
Es ist viertel vor sechs am Morgen, als Urs Riebel gemeinsam mit seinem Vater Stefan das Motorboot langsam in den See schiebt. Viele Worte wechseln die beiden nicht: Vater und Sohn sind ein eingespieltes Team. Sie machen sich von der Insel Reichenau auf den Weg zur Schweizer Seite des Untersees. Noch liegt der See komplett dunkel vor ihnen. Nur die Lichter der Schweizer Dörfer Ermatingen und Salenstein sind in der Ferne zu erkennen, als das Boot an einer Gruppe Schwäne vorbeigleitet.

„Die Ruhe, die man am Morgen hat, ist ein schöner Ausgleich“, sagt Urs Riebel. „Auf dem See sind es zwei Stunden lang nur mein Vater und ich.“
„Als Fischer auf dem Bodensee darf man kein Problem damit haben, früh aufzustehen“
Urs Riebel ist 35 Jahre alt und seit 16 Jahren im elterlichen Betrieb tätig. Familie Riebel betreibt auf der Insel Reichenau eine Fischhandlung mit eigener Räucherei und ein Bistro. Dort verkaufen sie den gefangenen Fisch. Außerdem bieten sie unter anderem Saibling aus Pfullendorf oder Lachs aus Dänemark an. Schon Urs Riebels Großvater war Fischer.
Als Kind ist er zwar häufig mit Vater und Großvater auf den See gefahren, Fischer wollte er aber nicht werden. „Ich wollte eigentlich was mit Sport machen“, sagt Urs Riebel. Als sein Vater 2007 das Bistro „Bei Riebels“ eröffnete, entschied sich Urs Riebel dazu, in den Betrieb einzusteigen. „Durch die Gastronomie gibt es einfach etwas mehr Perspektive.“
Auf dem Untersee sind Riebel und sein Vater mit dem Motorboot an der Stelle angekommen, an der sie heute Morgen ihre Netze herunterlassen. Später, wenn sie auf dem Rückweg sind, wollen die beiden Fischer damit Barsch fangen.
Dann fahren sie ein Stück weiter zu der Stelle, an der sie am Abend zuvor ihre Felchennetze ausgeworfen haben. Rote Bojen zeigen an, wo die Netze liegen. Zur besseren Orientierung haben Vater und Sohn außerdem ein GPS-Gerät an Bord. Stefan Riebel kennt sich trotz der Dunkelheit aber sowieso bestens auf dem See aus. „Die Karten sind im Kopf“, sagt er und lacht. „Das hat über Jahrhunderte geklappt.“
Während Urs Riebel das Boot langsam am Netz entlang steuert, zieht Stefan Riebel das Netz langsam nach oben. Einige Felchen sind darin hängen geblieben. Sie werden jetzt aus dem Netz befreit und in eine Kiste gelegt.
Über dem See geht jetzt die Sonne auf, es wird heller. Kalt ist es an diesem Morgen nicht. Doch auf dem Boot ist es nass und windig. „Als Fischer darf man kein Problem damit haben, früh aufzustehen, zu frieren oder nass zu werden“, sagt Urs Riebel. „Wem Geld wichtig ist, der ist falsch im Beruf.“
Denn man müsse damit klarkommen, dass man auch mal nicht so viel fische. In dem Felchennetz, das Urs Riebel mit seinem Vater hereinholt, ist die Ausbeute ebenfalls nicht sehr groß. „Das war jetzt ziemlich wenig“, kommentiert Vater Stefan das Ergebnis.
Die Fischerei lohnt sich kaum noch für die Fischer am Bodensee. Das weiß auch Elke Dilger. Sie ist Vorsitzende des Verbands Badischer Berufsfischer am Bodensee. „Die Fänge sind so rückläufig, dass die Kosten nicht mehr gedeckt werden. Alle brauchen einen Nebenerwerb“, sagt sie.
Nachwuchs gibt es in diesem Beruf nicht
65 Fischer haben noch ein Patent, aber viele haben schon aufgehört. Nachwuchs kommt nicht hinterher, sagt Elke Dilger: „Fast alle Fischer sind 55 Jahre alt und älter. Wenn diese Fischer in zehn Jahren in Rente gehen, gibt es fast keine mehr am ganzen Bodensee.“ Auch Familie Riebel fängt deutlich weniger Fische als noch vor 15 oder 20 Jahren. „Früher hat man 100, manchmal 200 Kilo Felchen an einem Tag gefangen. Heute sind es gerade einmal 20 Kilogramm“, sagt Urs Riebel.
Dabei haben die Fischer im Untersee noch Glück. Im Obersee gilt seit Anfang des Jahres ein Fangverbot für den Felchen, damit sich der Bestand erholen kann. Den beliebten Bodenseefisch gibt es fast gar nicht mehr. „Die Gäste müssen umdenken“, sagt Urs Riebel. „Es gibt nicht nur Felchen im See, sondern auch Barsch, Hecht, Schleie oder Rotauge.“
Anderthalb Stunden dauert es, bis Urs Riebel und sein Vater die zehn Felchennetze eingeholt haben. Dann fahren sie zurück zu dem Ort, an dem sie noch im Dunkeln ihre Netze ausgeworfen haben. Dort holen die beiden Barsche aus dem Wasser, auch ein paar Rotaugen sind dabei.
Gegen acht Uhr fahren Urs und Stefan Riebel zurück auf die Reichenau. Dort wird Stefan Riebel die Netze säubern und für den nächsten Fang vorbereiten. Urs Riebel wird sich um die Verarbeitung der Fische für das Bistro und den Verkauf kümmern.
20 Kilogramm Felchen hat Familie Riebel heute gefischt, hinzu kommen etwa 16 Kilo Barsch. „Das reicht für einen Tag“, sagt Urs Riebel. Wie lange sich die Fischerei für die beiden noch lohnen wird, weiß er nicht.
Wird es in zehn Jahren noch selbst gefangenen Fisch von Familie Riebel geben? „So weit will ich nicht in die Zukunft schauen“, sagt Urs Riebel. „Wenn mein Vater irgendwann nicht mehr kann, wird es schwierig.“ Es könnte auch sein, dass er dann schlicht nichts mehr fangen wird. „Auf den See fahren für zwei Kilogramm Fisch und dafür sechs Stunden beschäftigt sein, das lohnt sich nicht.“
Trotzdem macht Urs Riebel erst einmal weiter. Er spürt eine Verantwortung, sagt er. Denn seine Eltern haben den Familienbetrieb aufgebaut. Und der Beruf macht ihm Spaß.
Dass es irgendwann einmal keine Fischer am See mehr geben könnte, ist ein realistisches Szenario. Solange will Familie Riebel aber erst einmal weiter jeden Morgen auf den See hinausfahren.