. war laut Anklage überzeugt, sein Geschäftspartner, der für ihn Prostituierte zu Terminen in die Schweiz und zurück nach Stühlingen brachte, habe ein Verhältnis mit seiner Freundin.

Enrico B. koordinierte die Treffen

Der schlanke 22-Jährige sitzt in Daunenjacke und mit verschränkten Armen vor Richter Martin Hauser und erzählt, wie er den Angeklagten ein Jahr vorher über eine Freundin in Singen kennengelernt hatte. Die Beziehung der beiden Männer? „Es war geschäftlich und privat.“ – Richter Hauser: „Was war das Geschäftliche?“ Antonio T.: „Prostituierte so gesehen. Also Escort.“ Er sei der Fahrer gewesen, an etwa drei Tagen im Monat. Etwa ein Dutzend Mal habe er das gemacht.

Ein 29-Jähriger soll von Stühlingen aus einen Escortbetrieb geleitet und im Drogenrausch einen seiner Fahrer misshandelt haben. Über ...
Ein 29-Jähriger soll von Stühlingen aus einen Escortbetrieb geleitet und im Drogenrausch einen seiner Fahrer misshandelt haben. Über seine Rechtsanwälte Björn Bilidt (rechts) und Jule Kärcher (links) gab er ein vollumfängliches Geständnis ab. | Bild: Durain

Für die Fahrten sei er am Umsatz beteiligt worden, je nachdem, wie viele Termine der Angeklagte für die Frauen ausmachen konnte. Dieser habe Profile der Frauen auf einer bekannten Schweizer Online-Plattform angelegt und dafür gesorgt, dass seine Frauen immer ganz oben auf der Seite standen. Er habe auch mit den Kunden gechattet.

Antonio T. fuhr zu einer Ferienwohnung in Stühlingen, wo sein Auftraggeber unter falschem Namen lebte. Dort warteten die Frauen bereits. Er fuhr sie in die Schweiz, wartete bis das Treffen vorbei war, fuhr sie zum nächsten Treffpunkt oder zurück an den Hochrhein. Hier wurde das Geld verteilt.

Verschiedene Frauen, vermutlich aus Bulgarien und Ungarn, berichtet der Fahrer, hätten für wenige Tage auch beim Angeklagten am Hochrhein übernachtet. Die Frauen, die er gefahren hatte, hätten das freiwillig gemacht. Sein Auftraggeber habe da wohl Kontakte zu einem Puff in Zürich, erzählte der T. der Polizei damals.

„Das war schon scheiße“

Vor Gericht geht es nicht um illegale Prostitution, sondern um eine Geiselnahme, Bedrohung und Gewalt. Als Antonio T. am Abend des 7. März 2023 in der Wohnung Hochrhein eintraf, hätten ihn bereits mehrere Männer in der Wohnung erwartet. Ihm sei versichert worden, er komme hier nicht mehr lebend raus, wenn er die Affäre mit der Freundin des Angeklagten nicht zugebe. Aber der Singener beteuerte seine Unschuld.

Auch dann, als er viele Male geschlagen wurde und eine Ecke seines Schneidezahns abbrach. Nicht als sein Pullover zerschnitten wurde, und man ihm die angebliche Säure zeigte, mit der man ihn verätzen wolle. Und auch nicht, als der Peiniger die Freundin des Mannes anrief, der hier malträtiert wurde. Auch sie glaubte ihm nicht, dass er keine Affäre habe. „Das war schon scheiße“, sagt der Geschädigte heute vor Gericht – und bringt damit alle im Saal kurz zum Schmunzeln.

Man merkt, dass diese Nacht Antonio T. beschäftigt. Er sagt, man trage das Erlebte halt so mit sich. Dennoch spricht er unbeschwert und ohne Belastungseifer am Dienstag vor Richter Hauser. So wie in jener Nacht habe er den Angeklagten zuvor noch nicht erlebt.

Polizei warnte Enrico B.

B. löste um 2 Uhr nachts die Fesseln seines Geschäftspartners und ließ ihn schließlich frei. Dieser fuhr am 8. März 2023 in die Schweiz, wo ein Drogentest positiv ausfiel. Er vermutet, dass das Kokain von den Händen seines Peinigers an seine Schleimhäute gelangte. Nach einem Bluttest in Schaffhausen vernahmen zwei Kripobeamte aus Singen den Geschädigten. Sie gaben den Fall wieder an die Polizei in Wutöschingen.

Einen Tag später alarmierte die Mutter des Opfers die Polizei in Konstanz, die wiederum nicht wusste, dass die Kollegen des Präsidiums Freiburg ermitteln. Die Mutter sagte, ihr Sohn sei mit einem Messer losgezogen, um seine persönlichen Gegenstände aus der Wohnung zu holen, und es könnte zu einer bedrohlichen Situation kommen.

Die Polizei warnte daraufhin Enrico B., er solle lieber untertauchen. Und so wurde er erst wenige Wochen nach dem Vorfall in der Ferienwohnung in der Schweiz festgenommen. Da er hier noch eine Strafe zu verbüßen hatte, wurde er erst im Juli 2024 ausgeliefert.

„Es gibt immer ein Danach“

In Waldshut-Tiengen entschuldigte sich B. nun seinem Opfer. Er könne nicht rückgängig machen, was passiert sei. Er habe mit seinem damaligen Leben abgeschlossen. Inzwischen hat sich der Angeklagte um einen Täter-Opfer-Ausgleich bemüht und dem Geschädigten auch schon 4000 Euro überwiesen.

Der Geschädigte sagt heute, wichtiger als Geld sei ihm ein klärendes Gespräch. Er wolle es verstehen, und es verarbeiten. „Was passiert ist, ist passiert. Vielleicht hilft es ihm, vielleicht hilft es mir, sich da mal auszusprechen. Man weiß ja nie. Es gibt immer ein Danach.“

Er wolle ihn nicht fertig machen, der Angeklagte habe genug „Scheiße am Hals“. Er wolle nur, dass seine Kosten von 6500 Euro gezahlt werden, die er auslegen musste, um den Schweizer Behörden nachzuweisen, dass er wieder in der Schweiz Auto fahren darf. Das Urteil soll nächste Woche fallen.