Ioannis Panagiotidis wirbelt mit den Händen durch die Luft. Er ist aufgewühlt, kann die Forderung der Ordnungshüter nicht nachvollziehen. „Wir halten uns hier genau an die Corona-Vorschriften“, sagt er. „Und trotzdem muss ich diese vier Tische räumen? Das verstehe ich nicht.“ In Überlingen, nur wenige Kilometer entfernt, sei die Kommune auf die Wirte in der Krise zugekommen. Dort dürfen seine Kollegen den Außenbereich an der Promenade erweitern – ohne Zuzahlung.

Ioannis Panagiotidis im Gespräch mit den Ordnungshütern.
Ioannis Panagiotidis im Gespräch mit den Ordnungshütern. | Bild: Sebastian Küster

Stefanie Gerstner vom Gemeindevollzug zuckt da nur mit den Schultern. Sie kann Panagiotidis zwar verstehen, aber ihr sind die Hände gebunden. Auflagen sind Auflagen – ohne Ausnahme. Sie gewährt dem großen, breiten Mann mit freundlichen Augen und Vollbart einen Tag Galgenfrist. „Rufen Sie morgen früh gleich im Rathaus an und bringen Sie das vor. Vielleicht bekommen Sie noch eine Genehmigung.“

Zwei Stunden zuvor. Stefanie Gerstner, Jana Huber und Peter Epple starten ihre Patrouille durch Sipplingen. Auf ihrem Tagesprogramm steht: Kontrolle des Bodenseeufers und der Gastronomie. „Seit der Corona-Krise hat sich bei uns schon einiges verändert“, gibt Gerstner zu. Sie arbeitet schon acht Jahre beim Ordnungsamt in Biberach. Seit zwei Jahren hilft sie gerne zusätzlich in Sipplingen aus.

Stefanie Gerstner und Jana Huber unterwegs am Bodenseeufer in Sipplingen.
Stefanie Gerstner und Jana Huber unterwegs am Bodenseeufer in Sipplingen. | Bild: Sebastian Küster

Normalerweise bestimmen Falschparker im Wohngebiet den Großteil ihrer Aufmerksamkeit. Seit Ende März muss die junge Frau auch noch die Corona-Regeln unter ihren Polizeihut bringen. „Das ist schon ein Mehraufwand. Wir müssen immer neu priorisieren, was an diesem Tag wichtig ist. Alles gleichzeitig schaffen, ist zu viel“, gibt Gerstner zu.

Unter der Woche ist am Badestrand in Sipplingen nicht besonders viel los. Nur vereinzelt nehmen heute Urlauber und Einheimische ein Bad in der Sonne. Die Abstände werden eingehalten. Für Gerstner und Kollegen gibt es nichts zu beanstanden.

Stefanie Gerstner und Jana Huber patrouillieren am Ufer.
Stefanie Gerstner und Jana Huber patrouillieren am Ufer. | Bild: Sebastian Küster

„Am Wochenende ist das aber anders. Das war teilweise nicht mehr tragbar. Deshalb musste der Bürgermeister reagieren und die Teilsperrung machen“, sagt Gerstner, während sie am Ufer nach links und rechts Ausschau hält. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass das Landratsamt wenige Tage später die Entscheidung kippen wird und Bürgermeister Oliver Gortat nun zum Trotz am Wochenende Autofahrer von außerhalb aussperren will.

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Doch nicht nur am Strand, sondern auch in Restaurants müssen sich die Menschen an den Mindestabstand von eineinhalb Metern halten. Dafür sind die Wirte verantwortlich. Bislang musste der Gemeindevollzug noch keine Strafzahlungen erheben.

Eine wichtige Vorschrift für Wirte: am Eingang auf Hygienevorschriften hinweisen. Im Riva in Sipplingen hängt noch ein Desinfektionsspender.
Eine wichtige Vorschrift für Wirte: am Eingang auf Hygienevorschriften hinweisen. Im Riva in Sipplingen hängt noch ein Desinfektionsspender. | Bild: Sebastian Küster

Bürger melden Verstöße bei Ordnungsamt und Gemeindevollzug

„Bei uns halten sich Wirte bisher gut an die Vorschriften“, sagt Gerstner. Obwohl die Kommune manchmal Anrufe von besorgten Bürgern bekommt, die gesehen haben wollen, dass Kellner ihre Maske nicht tragen, oder Tische zu eng aneinander stehen. „Dann gehen wir diesen Hinweisen nach und konfrontieren Wirte mit den Vorwürfen“, sagt Gerstner. Um Bußgelder zu verordnen, muss sie einen Verstoß aber selbst registrieren – auch wenn mehrere Hinweise zu ein und demselben Fall eingehen sollten. Gemeinsam mit Huber und Epple prüft sie heute routinemäßig, ob im Restaurant Riva, direkt am Wasser, alles mit rechten Dingen zugeht.

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Die vier Tische von Ioannis Pangiotidis werden kritisch beäugt. Gerstner verlangt nach dem Chef, geht ins Wortgefecht und macht am Ende einen Kompromissvorschlag, mit dem alle Beteiligten vorläufig einverstanden sind.

Ioannis Panagiotidis kann die Aufregung um vier Tische am Ufer nicht verstehen.
Ioannis Panagiotidis kann die Aufregung um vier Tische am Ufer nicht verstehen. | Bild: Sebastian Küster

Panagiotidis, ein Bär von Mann, klagt aber nicht nur über die rechtswidrige Bestuhlung am Ufer. Auch die bürokratische Zettelwirtschaft in Corona-Zeiten ist ihm ein Dorn im Auge. Sieben Kartons voll mit Gästelisten sammelte er allein im Riva ein. Panagiotidis führt noch acht weitere Restaurants, zwei davon in Österreich: „Für Papier und Tinte habe ich bestimmt schon 10.000 Euro bezahlt. Das Geld bekomme ich nicht wieder zurück.“

Ioannis Panagiotidis zeigt seine Gästelisten, die sich in der vergangenen Wochen und Monaten angehäuft haben.
Ioannis Panagiotidis zeigt seine Gästelisten, die sich in der vergangenen Wochen und Monaten angehäuft haben. | Bild: Sebastian Küster
Wie viele Listen Riva-Wirt Ioannis Panagiotidis schon von seinen Gästen eingesammelt hat, kann er nicht sagen.
Wie viele Listen Riva-Wirt Ioannis Panagiotidis schon von seinen Gästen eingesammelt hat, kann er nicht sagen. | Bild: Sebastian Küster

Ob diese Listen korrekt geführt werden, müssen Gerstner, Huber und Epple prüfen. Sie kopieren sich die Blätter jedoch nicht und recherchieren auch nicht im Detail, ob jeder Gast zur angegebenen Zeit vor Ort war. „Aber wir schauen uns das an und prüfen, ob die Anzahl der Gäste plausibel ist“, sagt Gerstner. Bedeutet: Sollte etwa an einem Samstag die Terrasse voll besetzt sein, aber nur wenige Gästelisten abgeheftet wurden, wäre das ein Indiz für einen Verstoß. Das kam bislang in Sipplingen nicht vor.

Die aktuellen Corona-Regeln

Die Zuständigkeit der Ordnungshüter endet, wenn sich herausstellen sollte, dass ein Gast positiv auf Covid-19 war. Dann sucht das Gesundheitsamt des Landkreises nach Kontaktpersonen und übernimmt. Der Wirt ist in diesem Fall dazu verpflichtet, die Daten an die Gesundheitsbehörden zu übergeben. Wer sich weigert, dem drohen Strafen zwischen 50 Euro und 2.500 Euro.

Gesundheitsämter in der Region stocken personell auf

Um die Kontakte möglichst schnell nachzuvollziehen, haben viele Ordnungsämter in der Region personell aufgestockt. Der Kreis Sigmaringen setzt auf einen „Containment Scout“, der darauf spezialisiert ist, Infektionsketten zu ermitteln. Rollt die zweite Welle los, stimmen sich jeden Morgen Verwaltungsspitze, Vertreter der Gemeinden, Kliniken, Ärzte, Rettungsdienste, Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr ab, welche Maßnahmen ergriffen werden.

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Auch das Gesundheitsamt im Schwarzwald-Baar-Kreis wurde personell durch drei RKI-Scouts verstärkt, „ein vierter Scout beginnt ab 1. September“, sagt Heike Frank, Sprecherin des Kreises. In Waldshut wurde das Gesundheitsamt bereits während der ersten Welle aufgestockt. In Konstanz unterstützen die Behörden drei Ärzte. Sie haben ein Deputat von 50 Prozent. Die Stellen sind vollfinanziert vom Land.